Kennen Sie dieses Gefühl? Manchmal möchte man einfach aus dem Leben verschwinden. Bestsellerautorin Clara Maria Bagus (47) trifft mit ihrem neuen Roman «Der Klang von Licht» den Nerv der Zeit: In Ihrem Buch geht es um verschiedene Menschen, die allesamt aus ihrem Leben verschwinden wollen. «Sie alle halten es nicht mehr aus. Dieses Funktionieren-Müssen, diesen täglichen Kampf und das Gefühl, dass jeder an einem zerrt, bis man irgendwann selbst nicht mehr weiss, wo der andere aufhört und man selbst anfängt», sagt die Autorin.
Für Bagus ein Gefühl, das sie selbst gut kennt: «Die Welt ist anstrengender geworden. Laut, schnell, grell. Immer muss man gut drauf sein und funktionieren.» Keiner habe mehr Zeit, innezuhalten: «Wir sind wie Mäuse im Laufrad des Lebens. Wir rennen schneller, das Rad dreht sich schneller, bis wir rausfliegen.»
Druck der Selbstoptimierung
Jeder steht unter dem Druck der Selbstoptimierung. «Dabei ist es für manche Menschen schon schwierig genug, zu existieren», sagt sie. Genau diesen Menschen will Bagus in ihrem Buch eine Stimme geben. Den Leisen, den Feinsinnigen, den vom Schicksal Gebeutelten. All jene, die im Schatten oder am Rand der Gesellschaft stehen, möchte sie ins Licht rücken. «Mentale Erschöpfung oder gar psychische Krankheiten werden noch viel zu sehr verurteilt. Dabei sind Letztere meist nichts anderes als eine Stoffwechselstörung im Gehirn. Für körperliche Leiden gibt es viel mehr Verständnis», sagt die Psychologin, die lange Zeit in der Hirnforschung tätig war.
Und dass das Schicksal bei jedem zuschlagen kann, weiss Bagus besser als die meisten. Sie ist mit einer geistig behinderten Schwester aufgewachsen, und ihre Mutter starb früh an Leukämie. Als junge Frau kam sie selbst bei einem Autounfall beinahe ums Leben. Ein Betrunkener rammte ihren Wagen mit 160 km/h. «Dass ich überlebt habe, ist ein Wunder», sagt sie. «Ich hatte körperlich einen Totalschaden.»
Sie bleibe dankbar und demütig. Denn neben all den Schicksalsschlägen habe das Leben sie auch reich beschenkt. Mit ihrem Mann und ihren Zwillingsbuben und damit, dass sie in einem so schönen und privilegierten Land wie der Schweiz leben dürfe.
Versöhnung mit dem Tod
Verheiratet ist Bagus mit dem Bestsellerautor Rolf Dobelli (56), schreibt jedoch bewusst unter dem Pseudonym Clara Maria Bagus, dem Mädchennamen ihrer Mutter, um nicht als «Frau von» betitelt zu werden. Das Paar hat achtjährige Zwillingsbuben. «Von aussen betrachtet könnte man denken, bei uns sei alles perfekt.» Doch vom Schicksal bleibt sie nicht verschont. Einer der Zwillingsbuben war 2020 an einem hochaggressiven Lymphdrüsenkrebs erkrankt. Nach einem Jahr Chemotherapie durfte die Familie etwas aufatmen: «Der Tod hat seine Fingerspitzen in letzter Sekunde von unserem Sohn gelöst, und dafür bin ich unglaublich dankbar. Wenn eines meiner Kinder gestorben wäre – das hätte mich gebrochen.»
Dem Tod widmet Bagus in ihrem neuen Roman auf besondere Weise ihre Aufmerksamkeit: Er ist der Erzähler. «Ich habe mich mit ihm angefreundet, für mich ist er ein sympathischer Mann, einer, mit dem man gerne ein Glas Wein trinken würde.» Sie nimmt uns damit den Schrecken vor dem Tod und lässt uns ihm auf liebevolle Weise begegnen. Er klopft an die Tür, geht aber wieder, wenn es noch nicht so weit ist. Für Bagus ist das Schreiben eine Art literarisch verpacktes Antidepressivum: «Mit einem Buch kann ich viel mehr Menschen erreichen als in einer einzelnen Therapiestunde.» Ihr Ziel ist es, Trost und Hoffnung zu schenken. Und so dramatisch ihre Bücher auch beginnen, belohnt sie den Leser am Schluss. «Auch wenn sich das Leben von Zeit zu Zeit wie das Ende von allem anfühlt, bleib zuversichtlich: Manchmal fällt ein Stern vom Himmel und bringt alles ins Reine.»
«Der Klang von Licht»: Ein Roman vom Verschwinden und Sich-Finden von Clara Maria Bagus, Piper.
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