«Elefanten sind sehr schwer zu zählen»
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Biologin Jennifer Pastorini:«Elefanten sind sehr schwer zu zählen»

Elefanten in Sri Lanka
Ein bedrohtes Heiligtum

Elefanten werden in Sri Lanka vergöttert. Dennoch müssen sie in Tempeln arbeiten oder auf Müllhalden verenden. Warum das Land dennoch ein Paradies für die grauen Riesen ist, weiss die Schweizer Biologin Jennifer Pastorini.
Publiziert: 07.05.2022 um 12:47 Uhr
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Aktualisiert: 07.05.2022 um 13:22 Uhr
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Ein wilder Elefant im Minneriya-Nationalpark: Über 6000 der grauen Riesen wandern frei im Inselstaat herum.
Foto: Jennifer Pastorini
Katja Richard

Die Autos scheinen ihn kein bisschen zu stören, der Elefantenbulle spaziert ungerührt am Strassenrand. Die Chance, in Sri Lanka wilde Elefanten zu sehen, ist gross: Über 6000 der grauen Riesen wandern frei im Inselstaat herum, rund zwei Drittel der Elefanten leben ausserhalb der Nationalparks. Zur ersten Begegnung kommt es bereits auf der Fahrt nach Sigiriya, dem kulturellen Dreieck im Zentrum des Landes. Der Elefant durchwühlt mit seinem Rüssel den Abfall neben der Strasse nach einem Leckerbissen.

Elefant am Strassenrand: In Sri Lanka gibt es noch 6000 wilde Elefanten
Foto: Jennifer Pastorini

Eine Vorliebe der Wildtiere, die ihnen auch zum Verhängnis werden kann. Die Bilder von einem toten Elefanten auf einer Mülldeponie sorgten im Januar weltweit für Aufregung. Als Todesursache gab das zuständige Wildtierministerium Plastik an. In den letzten acht Jahren seien auf diese Weise 20 wilde Elefanten verstorben. Nun gibt es Pläne, einen Graben um die 800 mal 800 Meter grosse Deponie anzulegen, um die Elefanten am Fressen zu hindern.

Auf der Suche nach Leckerbissen

«Das ist keine Lösung, im Gegenteil», sagt Jennifer Pastorini (53). Die Schweizer Biologin erforscht seit bald zwanzig Jahren das Verhalten von Elefanten. Darauf gekommen ist sie dank ihrem Mann Pruthu Fernando (60), mit dem sie seit 2004 in Sri Lanka lebt. «Elefanten wirken trotz ihrer beeindruckenden Grösse freundlich. Mir wird es nie langweilig, sie zu beobachten, wie sie mit ihren Ohren flappen und ihren Rüssel geschickt einsetzen.» Kennengelernt hat sich das Biologenpaar an der Columbia University in New York. Als Pruthu in seine Heimat zurückkehrte, folgte Pastorini ein paar Monate später. Gemeinsam habnen sie das Centre for Conservation and Research (CCR) zur Erforschung und dem Schutz der Elefanten ins Leben gerufen.

Laut Pastorini vermittelt die Aufnahme des toten Elefanten auf der Müllhalde ein falsches Bild. «Die Elefanten leben nicht auf der Deponie», erklärt sie. «Sie hören den Lastwagen, und sobald er weg ist, kommen sie aus dem Wald und bedienen sich am frischen Abfall der Menschen, ein wahres Festessen!» Sobald die frische Ladung durchsucht ist, ziehen sich die Elefanten wieder in den Wald zurück, um nach natürlichem Futter zu suchen.

