Peter Wirz galt als Psychopath und wird erst jetzt als Künstler entdeckt
Eingesperrt, kastriert – und erst jetzt erkannt

Der Basler Peter Wirz lebte am Rande der Gesellschaft und wurde für sein Anderssein grausam bestraft. Erst jetzt wird er als Künstler entdeckt.
Publiziert: 07.03.2021 um 11:11 Uhr
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Aktualisiert: 08.03.2021 um 12:03 Uhr
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Immer wieder geht es in Wirz’ Zeichnungen auch um körperliche Übergriffe.
Lilith Frey

Auf einer Zeichnung notierte Peter Wirz: «Die Todestreppe, auf dieser stirbt man zwar nicht, aber sie ist mir so in den Sinn gekommen.» Eine dunkle Fantasie in leuchtenden Farben, dominiert von lichtem Türkis? Peter Wirz, dessen qualvolles Leben und die rettende Kunst untrennbar miteinander verknüpft sind, war Basler. Die öffentliche Anerkennung blieb ihm bis zu seinem Tod versagt. Sein Neffe Andres Müry und Peters Halbbruder Adi Wirz beleuchten in der wundervollen Broschüre «Wirziana. Die andere Welt des Peter Wirz» seine künstlerische Leistung.

Das Elend begann mit der Geburt 1915 in Zürich. Die Ärzte stellen bei Kind und Vater Syphilis fest. Peter ist für immer lädiert, sein Vater, kuriert, wendet sich ab von seinem Sohn. Die Eltern Elisabeth und Paul Wirz waren Cousine und Cousin ersten Grades. In ihrer Familie gab es erbliche Belastungen. Seine Familie besass eine profitable Seidenbandfabrik in Moskau. Die russische Revolution zwang sie 1917 zur Rückkehr in die Schweiz, nach Basel.

Ein Leben im Anderssein

Peter wuchs bei Geschwistern der Mutter auf. Mit fünf Jahren erlebt er, wie seine Mutter bei einer gemeinsamen Bootsfahrt im Rhein ertrinkt. Freitod oder Unfall? Das Rätsel blieb. Sein Vater heiratete noch zweimal, für Peter aber gibt es keine familiäre Geborgenheit, eine Annahme seines Andersseins erfuhr er nicht.

Die Schule klappte nicht, der Wunsch, Grafiker zu werden, scheiterte. Es folgten Erziehungsheime, wechselndes Untermieterdasein, eine Gärtnerlehre. Peter zeichnete. Ein erstes erhaltenes Bild, «Das Brotlaibchen», entstand 1930. Unbeholfen, aber öffentlich anstössig versuchte er, mit Zeichnungen an Mädchen heranzukommen. Ärzte stellten Debilität und Psychopathie fest, Peter, jetzt 23, wird entmündigt. Zwölf Jahre später, er onanierte öffentlich an Velosatteln, Einweisung in die Psychiatrische Klinik. Diagnose: schizoider Psychopath, er wird kastriert. Mutter ertrunken, Entmündigung, Kastration – eine Zeichnung mit vertikalen Farbstreifen betitelte er später mit «Ein Messer und zugleich ein Boot auf dem Wasser». Ab den 70er-Jahren keine Zeichnungen mehr. Psychopharmaka gegen Depression behinderten seine Kreativität. Letzte Station: Basler Kantonsspital. Peter Wirz starb 2000, er wurde 85 Jahre alt.

Wirz bändigt sein Lebenschaos in klaren Farben

So verdunkelt sich das Leben von Peter Wirz auch gestaltete, so sehr liebte er frohe Farben. Auffallend ist die Kühnheit der Farbkombination. Die «Melodie» erscheint in Rosa, Gelb, Blau, Lila, die grausame «Züchtigung eines Kindes» in Grün und Gelb, die grüne Polizeiuniform im rosa Rechteck, eingerahmt von Gelb, mit blasslila Rand. Buntstifte, Bleistifte, DIN-A4-Karton, Papier, Papierfetzen waren sein Werkzeug. Die Familie hielt ihn finanziell kurz. Immer wieder Schriftzeichen, grafische Darstellungen, Ornamente und Heraldik. Dann Erzählbilder mit einem gekreuzigten Jesus, mit der Heiligen Mutter, dem Teufel im Konzentrationslager, einer Beerdigung, der Basler Fastnacht. Zeichnungen, variierte Schriftzeichen, Menschenbilder, Träume oder geometrische Fantasien sind ganz akkurat ausgeführt. Es scheint, als bändige Peter Wirz sein Lebenschaos mit geraden Linien und klaren Farben.

Er war kein Anstaltskünstler, vom Arzt ermuntert, seine Fantasien, Ängste und Obsessionen zu Papier zu bringen. Peter Wirz war stolz, er nannte sich «Monsieur le peintre». Sein Schicksal beklagte er, die fehlende Anerkennung entmutigte ihn aber nicht. Er hinterliess rund 700 Zeichnungen. Das Lebensbuch «Wirziana» würdigt den Künstler Peter Wirz und umarmt den Menschen Peter Wirz.

Wirziana, Autor und Herausgeber: Andres Müri, Buchgestaltung Thomas Dillier


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