Grafiker-Popstar Stefan Sagmeister
«Schönheit ist etwas vom Wichtigsten überhaupt»

Der Österreicher Stefan Sagmeister (54) ist der Popstar unter den Grafikern. Der zweifache Grammy-Gewinner designt für Grössen wie die Rolling Stones oder Jay Z. Am 18. Juni spricht er in Zürich.
Publiziert: 16.06.2017 um 10:46 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 03:00 Uhr
Nicht ohne meine Villiger: Stefan Sagmeister raucht nur Zigarren der Schweizer Marke.
Foto: Leo Bösiger
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Silvia Tschui

Stefan Sagmeister, nächsten Sonntag halten Sie in Zürich einen Vortrag. Worüber?
Stefan Sagmeister:
Es geht um ­unseren Dokumentarfilm zum Thema Glück. Ich habe je drei Monate lang verschiedene Techniken ausprobiert, um glücklicher zu werden.

Waren Sie denn vorher unglücklich?
Eigentlich nicht – ich wollte nur wissen, ob man den Geist und die Emotionen so trainieren kann wie den Körper. Das Ergebnis in ­einem kurzen Statement: Man kann. 

Wie haben Sie denn trainiert?
Mit Meditation, kognitiver Verhaltenstherapie und medikamentöser Behandlung.

Und sind Sie jetzt glücklicher?
Ich denke schon – jede der Behandlungsarten hat einen Einfluss auf die Gefühlslage. 

Was hat denn die Meditation ausgelöst?
Nach den Meditationssitzungen habe ich plötzlich angefangen, mich mit den grossen Fragen des Lebens auseinanderzusetzen, ­denen ich sonst ausweiche. Zum Beispiel das Thema Tod. Oder ob ich gerne eine ­eigene Familie hätte. 

Und? Hätten Sie gern Kinder?
Als ich für die Dreharbeiten zum Film in Bali war und meditiert habe, wurde mir klar: Ja. Das ist jetzt aber eine Weile her, und nun sieht es schon wieder etwas anders aus.

Stefan Sagmeister

Stefan Sagmeister, am 6. August 1962 in Bregenz (A) geboren, studiert in Wien und New York Grafikdesign. Bereits sein erstes Albumcover für die Band H.P. Zinker ist 1995 für vier Grammys nominiert. Seither stehen Superstars von Aerosmith bis Jay Z, aber auch Firmen wie Time Warner oder Snapchat Schlange. Der Grafiker gewinnt für die Covers «Once in a Lifetime» (2005) von den Talking Heads und «Everything That Happens Will Happen Today» (2010) von Brian Eno und David Byrne je einen Grammy-Award. Sagmeister lebt in New York.

Stefan Sagmeister, am 6. August 1962 in Bregenz (A) geboren, studiert in Wien und New York Grafikdesign. Bereits sein erstes Albumcover für die Band H.P. Zinker ist 1995 für vier Grammys nominiert. Seither stehen Superstars von Aerosmith bis Jay Z, aber auch Firmen wie Time Warner oder Snapchat Schlange. Der Grafiker gewinnt für die Covers «Once in a Lifetime» (2005) von den Talking Heads und «Everything That Happens Will Happen Today» (2010) von Brian Eno und David Byrne je einen Grammy-Award. Sagmeister lebt in New York.

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Weshalb?
Ich habe halt in New York wieder diese ver­zogenen, selbstgerechten Kinder erlebt: nicht auszuhalten. Ich müsste wegziehen, um Kinder aufziehen zu können. Und das ist in meinem Berufsfeld schwierig.

Was bewirkten die anderen zwei Techniken? 
Die kognitive Verhaltenstherapie hat mich dazu gebracht, Konflikten nicht ständig auszuweichen. Ich habe noch während einer Therapiestunde fünf Mal meinen New Yorker Hausmeister angerufen, um mich über das undichte Dach zu beschweren. Der ist so ein massiger Italo-Amerikaner – wie einem ­Scorsese-Film entsprungen. Vier Mal hat er aufgelegt, beim fünften Mal habe ich mit dem Anwalt gedroht. Jetzt grüsst er mich immer, und das Dach ist dicht. So etwas hätte ich vorher nie geschafft. 