Auf der Suche nach Leckerbissen: Elefanten auf der Müllhalde.
Foto: Jennifer Pastorini

Zudem können Elefanten mit ihren hochsensiblen Rüsseln doppelt so gut riechen wie ein Hund, und dank Tausenden von feinen Muskeln sortieren sie die gewünschten Leckerbissen gekonnt heraus. Laut Pastorini sind die Tiere auf der betreffenden Müllhalde gut genährt: «Es sind dicke Elefanten.» Ob der Elefant auf der Mülldeponie tatsächlich an Plastik gestorben sind, bezweifelt die Biologin, der werde in der Regel unverdaut ausgeschieden. «Tatsache ist, dass viel mehr Elefanten in Nationalparks sterben, vor allem Jungtiere verhungern.»

Konflikt zwischen Mensch und Tier

In den letzten beiden Jahrzehnten wurden immer mehr Elefanten in Parks getrieben, die mit Elektrozäunen abgesperrt sind. «Damit leben mehr Tiere auf der gleichen Fläche, und vor allem in der Trockenzeit gibt es dann nicht mehr genug zu fressen für sie, und sie können nicht woanders hinwandern.» Wenn Mülldeponien mit Gräben unzugänglich gemacht werden, verschärft sich das Problem, denn damit nehme man vielen Elefanten eine wichtige Nahrungsquelle weg.

Jennifer Pastorini ihr Mann Pruthu aus Sri Lanka. Gemeinsam hat das Biologenpaar das Centre for Conservation and Research (CCR) zur Erforschung und dem Schutz der Elefanten ins Leben gerufen.

Meist seien es Bullen, die sich mit Vorliebe von den Küchenabfällen ernähren. «Sperrt man sie aus, gehen sie meist näher an Wohngebiete, und es kommt vermehrt zu Zusammenstössen.» Diese können tödlich enden, jedes Jahr sterben in Sri Lanka etwa 70 Menschen wegen Elefanten und 200 Elefanten in diesem Konflikt. Der Inselstaat ist nicht viel grösser als die Schweiz, weil die Bevölkerung mit derzeit 22 Millionen weiter wächst und immer mehr Land beansprucht, wird der Lebensraum für die Elefanten zusehends enger. Kommt hinzu, dass Sri Lanka derzeit in einer schweren wirtschaftlichen und politischen Krise steckt. Zuerst blieben wegen Corona die Touristen weg. Jetzt hat das Land fast keine Devisen mehr, und Treibstoff, Nahrungsmittel und Arzneimittel werden zusehends knapper und massiv teurer. Im ganzen Land bildeten sich lange Schlangen für Benzin und Gaszylinder zum Kochen, und es kommt täglich für mehrere Stunden zu Stromausfällen.

Existenz der Bauern bedroht

Wenn eine Elefantenherde das Feld eines Bauern zertrampelt oder einen Mangobaum im Garten umpflügt, ist das existenzbedrohend. Darum werden die Felder nachts bewacht, um die Bullen mit Warnschüssen zu vertreiben. Elefanten zu töten, ist illegal, trotzdem kommt es vor. «Das geschieht aber meist aus Not», so die Biologin. Denn anders als etwa in Afrika sind Elefanten nicht wegen Elfenbein bedroht, noch werden sie für gut betuchte Touristen zum Abschuss freigegeben. Das hat auch mit der Mentalität der Inselbewohner zu tun. «Sie sind sehr tolerant gegenüber Wildtieren. Und sie essen auch nicht alles, was rumläuft, oder verwerten die Überreste zu Souvenirs», sagt Pastorini. Darum sei die Insel im Indischen Ozean auch so artenreich: «Allein in unserem Garten gibt es hundert verschiedene Vogelarten.»

Elefanten werden in Sri Lanka geradezu vergöttert: Als Verkörperung von Buddha selbst gelten die Tiere als heilig. Sie symbolisieren Stärke, Mut und bringen Glück, darum halten viele Tempel einen Elefanten. Der wichtigste ist der jeweils amtierende Raja, feierlich geschmückt trägt er jedes Jahr die heiligsten Reliquien – darunter auch den Zahn Buddhas – in einem goldenen Gefäss durch die Menschenmenge in der Stadt Kandy. Wie beliebt der heiligste Elefant ist, zeigt die Trauer um ihn: Anfang März ist Nadugamuwa Raja im Alter von 68 Jahren verstorben. Zahlreiche Menschen pilgerten zu den sterblichen Überresten des Tiers, um Abschied zu nehmen und noch einmal Rajas Stosszähne zu berühren. Er wurde posthum zum «nationalen Schatz» erklärt, seine Überreste sollen ausgestopft werden.

