Darf man nachtragend sein?

Publiziert: 03.10.2007 um 22:22 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2018 um 19:31 Uhr

Pro von Silvia Aeschbach

Falls Sie der Text meines Gegenübers irritiert, dann geht es Ihnen wie mir: Ich verstehe nur Bahnhof.

Sie wundern sich, dass ich so unbeschwert an ihm Kritik üben kann? Da er erklärtermassen nicht zur nachtragenden Spezies Mensch gehört, muss ich keinerlei Sanktionen befürchten. Wie schön.

Darf man nachtragend sein? Aber sicher! Doch mit der Einschränkung: Nur bei schwerwiegenden Vergehen.

Kleingeistig ist, wer dem Nachbarn nachträgt, dass er nicht «Guten Morgen» gesagt hat. Wer auf die Freundin sauer ist, weil sie einmal vergessen hat zu telefonieren. Wer tagelang mit sich und der Welt hadert, nur weil er sich vom Chef benachteiligt fühlt.

Wer aber umgekehrt NICHT nachtragend ist, wenn er hinterlistig behandelt wurde, dem ist nicht zu helfen. Wer verzeiht, wenn er böswillig in die Pfanne gehauen wurde, ist selber schuld.

Und wer jene entschuldigt, die vornherum freundlich lächeln und hintenrum über einen herziehen, ist entweder etwas dumpf oder lebt nach dem christlichen Prinzip: Wenn mich einer schlägt, halte ich ihm noch die andere Backe hin. Habakuk!

Vielleicht ist es eine Schwäche von mir, aber habe meinem Kindsgigspänli Walterli bis heute nicht vergessen, dass er mir meinen Rossschwanz abgeschnitten hat. Und Daniela, dass sie mir meinen Freund ausgespannt hat. Und meinem Lehrer, Herrn B., dass er mich vor meiner Klasse brüskierte.

Mein Elefantenhirn lässt es leider nicht zu, echte Gemeinheiten zu vergessen.

PS: Falls sich die hier Angeschuldigten bei mir mit reinem Herzen entschuldigen möchten: Ich wäre grossmütig bereit, das Ganze neu zu überdenken und eventuell zu vergeben.

Contra von Silvan Grütter

Ich mache es Ihnen jetzt mal ganz einfach. Und zwar erzähle ich Ihnen eine Geschichte. Die vom Hasen und vom Fuchs.

Es war einmal ein Hase. Der lebte in einem schönen Wald an einer schönen Wiese an einem schönen See. Der Hase war glücklich, es war Sommer und er war frisch verliebt.

Er hatte in dieser Nacht besonders gut geschlafen, wurde durch die ersten Sonnenstrahlen in seinem Bau geweckt und machte sich frühmorgens auf, um seine Häsin zu treffen.

Also zog er los und traf als Erstes einen Frosch. Und der Hase fragte den Frosch: «Frosch, wie soll ich meiner grossen Liebe am besten meine grosse Liebe zeigen?» Aber der Frosch bliebt stumm und der Hase ging weiter.

Bis er eine Eule traf. Und er die Eule fragte: «Eule, wie soll ich meiner grossen Liebe am besten meine grosse Liebe zeigen?» Aber die Eule bliebt stumm und der Hase ging weiter.

Bis er den Fuchs traf. Und er den Fuchs fragte: «Fuchs, wie soll ich meiner grossen Liebe am besten meine grosse Liebe zeigen?» Aber der Fuchs blieb stumm, biss ihm den Kopf ab und verspeiste ihn dann mit Haut und Haaren.

Ende der Geschichte.

Und jetzt können Sie sich selber fragen, was es IHNEN bringt, wenn Sie es mir nachtragen, dass Sie die ganze Geschichte umsonst gelesen haben. Tja ... so einfach ist das manchmal.

Also, darf man nachtragend sein?

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