«Masturbation ist wie Zähneputzen» und «kalte Dusche statt Onanie»: Die aktuellsten Schlagzeilen zur Selbstbefriedigung könnten widersprüchlicher nicht sein. Während das Jugendnetzwerk «Sexuelle Gesundheit Schweiz» letzten Herbst eine nationale Kampagne zur Natürlichkeit des Selbstsex startete, verteufelte ihn der Zürcher Vikar Philipp Isenegger (41) dieses Frühjahr als «Unzucht».
Der Katholik, der sich mittlerweile von seiner Pfarrei trennte, berief sich offensichtlich auf die Bibel. Darin sollte Onan (von ihm leitet sich das Wort Onanie ab) seine verwitwete Schwägerin schwängern, liess aber stattdessen den Samen «auf die Erde fallen und verderben». Gottes Strafe folgte auf den Fuss: «Dem Herrn missfiel aber, was er tat, und er liess ihn sterben.»
Mehr Masturbation wegen Pandemie
Hand an sich legen, ohne zu sterben: Das tun in Zeiten von Corona wohl so viele wie kaum je zuvor. Darauf deuten höherer Pornokonsum im Internet, gestiegene Verkaufszahlen von Sextoys und eine aktuelle Umfrage aus den USA hin: 48 Prozent der über 2000 vom Marktforschungsinstitut OnePoll befragten Frauen und Männern gaben an, dass sie sich wegen der Isolation häufiger selber befriedigen als vor der Pandemie.
2019 gaben in einer Studie der Universität Bern 94 Prozent der Frauen und 98 Prozent der Männer an, sich in den letzten zwölf Monaten befriedigt zu haben.
Philosoph der Aufklärung gegen Onanie
Alle tun es, doch niemand spricht darüber. Das hat mit den religiösen Wurzeln unseren Gesellschaften zu tun, die bis in die Gegenwart Blüte treiben, wie das Beispiel des Zürcher Vikars zeigt. Doch nicht nur ledige Christen sind zur Keuschheit angehalten, auch Muslime. Denn im Koran heisst es: «Und diejenigen, die es sich nicht leisten können zu heiraten, sollen so lange Enthaltsamkeit üben, bis Gott sie durch seine Huld reich macht.»
Wer nun glaubt, durch die Säkularisierung sei Onanie gesellschaftlich gebilligt, der irrt: Immanuel Kant (1724–1804), Philosoph der Aufklärung, sah Selbstbefriedigung als gesellschaftliche Verfehlung. Und im 19. Jahrhundert versucht man durch Keuschheitsgürtel aus Metall dem frevelhaften Tun Herr zu werden. Erst Woody Allen (85) bringt 1977 in seinem Film «Der Stadtneurotiker» eine andere Sicht ein: «Nichts gegen Masturbation – es ist Sex mit jemandem, den ich wirklich liebe.»