Trauer um Raja: Der heiligste und wichtigste Elefant in Sri Lanka wurde posthum zum «nationalen Schatz» erklärt.
Foto: keystone-sda.ch

Trauer um den Raja

Raja war der «Chef» von hundert ausgewählten Elefanten, die jedes Jahr an verschiedenen Prozessionen teilnehmen. Eine Tradition, die Tierschützern ein Dorn im Auge ist. «Elefanten sind Wildtiere. Sie werden mit einer äusserst brutalen, geradezu unmenschlichen Weise ‹ausgebildet›. Das hinterlässt tiefe Narben auf dem Körper und der Seele des Elefanten», sagt Gieri Bolliger, Geschäftsleiter von Tier im Recht. Zudem sind es soziale und intelligente Tiere, die abgesehen von den Bullen in Herden leben. Als Arbeitselefanten bleiben sie ein Leben lang in Gefangenschaft, meist in Ketten und getrennt von ihrer Familie.

Nach all den Jahren in Sri Lanka kann die Biologin Pastorini nachvollziehen, dass es nicht leicht ist, mit so tief verwurzelten Ritualen zu brechen. «Das ist ein bisschen so, wie wenn man den Zünftern am Sechseläuten die Pferde verbieten würde.» Problematisch findet sie die Haltung der Tempel-Elefanten, zudem seien es zu viele: «Statt über hundert würde auch ein halbes Dutzend für die Zeremonien reichen.» Zudem werden die Tiere auch als Arbeitselefanten verliehen, etwa, damit Touristen auf ihnen reiten können.

Elefantenreiten ist tabu

Das ist laut dem Sri-Lanka- und Indien-Spezialisten Hans Wettstein (58) von Insight Reisen längst tabu – zumindest für Reisende aus der Schweiz: «Vor Ort wird Elefantenreiten aber noch immer angeboten, und das wird so bleiben, solange es eine Nachfrage gibt.» Er empfiehlt den Besuch von einem der vielen Nationalparks, die im ganzen Land verteilt sind: «Damit unterstützt man auch den Lebensraum von Elefanten, anderen Tieren und sichert auch die Existenz der Menschen, die dort arbeiten.» Zudem sei es ein völlig anderes Erlebnis, Elefanten in Freiheit zu begegnen.

Am schönsten im Nationalpark zu beobachten, ein Elefant im Yala.
Foto: Picasa

Wenn es nach Tierschützern geht, soll die Freiheit der Elefanten denn auch nicht mit Gräben eingeschränkt werden. Die lokale Umweltschutzorganisation Centre for Environmental Justice will solche Projekte gerichtlich stoppen lassen. Denn diese würden mehr Schaden als Nutzen bringen. Zum einen könnten sie die gewohnten Wanderrouten von Wildtieren behindern, zum anderen könnten Elefanten und andere Tiere in die Gräben fallen und sterben. Zudem könnten die Gräben das Ökosystem sowie den Grundwasserspiegel beeinträchtigen.

Das macht die Arbeit von Jennifer Pastorini so wichtig. «Bevor man Massnahmen ergreift, ist es wichtig, das Verhalten der Elefanten zu beobachten, um wissenschaftliche Grundlagen für das friedliche Nebeneinander von Mensch und Tier zu schaffen», sagt sie. Zäune seien durchaus sinnvoll, aber am richtigen Ort, etwa, wenn eine Siedlung oder Hotel neu gebaut wird oder um ein Dorf herum. «Am besten wäre es natürlich, wenn der Abfall getrennt wird, damit die Elefanten nur den fressbaren Teil bekommen.»

