Helikoptereltern für Büsis
Lassen Sie die Katzen von der Leine!

Man sieht sie immer öfter: Katzen an der Leine, sicher geführt von ihren Besitzern. Oder Büsis mit GPS-Tracker am Hals. Das alles brauchen die Tiere nicht – sondern unser Vertrauen. Ein Appell.
Publiziert: 21:17 Uhr
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Baby oder doch ein wildes Tier: Büsis werden oft unterschätzt.
Foto: AFP via Getty Images

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Katja RichardRedaktorin Gesellschaft

Sithara darf nur an der Leine aus der Wohnung. Zu gross ist die Sorge ihrer Besitzerin, dass der British-Shorthair-Katze etwas zustossen könnte. Jemand könnte sie mitnehmen, so zutraulich ist sie. Und hübsch. Oder das neugierige Tier wird versehentlich irgendwo eingeschlossen.

Also lieber Kontrolle als Freiheit. Solche Geschichten mehren sich: Katzen, die nur mit GPS-Tracker rausdürfen. Stubentiger, denen die Pirsch bei Nacht verweigert wird. Andere berühren mit ihren Pfoten ihr Leben lang kein einziges Mal ein Stück Erde. Nicht, weil der Freigang nicht möglich wäre – ihre Menschen lassen es nicht zu.

Immer öfter sieht man Katzen an der Leine.
Foto: Getty Images

21'000 Katzen vermisst

Ihre Angst ist nachvollziehbar – jedes Jahr werden in der Schweiz 21'000 Katzen vermisst. Die meisten kehren zurück, doch etwa 4000 bleiben verschwunden, jede ist eine zu viel. Dennoch: Bei einer geschätzten Katzenpopulation von 1,8 Millionen ist das Risiko gering. Rational gesehen.

Aber Angst ist nie rational. In einer Welt, in der wir alles verlieren können – unsere Jobs, unsere Beziehungen, die Gewissheit, wie es weitergeht –, wollen wir wenigstens sicher sein, dass dieses kleine Fellknäuel mit dem Babygesicht immer bei uns bleibt. Dass ihm nichts passiert.

Doch Katzen sind keine Plüschtiere. In ihnen steckt ein wildes Tier. Genetisch sind sie nur einen kleinen Sprung von ihren Vorfahren, den Raubkatzen, entfernt. Ihre Sinne sind messerscharf, ihr Instinkt uralt. Sie jagen, schnuppern, pirschen. Verloren gehen sie in der Regel auch nicht, Katzen haben eine Art eingebautes GPS – sie orientieren sich am Magnetfeld der Erde.

Anders als Hunde – schätzungsweise seit 30'000 Jahren begleiten Hunde und Menschen einander – leben Katzen erst seit rund 9000 Jahren mit uns, und auch das eher freiwillig, weil es bei uns warm ist, es Futter gibt, früher Mäuse, und hin und wieder eine Streicheleinheit.

Jagdinstinkt: Büsis sind nur einen Sprung von ihren wilden Vorfahren entfernt.
Foto: Getty Images

So anhänglich sind Katzen

Genau das macht sie so faszinierend. Ihre Würde. Ihre Unabhängigkeit. Ihre Fähigkeit, zu kommen, wann sie wollen, und zu gehen, wenn es ihnen reicht. Womöglich geht es um genau diese Ungewissheit.

Liebt mich meine Katze? Oder bin ich bloss ein Dosenöffner, der Sheba im Porzellanteller serviert? Was, wenn sie lieber woanders wäre? Wenn sie nicht zurückkommt – nicht weil sie es nicht kann, sondern weil sie nicht will? Die Katze wird zum Spiegel: für alte Ängste, für Kontrollverlust, für das Gefühl, nicht zu genügen.

Dabei sind Katzen viel anhänglicher, als man denkt. Studien zeigen: Drei Viertel von ihnen sind sicher gebunden. Sie suchen Nähe, beruhigen sich in Anwesenheit ihrer Menschen. Manche Verhaltensforscher sagen, Katzen sehen in uns so etwas wie ihr Katzenmami. Wer glaubt, dass Katzen einsame Streuner sind, die jederzeit verschwinden könnten, unterschätzt ihre soziale Bindung. Manche Katzen werden depressiv, wenn sie während einer Ferienabwesenheit ihrer Halter über Tage oder Wochen alleine leben müssen.

Deshalb, liebe Büsi-Helikoptereltern: Lassen Sie die Katzen von der Leine! Geben Sie Kontrolle ab, vertrauen Sie ins Leben und lassen Sie sie ihre Abenteuer in der urbanen Wildnis suchen. Auch Sitharas Besitzerin liebt ihr Büsi zu sehr, um es ganz einzusperren. Bald kommt die Katzentreppe in die Unabhängigkeit. Dass ihre Besitzerin sie auf dem Handy orten kann, muss Sithara ja nicht wissen.

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