Leser fragen, Schriftsteller Thomas Meyer antwortet
«Wir überschätzen unseren Einfluss masslos»

Meine Ex-Freundin hat einen fragwürdigen Lebenswandel angenommen. Ich möchte sie schützen.
Publiziert: 10.03.2017 um 19:17 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 06:50 Uhr

Auch wenn es den Anschein macht, als regierten auf der Welt nur das Geld und der Wahnsinn, so ist es doch die Liebe, die uns antreibt. Es ist die Liebe, die uns miteinander kommunizieren, Beziehungen eingehen und Anteil am Schicksal unserer Mitmenschen nehmen lässt. Sie lässt uns Geld spenden für Tiere und Arme und bringt uns mitunter dazu, in Kriegs- und Krisengebieten unser Leben aufs Spiel zu setzen, um jenes von anderen zu retten.

Gleichzeitig haben wir die Neigung, die Dinge, die wir aus Liebe tun, nicht sonderlich genau nach ihrer Sinnhaftigkeit zu prüfen. So verbleibt mancher, der seinem Partner zugeneigt ist, mit diesem zusammen, obwohl ebendieses Zusammenbleiben zu seinem klaren Nachteil gereicht – und viele Eltern mischen sich weit über Gebühr in das Leben ihrer Kinder ein, selbst wenn diese längst eine Lesebrille benötigen.

Dass Ihre Ex-Freundin auf die schiefe Bahn geraten ist, darf Sie durchaus betroffen machen. Es ist fürchterlich, mitansehen zu müssen, wie ein geliebter Mensch an sich selbst leidet, und verständlich, ihn davor bewahren zu wollen. Und als Ex-Partner steht es Ihnen auch zu, Ihrer Sorge Ausdruck zu verleihen. Aber mehr als genau dies dürfen Sie nicht tun – und können Sie auch nicht tun. Wir überschätzen unseren Einfluss auf andere nämlich masslos. Am Ende machen die Leute sowieso, was sie wollen und für richtig halten, und auch wenn ihre Entscheidungen hochgradig destruktiv ausfallen, so müssen Sie sich doch das Recht jedes Menschen in Erinnerung rufen, sein Leben systematisch zugrunderichten zu dürfen.

Und vielleicht widmen Sie sich der Frage, ob nicht eher Sie selbst Ihre Aufmerksamkeit und Liebe benötigen. Denn indem wir uns auf fremde Probleme konzentrieren, lenken wir uns meist nur von uns selbst ab.

Der Zürcher Schriftsteller Thomas Meyer beobachtet seine Mitmenschen seit nunmehr 42 Jahren. Das ist denen nicht immer recht.

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