Foto: Allie Oops

Der Penis ist nicht mehr im Rampenlicht
Porno wird weiblich

Herkömmliche Pornos sind aus der Perspektive des machoiden Stechers gedreht. Nun realisieren immer mehr Frauen Erwachsenenfilme, von denen sich nicht nur Männer angesprochen fühlen sollen.
Publiziert: 16.02.2020 um 13:28 Uhr
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Aktualisiert: 20.02.2020 um 12:49 Uhr
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Bildausschnitt aus einem feministischen Porno. Neben dem Sex wird viel geredet.
Foto: Allie Oops
Jonas Dreyfus

Das Schlafzimmer, in dem es gleich zur Sache geht, ist lichtdurchflutet und voller Pflanzen. Hier könnte ein Künstler mit einem Faible für Sukkulenten wohnen.

Es dient als Kulisse für einen sogenannt feministischen Porno. Talaya Schmid (36), Co-Direktorin des Film- und Kunstfestivals Porny Days in Zürich, zeigt ihn dem Journalisten in ihrem Atelier im Kreis 4 am Laptop. Ein Beispiel dafür, dass Sexfilme auch anders daherkommen können als in einer grellen Hochglanz-Ästhetik. Mit Darstellern, deren Körper zwar schön sind, aber etwas durchschnittlicher als die der aufgespritzten, aufgepumpten Klischee-Pornostars.

Aber was ist daran feministisch? «Dass die Sicht auf Sex hier nicht auf das Stereotyp des weissen, heterosexuellen Mannes ausgerichtet ist», sagt Schmid. Wie sich das äussert, wird sie später noch bei einer Szenenanalyse erklären. Die Zürcherin ist Expertin für diese Art von Film, arbeitet als Künstlerin und setzt sich in Performances mit einem positiven Bild von Sexualität und Körpervielfalt auseinander.

Filmfestivals als Hotspot

In den vergangenen fünf Jahren hat sich in der Schweiz eine junge, urbane Untergrundszene etabliert, die Sexualität in all ihren Facetten feiern will. Das tut sie an Filmfestivals in der ganzen Schweiz. Die Porny Days zogen bei ihrer siebten Ausgabe Ende 2019 rund 3500 Interessierte an. Auf dem Programm stand eine neue Art Pornografie von zahlreichen Regisseurinnen. Darunter Lucie Blush (32) aus Berlin, Jennifer Lyon Bell (50) aus Amsterdam oder Erika Lust (43) aus Schweden. Von ihren Produktionen sollen sich Frauen angesprochen fühlen – aber nicht nur.

Laut Schmid macht gerade das diese Filme aus: dass sie niemanden ausschliessen. Ein Publikum mit verschiedenen Hintergründen, Herkünften und Körperformen soll sich mit dem, was es sieht, identifizieren können. Einvernehmen und Safer Sex stehen bei den Produktionen im Vordergrund. «Keine Darstellerin und kein Darsteller soll sich ausgebeutet fühlen, weder physisch noch finanziell. Feministische Pornografie ist immer ethische Pornografie.»

Für Netflix Doku gedreht

Immer öfter gelangen diese neuen Ansätze in die Mainstream-Pornografie. Grosse Labels produzieren extra feministische Filme, weil sie an alternativen Festivals vertreten sein wollen. Das Thema fasziniert: Erika Lust, eine der kommerziell erfolgreichsten Regisseurinnen für ethische Pornografie, hat es sogar ins Angebot des Streaming-Giganten Netflix geschafft, wo sie in einer Doku zu sehen ist.

An ihr zeigt sich, wie schwierig es ist, Ethik und Geschäft zu vereinbaren: Jüngst warf ihr ein männlicher Darsteller vor, seine Grenzen bei einem Dreh nicht respektiert und ihn aus Zeitdruck zum Weitermachen gedrängt zu haben. Der Fall warf in der Szene hohe Wellen.

«Ist es okay, wenn ich das hier mache?»

In der Sukkulenten-Wohnung tun die Frau und der Mann jetzt Dinge, die zu explizit sind, um sie hier zu beschreiben. Dazu läuft cooler, elektronischer Sound. Schmid macht darauf aufmerksam, dass Geschlechtsteile immer im Kontext des ganzen Körpers gezeigt werden. Grossaufnahmen gibt es selten.

Die hellhäutige Frau mit den Retro-Tattoos und dem pinken Lidschatten spricht immer wieder mit ihrem Partner, einem dunkelhäutigen Mann mit dünnen, zu einem Dutt gebundenen Dreadlocks. Und er mit ihr. «Ist es okay, wenn ich das hier mache?» – «Ja.» – «Fühlt sich das hier gut an?» – «Nicht wirklich.»

Obwohl es sich um professionelle Darsteller handelt, wird hier nichts gespielt, die Dialoge folgen keinem festen Drehbuch. Die Mainstream-Pornografie, sagt Schmid, sei darauf ausgerichtet, den Konsumenten so schnell wie möglich vom Gefühl der Erregung zu erlösen. «Sie endet immer mit der Ejakulation des Mannes.»

Pornos ohne Bild

Ganz anders bei feministischer Pornografie, wo der Penis nicht im Zentrum stehe und die Lust zeitlich ausgedehnt werde. Zu der Sparte gehören auch sogenannte Doku-Pornos, die echte Paare nicht nur beim Sex zeigen, sondern alle emotionalen Aspekte ihrer Beziehung ausleuchten. Oftmals in Form von Podcasts, bei denen die Paare beim Sprechen (und Stöhnen) zu hören sind.

Viele Menschen hätten das Gefühl, das Porno-Angebot sei gottgegeben wie das Wetter, sagt Schmid. «Wir vergessen, dass Pornografie ein Teil unserer Kultur ist, den wir mitgestalten können. Schon allein, indem wir mit unserem Konsumverhalten das Angebot steuern.»

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