Diese Bilder hat seit Jahrzehnten niemand mehr gesehen. Jetzt zeigt das Kunstmuseum Bern einen kleinen Teil der Sammlung Gurlitt – der umstrittensten Kunstsammlung der Welt. Cornelius Gurlitt (†81), der kauzige Sohn des schillernden Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt (†61), hatte sie vor drei Jahren dem Museum vererbt (siehe Box).
«Ich bin froh, haben wir damals ja gesagt», meint Matthias Frehner (62), damals Direktor des Kunstmuseums. Es war nicht sofort klar, dass die Berner Ja sagen würden. Die Sammlung Gurlitt galt als höchst toxisch – eine Milliarde wert, aber von den Nazis und Gurlitt senior bei jüdischen Sammlern zusammengeklaute Raubkunst.
Raubkunst nur in Einzelfällen
Inzwischen ist klar: Nur ein kleiner Teil der Gurlitt-Sammlung hat sich als Raubkunst herausgestellt. Gerade mal sechs der insgesamt 1566 Werke sind den früheren Besitzern erwiesenermassen von den Nazis abgepresst worden. Sie sind ihren Erben zurückgegeben worden. Auch von einem Milliardenwert ist nicht mehr die Rede.
In Bern hängen rund 150 der über 1500 Werke, die Gurlitt junior in seiner Wohnung in München und seinem Haus bei Salzburg aufbewahrt hatte. «Bestandesaufnahme Gurlitt – Entartete Kunst» heisst die Ausstellung mit viel didaktischer Erklärung über die Kunstgeschichte der klassischen Moderne.
Herkunft vieler Werke nicht lückenlos geklärt
Zu sehen sind hauptsächlich sogenannt kleinere Werke auf Papier – Lithographien, Aquarelle, Pastelle. Von grossen Namen der Kunstgeschichte zwar: Max Beckmann, Franz Marc, August Macke, Edvard Munch, Ernst Ludwig Kirchner. Alles relativ günstige Sachen, die junge Sammler kaufen und die sich auch Kunsthändler gerne leisten. Diese kleinen Formate stehen selten unter Raubkunstverdacht.
Alle diese Werke sind sauber, versichert Museumsdirektorin Nina Zimmer (44): «Bei keinem besteht der Verdacht, es könnte sich um Raubkunst handeln.» Allerdings ist bei rund zwei Dritteln der Werke die Herkunft nicht lückenlos geklärt. Sie werden laut Zimmer nach der Ausstellung zurück nach Deutschland geschickt, für weitere Abklärungen.
Zukunft vieler Werke ist offen
Die Suche nach früheren Besitzern geht weiter. Sie wird laut Experten aber nicht mehr viel bringen. «Wenn man nach drei Jahren intensiver Suche nichts findet, ist die Chance sehr klein, noch etwas herauszufinden», meint Kunsthistoriker Frehner, der die Übernahme der Gurlitt-Sammlung in Bern eingefädelt hatte. Was dann mit den Bildern ungeklärter Herkunft passiert, ist unklar.
Nur bei rund 60 Bildern und Blättern mit lupenreinem Stammbaum ist heute schon klar, dass sie definitiv in Bern bleiben werden. Das hat sich das Kunstmuseum ausbedungen. Werke von denen nur schon vermutet wird, die Nazis hätten sie von jüdischen Vorbesitzern gestohlen, lehnte es von Anfang an ab.
Die toxischen Werke werden vorerst in der deutschen Bundeskunsthalle Bonn ausgestellt. In Bern werden sie nächsten Frühling gezeigt.
Kommentar von Christian Maurer, Ressortleiter Gesellschaft und Kultur
Auf diese Ausstellung hat nicht nur die Kunstwelt gewartet. Zu spannend ist die Geschichte, die sie umgibt. Es geht um Bilder, die Raubkunst sein könnten. Um einen jüdischen Kunsthändler, der für die Nazis Geschäfte machte. Und schliesslich um einen alten, kauzigen Mann, der wie ein Messie lebt und angeblich einen Milliardenschatz an Bildern in seiner Wohnung hortet.
Diese Geschichte ist filmreif!
Die Ausstellung von Werken aus der sagenumwobenen Sammlung Gurlitt zeigt nun endlich, was Mythos ist und was Realität. Diese ist ernüchternd – aber nicht überraschend. Es ist kein kunsthistorischer Schatz, der vor fünf Jahren bei Cornelius Gurlitt gehoben wurde.
Sicher, die Lithos und Aquarelle sind gute Kunst, signiert von grossen Namen. Aber richtig überwältigend ist nicht, was im Kunstmuseum Bern zu sehen ist.
