Darum gehts
Unvorstellbare 280’000 US-Dollar hat eine chinesische Influencerin für die modische Aufbereitung ihrer drei Hündchen ausgegeben. Das berichtete unlängst die South China Morning Post. Die Hundenärrin liess sogar einen begehbaren Kleiderschrank für die rund 2500 Kleidungsstücke und Accessoires ihrer Lieblinge bauen – irgendwo musste sie ja hin mit den handgestrickten Kaschmir-Schlüttchen, den vergoldeten Halsketteli und rosa Sonnenbrillen.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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«Auf Verlangen der Kundschaft», sagt H&M
Sicher ein Extremfall. Die zunehmende Vermenschlichung von Haustieren beschert der Industrie trotzdem fette Beute. Allein in den USA dürften 2024 laut National Retail Federation rund 700 Millionen Dollar allein mit Halloween-Kostümen umgesetzt worden sein, weltweit werden für dieses Jahr 5,7 Milliarden Dollar Umsatz erwartet.
Zahlen für Europa oder die Schweiz fehlen. Aber der Trend, Fifi und Mauzi als Kürbis, Elfe oder Kakerlake zu verkleiden, ist auch hierzulande angekommen. Selbst H&M Schweiz verkauft Kürbiskostüme für den Hund. «Unser Tierzubehör wurde mit Blick auf Bequemlichkeit, Funktionalität und Sicherheit entworfen. Wir führen es auf Verlangen der Kundschaft», schreibt H&M auf Anfrage.
Das sagen die Fachfrauen
Der Beobachter hat 30 Produkte von zwei Tierschutzexpertinnen beurteilen lassen:
- Arlette Niederer ist Zoologin beim Schweizer Tierschutz (STS). Sie erklärt, wie das Tier auf ein bestimmtes Produkt reagiert und welche Risiken damit verbunden sind.
- Marie-Lou Laissue ist Juristin bei der Stiftung für das Tier im Recht (TIR). Sie kommentiert die Gadgets aus rechtlicher Sicht mit den Stichworten «Misshandlung» und «Missachtung der Würde». Wenn Missachtung der Würde in Klammern gesetzt ist, bedeutet das, dass es auf den Einzelfall ankommt, ob hier ein Gesetzesverstoss geahndet würde oder nicht.
Die Kommentare der beiden Fachfrauen finden sich jeweils unter den Fotos der Bildstrecke.
Wann ist etwas Tierquälerei?
«Werden Tiere zur Belustigung von Menschen verkleidet, handelt es sich nach unserer Ansicht um eine Erniedrigung, die nicht durch überwiegende schutzwürdige Interessen gerechtfertigt werden kann», sagt Juristin Marie-Lou Laissue. Entsprechend handle es sich um eine Missachtung der Tierwürde.
Das ist kein Kavaliersdelikt: Seit der Revision des Tierschutzgesetzes 2008 ist die Würde von Tieren gleich schützenswert wie deren Wohlergehen. Auch die Missachtung der Tierwürde stellt Tierquälerei dar und ist strafbar – und zwar auch dann, wenn dem Tier keine körperlichen Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. «Erfährt das Tier zudem Angstzustände, Panik oder gar Schmerzen, spricht man von Misshandlung», so Laissue weiter.
Sowohl die Misshandlung als auch die Missachtung der Tierwürde gelten gemäss Tierschutzgesetz als Tierquälerei. «In der Praxis wird die Schwelle der Erniedrigung jedoch in der Regel höher angesetzt, so dass eine Verkleidung als solche nicht zwingend als Tierquälerei eingestuft wird», sagt Rechtsexpertin Marie-Lou Laissue.
Das rührt daher, dass die Tierwürde nicht absolut geschützt ist. Sie darf verletzt werden, wenn überwiegend schutzwürdige Interessen dies rechtfertigen. Aus diesem Grund dürfen beispielsweise Tiere zum Zweck der Lebensmittelgewinnung getötet werden.
Auch die Zoologin Arlette Niederer sieht hier das Tierwohl in Gefahr: «Auf den ersten Blick mag es harmlos erscheinen, einem Hund ein Kostüm anzuziehen. Aber er könnte Teile davon verschlucken oder sich verletzen beim verzweifelten Versuch, die ungewohnte Last loszuwerden.» Zudem könne der Hund je nach Kostüm nicht mit seinen Artgenossen kommunizieren, was Stress und Missverständnisse auf beiden Seiten auslösen kann.
Millionenumsätze auf Kosten von Fifi
Einer der grossen Markttreiber sind Petfluencer. Haustiere, die von ihren Besitzern klick- und damit umsatzträchtig inszeniert werden. Der weltweit wohl erfolgreichste Petfluencer ist Jiffpom mit knapp 10 Mio Followern auf Instagram und doppelt so vielen auf Tiktok. Das Pomeraner-Hündchen, inszeniert und gekleidet wie ein Kleinkind, wird vom kalifornischen Unternehmen Cutelife Inc. vermarktet, inklusive Sammlerpuppen. Das Hündchen soll rund 25 Millionen Dollar verdient haben. Stand 2022.
Erfolgsgeschichten wie diese verleiten Tierhalter weltweit dazu, auch ihren Liebling passend zum eigenen Style auf Versace zu trimmen oder ihm Helm oder Sonnenbrille aufzuzwingen.
Wenn der Hamster zum Babyersatz wird
Hunde im Schlüttli, ein Babybett für den Kater, Kinderwagen zum Gassigehen – nicht nur Katzen und kleine Hunde werden als Babys inszeniert. Selbst vor Hamstern macht der unselige Zwang nicht halt. Ihnen werden Mützchen und Sandalen angezogen, ein Schnuller vervollständigt das Bild. Es gibt sogar Kindersitze, in die die tagscheuen Fluchttiere gezwängt werden.
Werden gar menschliche Hygieneansprüche ans Tier gestellt, hat es sich endgültig ausgebellt. Hundepfoten werden in Gummischuhe gequetscht, damit Fifi beim Gassigehen keine «schmutzigen Füsse» bekommt und zu Hause den cremefarbenen Flokati nicht versaut. Badekappen für Katzen sollen verhindern, dass beim – unnötigen und oft brutalen – Baden und Duschen Wasser in die Ohren dringt. Besondere Rasierapparate rücken laut Werbung «unerwünschten Haaren zwischen den Zehenballen, in den Ohren und rund um den Intimbereich» zu Leibe.
Richtig übel jedoch wird es, wenn Gerätschaften Panik und Schmerzen verursachen. «So schlimm wirds schon nicht sein», mag der eine oder die andere denken. Schliesslich werden die Sachen ja verkauft. Falsch: «Nur weil man etwas kaufen kann, bedeutet es nicht zwingend, dass es legal ist, den Gegenstand am Tier anzuwenden», sagt Juristin Marie-Lou Laissue. Anti-Bell-Halsbänder beispielsweise dürfen im Tierhandel angeboten werden. Benutzen darf man sie aber nicht, weil sie dem Hund Schmerzen bereiten können.
Von Aliexpress, auf dessen Shoppingplattform wir dieses Haustierzubehör gefunden haben, haben wir keine Stellungnahme erhalten.