Freundschaften verlängern das Leben
Der hohe Preis der Einsamkeit

Überraschung! Das Geheimnis der Gesundheit der rüstigen Hundertjährigen ist ein ganz anderes als das des fitten 70-Jährigen. Die Erklärung - und was wir daraus lernen können.
Publiziert: 22.06.2017 um 12:20 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 05:10 Uhr
Schon eine bloss überdurchschnittliche soziale Einbindung vergrössert die Chance, die nächsten zehn Jahr zu überleben, um 50 Prozent.
Foto: Thinkstock
Werner Vontobel

Wer heute gesund werden und bleiben will, weiss, was er oder sie zu tun hat. Man darf nicht rauchen, soll sich viel bewegen, regelmässig Sport machen und nicht übergewichtig sein. Das - in dieser Reihenfolge - drei der wichtigsten Risikofaktor für Gesundheit und eine unterdurchschnittliche Lebenserwartung. Das zeigen die Statistiken. Sie zeigen es zumindest dann, wenn man die Gesamtbevölkerung über alle Alterskategorien ab 40 nimmt. Schaut man sich jedoch, wie in dieser Studie mit 407 Teilnehmern nur die über 95-Jährigen an, dann ergibt sich dieser Befund:

  • 37 Prozent sind übergewichtig
  • 8 Prozent sind gar stark übergewichtig mit einem BMI über 30
  • 37 Prozent sind oder waren Raucher und haben im Schnitt 31 Jahre lang geraucht
  • 44 Prozent haben nur sehr mässig und Sport betrieben
  • 20 Prozent haben überhaupt nie Sport betrieben

Uralt trotz Zigis und Übergewicht

Nur leicht überspitzt gesagt: Diese Damen und Herren sind uralt geworden, obwohl sie dick und faul waren und überdies geraucht haben. Weniger böse gesagt: Sie haben mindestens gleich ungesund gelebt wie die Normalsterblichen.

Wie kann dies sein? Wie passen die beiden Statistiken für die Alten von heute und die überlebenden Uralten von gestern zusammen? Eine theoretische Möglichkeit wäre, dass man mit diesem Alter entweder relativ früh stirbt, dann aber so ab 75 mit dem Sterben aufhört und erst ab 100 Jahren wieder damit anfängt. Das ginge rein mathematisch auf, doch findet sich dafür keine vernünftige Erklärung.

Sport war früher kein Thema

Nun, des Rätsels Lösung liegt erstens darin, dass die über 100-jährigen Alten von gestern in einer ganz anderen Zeit jung waren als die 20 bis 30 Jahre jüngeren Alten von heute, und dass die Lebenserwartung noch von weiteren, weniger beachteten Faktoren abhängt. Damals, in den ersten zwei Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts, war das Essen noch einfach, es gab kaum Zucker, selten mal Fleisch, statt Sonnenblumenöl kamen Schweinschmalz, Butter oder andere tierische Fette auf den Tisch gab auch öfter mal wenig oder gar nichts zu essen. Sport war kein Thema, weil das Leben an sich anstrengend genug war. Männerturnvereine kamen erst später auf und für Frauen galt Sport lange als unschicklich.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere ab den späten 60er-Jahren haben sich die Ernährungsgewohnheiten verändert. Der Konsum an Zuckern, Süssgetränken und anderen Kohlehydraten nahm zu, tierische Fette wurden durch raffinierte Pflanzenöle ersetzt, Zwischenmahlzeiten wurden zur Norm, man ass mehr, öfter und einsamer. Ab Mitte der 90er-Jahre kamen dann auch genetisch veränderte Produkte auf den Markt und die Nahrungsmittelindustrie entdeckte immer neue Tricks und Zusätze. Seit einigen Jahren versuchen wir, mit intermittierendem Fasten, Steinzeit-Diät oder Low-Carb das Rad der Zeit wieder zurück zu drehen.

Cholesterin ist enorm wichtig

Die heutigen 100-Jährigen haben das alles in ihrer Jugend auch schon praktiziert, weil es nichts anderes gab. Sie stammen überwiegend aus einfacheren Schichten und haben ihren einfachen Lebensstil und die karge aber fette Diät meist beibehalten. Wohl deshalb wurde bei den 407 über 95-Jährigen auch ein hoher HDL-Cholesterin-Gehalt und hohe Omega-3-Werte gemessen, was neuerdings wieder als gesund gilt. Langsam merken wir wieder, wie wichtig Cholesterin ist.

Doch die Ernährung erklärt nicht alles. Es kommen noch zwei weitere Faktoren dazu. Da ist zunächst einmal die positive optimistische Lebenseinstellung. Die ist einerseits genetisch bedingt, zweitens wird sie durch die Überwindung schwieriger Zeiten verstärkt. Eine positive Einstellung bedeutet weniger Stress, weniger Cortisol, weniger chronische Entzündungen, bessere Immunabwehr, längeres Leben (hier). Das kann man übrigens auch als geborener Pessimist beeinflussen. Der Trick? Man schwelge bewusst in positiven Erinnerungen an (kleine) Erfolgserlebnisse.

Zigaretten schädlicher wie Alkohol

Doch da ist noch ein anderer Punkt: Die alten Alten sind zu Zeiten aufgewachsen, als die Familien noch zahlreich waren und man meist ein Leben lang am selben Ort lebte und lebenslange Freundschaften pflegte. Wie sehr das die Gesundheit verbessert und das Leben verlängert, zeigt unter anderem diese Auswertung von 148 einschlägigen Studie mit 310'000 Teilnehmern. Dabei wurden die gängigen Gesundheitsrisiken wie Rauchen, Übergewicht, Alkoholkonsum, Luftverschmutzung, wenig Bewegung mit dem Einfluss verglichen, den ein unterschiedlicher Grad sozialer Einbettung auf die Gesundheit (gemessen an der Lebenserwartung) hat.

Ergebnis: Von allen üblichen Faktor schenkt nicht der Alkohol, sondern die Zigarette am meisten ein. Mehr als 15 Zigaretten am Tag sind rund 50 Prozent schädlicher als täglich sechs oder mehr Drinks. Ob dick oder dünn, Couch-Potato oder Sportskanone, gute oder schlechte Luft ist insgesamt etwa halb so wichtig wie Rauchen oder Saufen, aber gaaanz entscheidend ist einsam oder umringt. Schon eine bloss überdurchschnittliche soziale Einbindung vergrössert die Chance, die nächsten zehn Jahr zu überleben, um 50 Prozent - etwa gleich viel die der Verzicht auf 15 Zigaretten pro Tag. Eine wirklich gute soziale Einbindung gar einen Gewinn von 91 Prozent. Besonders wichtig ist dabei, für andere etwas tun zu können. Andere zu pflegen, bringt mehr als von guten Freunden umsorgt zu werden.

Gschpänli verlängern das Leben

Auch dafür kann man selber etwas tun, etwa indem man sich nach den Pensionierung sozial engagiert und vorher schon seinen Freundeskreis pflegt. Wenn schon Alkohol, dann gemeinsam. In erster Linie ist das aber ein gesellschaftliches Problem. Was nützt es, wenn ich – wie die meisten der 407 Oldies unserer Studie - sesshaft bleibe, alle meine Freunde und sämtliche Ehepartner aber alle paar Jahre versetzt werden? Wenn ich auf den Spielplatz gehe, aber alle meine «Gschpänli» keine mehr sind, weil sie zuhause vor dem Fernseher sitzen oder mit ihrem Handy spielen? Der Fortschritt hat seinen Preis – aber der steht leider nicht auf der Etikette, sondern versteckt sich in komplexen Studien.

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