Und die Medikamentation?
Ich habe etwas Ähnliches wie Prozac genommen. Die Wirkung war unglaublich: Ich habe mich sofort neu verliebt, schwebte auf Wolke sieben. Es ist aber natürlich ­seltsam, man weiss nie, ob das jetzt das ­Medikament ist oder Wirklichkeit. 

Sind Sie mit dieser Frau noch zusammen?
Nein. 

Was haben Sie aus diesem Experiment langfristig gelernt?
Dass man sich seinen Job, seine Beziehungen, seine Freundschaften so einrichten muss, dass kleine Glücksmomente überhaupt entstehen können.

Wie haben Sie das getan?
Ich teile meine Zeit auf: Zu 25 Prozent mache ich Kunst, zu 25 Prozent Forschung, der Rest ist Design und Geldverdienen. Und ich gönne mir jedes siebte Jahr zwölf Monate Pause – ein Sabbatical.

Wahl-New-Yorker Stefan Sagmeister (54) hat sich für ein Projekt über Schönheit für vier Monate nach Vorarlberg zurückgezogen.
Foto: Leo Bösinger

In einem Sabbatical-Jahr befinden Sie sich gerade wieder, wir treffen Sie in ­Vorarlberg an. Was machen Sie hier?
Ich habe vier Monate lang ein kleines Haus auf dem Land gemietet. Ich arbeite an ­unserem nächsten Projekt, einer Unter­suchung zur Schönheit, die später in einer Ausstellung mündet.

Sie arbeiten in Ihrem freien Jahr?
Erstaunlich ist ja, dass ich in dieser Freiheit viel mehr arbeite, als ich das an einem normalen New Yorker Designbüro-Tag tue. Manchmal locker 16 Stunden am Tag – weil meine Arbeit im Sabbatical rein interessensgetrieben ist und ich keine Sitzungen habe, keine Mitarbeiter betreuen muss, keine E-Mails beantworten muss, nicht ständig ­unterbrochen werde.

Und worauf sind Sie beim Thema Schönheit bis jetzt gekommen?
Ich beschränke mich auf menschgemachte Schönheit, das muss ich voranstellen. Jetzt gerade habe ich mich damit beschäftigt, dass das Bauhaus komplett falsch lag.

Das müssen Sie näher erklären.
Dass die Form nur der Funktion folgen soll, ist grundfalsch, so entsteht Hässlichkeit. ­Diese Denkweise hat in einer Ära der Ressourcenknappheit nach den Weltkriegen Sinn ergeben, heute nicht mehr. Schauen Sie doch, wie heute oft gebaut wird: pure Hässlichkeit. Vor dieser Entwicklung hat übrigens schon der Schweizer Architekt, Künstler und Grafiker Max Bill vor Jahrzehnten gewarnt.

Man müsste also beim Design nur Schönheit zum Ziel haben?
Das ist auch falsch – dann landet man bei ­unerträglichem Kitsch. Form und Funktion müssen sich die Waage halten. Der Stellenwert der Schönheit in der westlichen Gesellschaft ist übrigens in der Literatur abzulesen.

Wie denn?
Erstaunlich einfach: Ich habe gerade eine breit angelegte Untersuchung gelesen, in der Forscher die Verwendung des Worts Schönheit in der Literatur über die letzten 150 Jahre ausgezählt haben. Resultat: Bis zur Jahrhundertwende stieg die Verwendung des Wortes stetig an, ab dem Ersten Weltkrieg tauchte die Kurve rasant ab und blieb für ­ungefähr 90 Jahre unten, seit ungefähr zehn Jahren steigt sie langsam wieder an – zum Glück.

«Schönheit ist etwas vom Wichtigsten überhaupt.»
Foto: Leo Bösinger

Ist denn Schönheit angesichts von Klimawandel, Umweltkatastrophen und Flüchtlingskrisen überhaupt wichtig?
Schönheit ist etwas vom Wichtigsten überhaupt. Wenn Behörden ein Dorf formal ­verbessern, einen verkommenen Stadtteil ­sanieren, dann steigt die Zufriedenheit und die ­Lebensqualität der Anwohner, und die ­Kriminalitätsrate sinkt. Es gibt eine Unter­suchung von den zwei New Yorker Bahn­höfen: Der eine, Grand Central Station, ist ein schöner, lichter Jahrhundertwendebau, die Penn Station wurde hingegen 1968 neu gestaltet und ist ein enger Untergrundbahnhof. Nun ­haben Forscher ausgewertet, welcher Art Tweets von dort abgehen. Von der schönen Umgebung sind das mehrheitlich positive Tweets, von der hässlichen Umgebung negative. 