Streicheln statt Reiten

Freundschaft schliesst man mit einer Banane: Elefantendame Kumari streckt mir ihren Rüssel entgegen, sie hat weniger Berührungsängste als ich. In Sri Lanka wird vielerorts Elefantenreiten angeboten, das «Elephant Freedom Project» bietet eine Alternative. Im kleinen Familienunternehmen der Anandas sind derzeit zwei Elefanten untergebracht: Sie heissen beide Kumari, was so viel wie «Prinzessin» heisst. Sie sind 54 und 46 Jahre alt und haben fast ihr ganzes Leben als Arbeitselefanten verbracht.

Begleitet werden die beiden von ihren Mahouts, zwar tragen die Elefantenführer ihren Ankus mit, den Stock mit Widerhaken setzen sie jedoch nicht ein, der sei nur zur Sicherheit. «Die Tiere werden bei uns in keinster Weise misshandelt», versichert Mister Ananda.

Allerdings sind die Elefanten nur gemietet. Ananda: «Man kann sie nicht freikaufen, die Besitzer sind wohlhabend und einflussreich. Und weil es inzwischen zum Glück verboten ist, wilde Elefanten einzufangen, gibt es auch immer weniger in Gefangenschaft. Darum sind sie unbezahlbar.» Immerhin müssen die beiden nicht den ganzen Tag Touristen auf dem Rücken herumschleppen, Ketten werden ihnen nur nachts angelegt, eine Bedingung der Besitzer.

Tagsüber begleitet eine kleine Touristengruppe die Elefantendamen auf einen Spaziergang, beim Bad im Fluss schrubben und streicheln wir ihren Rücken, sie scheinen es zu geniessen. Natürlich darf das Erinnerungsfoto nicht fehlen: Dafür posieren die beiden Kumaris gekonnt. Aber echte Freiheit, die sieht anders aus.

Sonntagsblick-Redaktorin Katja Richard mit Elefant Kumari.
zvg

Freundschaft schliesst man mit einer Banane: Elefantendame Kumari streckt mir ihren Rüssel entgegen, sie hat weniger Berührungsängste als ich. In Sri Lanka wird vielerorts Elefantenreiten angeboten, das «Elephant Freedom Project» bietet eine Alternative. Im kleinen Familienunternehmen der Anandas sind derzeit zwei Elefanten untergebracht: Sie heissen beide Kumari, was so viel wie «Prinzessin» heisst. Sie sind 54 und 46 Jahre alt und haben fast ihr ganzes Leben als Arbeitselefanten verbracht.

Begleitet werden die beiden von ihren Mahouts, zwar tragen die Elefantenführer ihren Ankus mit, den Stock mit Widerhaken setzen sie jedoch nicht ein, der sei nur zur Sicherheit. «Die Tiere werden bei uns in keinster Weise misshandelt», versichert Mister Ananda.

Allerdings sind die Elefanten nur gemietet. Ananda: «Man kann sie nicht freikaufen, die Besitzer sind wohlhabend und einflussreich. Und weil es inzwischen zum Glück verboten ist, wilde Elefanten einzufangen, gibt es auch immer weniger in Gefangenschaft. Darum sind sie unbezahlbar.» Immerhin müssen die beiden nicht den ganzen Tag Touristen auf dem Rücken herumschleppen, Ketten werden ihnen nur nachts angelegt, eine Bedingung der Besitzer.

Tagsüber begleitet eine kleine Touristengruppe die Elefantendamen auf einen Spaziergang, beim Bad im Fluss schrubben und streicheln wir ihren Rücken, sie scheinen es zu geniessen. Natürlich darf das Erinnerungsfoto nicht fehlen: Dafür posieren die beiden Kumaris gekonnt. Aber echte Freiheit, die sieht anders aus.

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