Mit ihren kunstvoll geschminkten Katzenaugen in allen Farben des Regenbogens hat es Rowi Singh (26) von der mittellosen Studentin zur Influencerin geschafft. Hunderttausende von jungen Frauen auf der ganzen Welt lassen sich von ihr inspirieren und experimentieren mit bunten und grafischen Lidstrichen.
Ob sie wissen, wie alt dieser Make-up-Klassiker tatsächlich ist? Der Ursprung des ältesten Make-ups der Welt geht weit zurück. Bereits im 14. Jahrhundert v. Chr. umrandete sich Königin Nofretete die Augen, genau so wie später Kleopatra (69 v. Chr.–12 n. Chr.).
Schutz für die Augen
Damit betonten sie nicht nur ihre Mandelaugen und die Zugehörigkeit zur Oberschicht – die dunkle Paste war auch ein Schutz für die Augen. «Kohle wirkt antibakteriell und entgiftend», weiss Bea Petri (67), Gründerin der Schminkbar in Zürich, die ursprünglich eine Ausbildung als Pharmaassistentin machte.
Das Gemisch aus Russ, Fetten und Mineralien enthielt in den alten Zeiten auch Bleisalz. Heute weiss man, dass das Blei das Immunsystem stimulierte – zu viel davon ist aber giftig. Die Paste wurde mit einem hauchdünnen Stab durchs Innere des Augenlids gezogen und über den Tränenkanal wieder ausgeschieden. Rund ums Auge wurde Kohle benutzt, um sich vor Sonnenlicht und Wind zu schützen, in Wüstenländern kommt der selber gemischte Kajal oder Khol bis heute zum Einsatz.
Für Schönheit und Sport
Den Trick kennen auch die Rugby-Spieler: Der Lidstrich verschluckt die Reflektion des Sonnenlichts. So wie sich Frauen von Indien bis Marokko mit der dunklen Augenumrandung bis heute vor bösen Blick schützen. Und nicht zuletzt ist da die Ästhetik des Lidstrichs – ein Schönheits- und Statussymbol im alten Ägypten, von den Griechen bis zu den Römern kopiert.
Wiederentdeckt wurde das Make-up vor über 100 Jahren – dank Nofretete. Ihre Büste wurde 1913 ausgegraben, neben ihr inspirierten weitere Funde aus dem alten Ägypten die Goldenen Zwanzigerjahre. Dazu gehörte Theda Bara (1885–1955), die in «Cleopatra» von 1917 die Hauptrolle spielte. Ihr exotisches Make-up sorgte für Furore und wurde auch von den Ikonen dieser Zeit wie der Tänzerin Josephine Baker (1906–1975) und Schauspielerin Marlene Dietrich (1901–1992) geprägt.
Glamour für jede Frau
Wichtig war in dieser Zeit aber auch der Mann hinter dem Look: Max Factor hiess ursprünglich Maksymilian Faktorowicz und wanderte 1904 aus Russland in die USA ein – berühmt wurde er als Visagist der Hollywoodstars, dann brachte er den Glamour unters Volk. 1916 begann er Lidschatten und Augenbrauenstifte zu verkaufen. Es war das erste Mal, dass solche Produkte ausserhalb der Filmbranche erhältlich waren. Factor war es, der den Begriff Make-up prägte.
Die Filmstadt Los Angeles hat dem Pionier ein Museum gewidmet. Bea Petri war öfters dort. «Er hat in den 1920er-Jahren die falschen Wimpern zum Ankleben eingeführt.» Dazu gehörte auch der kunstvolle Lidstrich, um die Klebestelle zu überschminken. «Ich glaube, so hat man entdeckt, dass dadurch das Auge optisch vergrössert und heller wird.»
Der Lidstrich der Sexbomben
Seither tauchen die Cat-Eyes über die Jahrzehnte in verschiedenen Varianten immer wieder auf. Ihren nächsten Höhepunkt erleben sie mit den weiblichen Ikonen der 50er- und 60er-Jahre, vom lasziven Pin-up-Look einer Marilyn Monroe (1926–1962) bis zur eleganten Audrey Hepburn (1929–1993) oder zum wohl sinnlichsten Wesen, das die Filmgeschichte hervorgebracht hat: Sophia Loren (87).
Und wieder erschien Kleopatra auf der Leinwand, dieses Mal verkörpert von Elizabeth Taylor (1932–2011), sie blieb dem kräftigen Lidstrich auch privat ihr Leben lang treu. Make-up war im Alltag zu dieser Zeit enorm wichtig. Petri erinnert sich: «Es gab Frauen, die sind niemals ohne Schminke vor die Haustür, nicht mal, wenn der Pöstler geklingelt hat.»
Liberalisierung des Looks
Seither hat sich der dunkle Lidstrich laufend liberalisiert. Die Nächste, die ihn sich zu eigen machte, ist das berühmte Model Twiggy (72). Ende der 1960er-Jahre sorgt sie mit dem Bananen-Eyeliner für Furore. Die Linie wird statt direkt am Wimpernbogen weiter oben an der Lidfalte über dem Auge gezogen.
Die Hippies hatten weniger Interesse an Schminke, erst mit der Punk- und Gothic-Bewegung Ende der 1970er-Jahre nahm das Katzenauge wieder neue Formen an, aber auch die Glam-Rocker griffen grosszügig zum Make-up. Selbst für Männer war der Lidstrich nicht tabu, zumindest nicht für jene im Rampenlicht. Mick Jagger (78) und David Bowie (1947–2016) verkörperten damit eine neue Männlichkeit.
Das kräftige Augen-Make-up wurde in den 1980ern so wichtig wie die breiten Schulterpolster – es war das Statement für die starke und selbstbewusste Frau. Vorbild dafür für war Blondie-Frontsängerin Debbie Harry (76), die ihre verwischten Katzenaugen zum Markenzeichen machte.
Dann war es aber vorbei mit den dicken Strichen – in den 90er-Jahren wurde der Look zusehends natürlicher. «Für mich ist Make-up eine Möglichkeit für eine Frau, ihre Vorzüge zu betonen», sagt Bea Petri. Für sie gilt: «Eine Frau sollte sich nie so schminken, dass es aussieht wie eine Maske. Anders ist das, wenn man jung ist und Neues ausprobiert. Oder wenn man auf der Bühne steht.»
Wer hat den Pinsel rausgeholt?
So Amy Winehouse (1983–2011), die den breiten Lidstrich aus den 1960er-Jahren wieder aufleben liess, sowie Lady Gaga (36) oder Adele (34). Ansonsten blieb man für die letzten zwei Jahrzehnte dem dezenten Make-up treu. Und weil wahre Schönheit von innen kommt, zeigten sich Hollywoodstars sogar völlig ungeschminkt.
Bis das wohl doch etwas fad wurde. Wer die dicken Pinsel zuerst wieder rausgeholt hat? Es müssen wohl die Kardashians gewesen sein. Tatsache ist, dass man sich heute wieder so schminkt, dass es sichtbar ist: Supermodel Bella Hadid (25) und Sängerin Dua Lipa (26) spielen mit dem Eyeliner genauso gerne wie so viele junge Frauen, die die Lust auf eine äussere Verwandlung entdeckt haben. Was wohl Kleopatra zu den bunten Looks sagen würde? Könnte sie aus dem Sarkophag steigen – sie würde es ihnen wohl gleichtun.