Wichtig ist die Ausstellung trotzdem. Weil sie endlich ein düsteres Kapitel in der Welt der schönen Künste aufarbeitet. Viel zu lange war Raubkunst für die Schweiz kein Thema. Das ist jetzt vorbei.
Kommentar von Christian Maurer, Ressortleiter Gesellschaft und Kultur
Auf diese Ausstellung hat nicht nur die Kunstwelt gewartet. Zu spannend ist die Geschichte, die sie umgibt. Es geht um Bilder, die Raubkunst sein könnten. Um einen jüdischen Kunsthändler, der für die Nazis Geschäfte machte. Und schliesslich um einen alten, kauzigen Mann, der wie ein Messie lebt und angeblich einen Milliardenschatz an Bildern in seiner Wohnung hortet.
Diese Geschichte ist filmreif!
Die Ausstellung von Werken aus der sagenumwobenen Sammlung Gurlitt zeigt nun endlich, was Mythos ist und was Realität. Diese ist ernüchternd – aber nicht überraschend. Es ist kein kunsthistorischer Schatz, der vor fünf Jahren bei Cornelius Gurlitt gehoben wurde.
Sicher, die Lithos und Aquarelle sind gute Kunst, signiert von grossen Namen. Aber richtig überwältigend ist nicht, was im Kunstmuseum Bern zu sehen ist.
Wichtig ist die Ausstellung trotzdem. Weil sie endlich ein düsteres Kapitel in der Welt der schönen Künste aufarbeitet. Viel zu lange war Raubkunst für die Schweiz kein Thema. Das ist jetzt vorbei.
Die Sammler
Cornelius Gurlitt war schon immer ein kauziger Mann. Mit seiner Familie verstand er sich nicht. Gearbeitet hat er eigentlich nie. Aber von Kunst verstand er etwas. Als sein Vater starb, fühlte er sich verantwortlich für dessen Kunstsammlung. «Ich hüte sie», sagte der alte Mann auf die Frage, was er mit all den Bildern in seiner Wohnung mache. Trotzdem verkaufte er einzelne Werke, wenn er Geld zum Leben brauchte. Sein Vater Hildebrand Gurlitt war anders als sein Sohn eine schillernde Figur. Als Museumsdirektor war er einer der ersten, der die deutsche Avantgarde-Malerei zeigte und auch kaufte. Für die Nazis war das «entartete Kunst». Darum und weil er wegen seiner jüdischen Grossmutter in der Nazi-Zeit als Jude galt, verlor er alle seine Ämter. Trotzdem arbeitete er als Kunsthändler für die Nazis und verkaufte für sie sowohl «entartete Kunst» als auch Raubkunst von jüdischen Sammlern.
Die Händler
Wenn Cornelius Gurlitt Geld zum Leben brauchte, fuhr er nach Bern zu Eberhard W. Kornfeld. Mit dem Kunsthändler und Auktionator und vor allem mit dessen Vorgänger August Klipstein soll bereits sein Vater Hildebrand Gurlitt gute Geschäfte gemacht haben. Kornfeld war der Schwiegersohn von Jacques Koerfer (†88), einem schwerreichen deutschen Kunstsammler, dem die Schweiz wegen Nazi-Sympathien die Einbürgerung verweigerte. Kornfeld selber gilt als einer der grossen Händler der klassischen Moderne, wozu auch die von den Nazis verfemten deutschen Expressionisten zählen. Zum Beispiel kaufte er nach dem Zweiten Weltkrieg massenweise Werke des zu jener Zeit völlig unterschätzten Ernst Ludwig Kirchner. Aus der Sammlung Gurlitt soll er Dutzende Werke «entarteter Kunst» für mehrere Hunderttausend Franken auf den Markt geworfen haben. Das Interesse an Gurlitts Sammlung bezeichnete er als «Medien-Hysterie».
Die Macher
Museumsdirektor Matthias Frehner schluckte leer, als im Frühling 2014 bekannt wurde, dass Cornelius Gurlitt seine umstrittene Sammlung mit angeblicher Nazi-Raubkunst testamentarisch dem Kunstmuseum Bern vermacht hat. Er stand an vorderster Front, als das Museum die Erbschaft nach langen Verhandlungen und Bedenkzeit annahm – und damit die Verpflichtung für einen verantwortungsvollen Umgang mit Nazi-Raubkunst. Heute freut sich Frehner: «Es war ein guter Entscheid und eine Riesenchance.» Seine Nachfolgerin Nina Zimmer pflichtet ihm bei: «Ich bin froh, haben wir das Abenteuer gewagt.»