Eine schöne Umgebung wirkt also direkt auf des Verhalten der Menschen ein. 
Ja – und wir sind ja überall von Gestaltung umgeben. Jede Strasse, jeder Kugelschreiber, jedes Möbel, jedes Kleidungsstück hat irgendwer gestaltet. Gestaltung ist Teil davon, was es heisst, Mensch zu sein – und ist deshalb ­an­gesichts von Klimawandel, Umweltkatastrophen und Flüchtlingskrisen wichtiger denn je. 

Sie stammen, wie gesagt, aus Vor­arlberg, leben in New York und sind oft in Tokio. Zuletzt haben Sie in Mexico City ­gearbeitet. Wo arbeitet es sich am besten?
Im Zug, ganz klar. Das Vorbeiziehen der Landschaft öffnet den Geist für Ideen.

Sie haben 2013 einen Orden erhalten – das «Grosse Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich». Bedeuten ­Ihnen Auszeichnungen etwas?
Gar nicht. Aber ich fühle mich als Öster­reicher. Es gibt gewisse alemannische Eigenschaften, auch der Süddeutschen und der Schweizer, die ich immer noch habe. 

Welche denn?
Der Stolz auf solides Handwerk. Das ist hier und auch für mich sehr ausgeprägt. Ich versuche, keine Arbeit abzugeben, die nicht solide und gut gemacht ist. Da sind wir übrigens Japan sehr nah – dort hat qualitatives Handwerk und Arbeitsethos ebenfalls einen hohen Stellenwert. Und dass eine Abmachung etwas gilt. Deshalb fühle ich mich in Tokio auch sehr wohl. Wissen Sie übrigens, weshalb ­Japaner bei uns ausschliesslich in Gruppen unterwegs sind?

Das war mir immer ein Mysterium!
Weil sie sich derart vor unseren WCs ekeln. Sie haben immer einen Gruppenleiter dabei, der genau weiss, wo es auf den Reisestationen ein Klo gibt, das für ihre Standards einigermassen o. k. ist. Darauf gehen dann alle. 

Zurück zu Ihren Auszeichnungen: Was bedeuten Ihnen die beiden Grammy-Awards, die Sie für die Gestaltung von ­Plattencovers erhielten?
Für unser Büro haben solche Auszeichnungen viel Gewicht – mit einem Grafikbüro ­allein wird man nicht reich. Sie stehen aber in meinem Privatbüro rum, auf einem Regal hinter meinem Arbeitstisch.

Wie war die Zusammenarbeit mit Superstars wie Lou Reed oder den Rolling Stones? Hatten Sie direkten Kontakt? 
Immer, sonst würde ich es nicht machen. Lou Reed hat zum Glück unsere Arbeit respektiert, für ihn gehörte das Platten- oder CD-Cover zur Musik. Darum war er zu mir immer sehr nett. Er konnte ja auch anders. 

Und die Stones?
Die kommen immer zu zweit, immer Charlie Watts und Mick Jagger. Charlie Watts ist da das stabilisierende Element. Mehr sag ich nicht, nett sind beide. Das Design ist sehr wichtig für die Musiker, für ihre Merchandising-Artikel. Damit holen Sie heutzutage, wo alle digital streamen, mehr Geld rein als mit den Plattenverkäufen. 

Stichwort Digitalisierung: Wie hat das Ihre Arbeit verändert?
Die neuen Möglichkeiten verändern das ­Denken – das ist grundsätzlich interessant. Wir haben in der Glücks-Ausstellung eine Projektion, welche wir mittels Gesichtserkennungs-Sensoren entweder schwarz-weiss oder ­farbig abspielen – je nachdem, ob die Leute ­lächeln. Das ist mehrfach interaktiv: Leute, die lächeln, stecken andere damit an, ­Lächeln sorgt für die Ausschüttung von Glückshor­monen – wobei wir schon wieder beim Glück wären. Ohne Digitalisierung könnte ich so ­etwas nicht einmal denken.

Vortrag: Am Design-Festival «Forward», 18. 6., 20.30 Uhr, Freitag-Fabrik Noerd, Zürich, forward-festival.com
Ausstellung: «The Happy Show», 28. Oktober 2017 bis 11. März 2018 im Museum für Gestaltung, Zürich.

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