Es ist ein perfider Plan: Ein Arzt will die Seelen der Sterbenden einfangen und sich selbst eine neue Seele daraus erschaffen. Deshalb beginnt Kaminski, so sein Name, zu morden. Um die Seelen seiner Opfer zu fangen, stülpt er ihnen bei ihrem letzten Atemzug ein Fläschchen über den Mund, das er dann schnell verschliesst. Anschliessend destilliert er den Extrakt der Seele in Gut und Böse. Alles mit dem Ziel, eine perfekte Seele zu schaffen und damit zu kompensieren, dass er nie Liebe erfahren durfte.
Dem dunklen Treiben auf die Spur kommt der junge Glasbläser Aviv. Er versucht, den Arzt zu stoppen und die gefangenen Seelen zu befreien. Doch der Weg dorthin ist schwer. Autorin Clara Maria Bagus beschreibt ihn in ihrem neuen Buch «Der Duft des Lebens», ein durch und durch ungewöhnliches Werk. Es ist spannend wie ein Krimi, entführt den Leser in eine andere, zeitlose Welt und entlässt ihn vollgepackt mit Lebensweisheiten und Denkanstössen.
Clara Maria Bagus, Ihr neues Buch ist voll von Tod und Sterben, das Sie sehr plastisch beschreiben. Wie viele Menschen haben Sie schon sterben gesehen?
Clara Maria Bagus: Dem Tod begegnet bin ich schon viel zu oft. Sterben sehen habe ich meine Grosseltern und kurz darauf meine Mutter, als ich 33 und sie 57 Jahre alt war. Die eigene Mutter sterben zu sehen, ist eine existenzielle Erfahrung, die mich durch und durch geprägt hat. Das, was ich dabei erlebt und empfunden habe, habe ich in der ersten Sterbeszene meines neuen Buches beschrieben. Dort, wo Kaminski entdeckt, dass es wirklich eine Seele gibt.
Sie beschreiben den Moment des Sterbens als Moment des Lichts, des Neuanfangs. Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Ich habe die Hoffnung, dass es weitergeht. Wenn das Einzige, was den toten Körper vom lebendigen unterscheidet, die mit dem letzten Atemzug aus dem Körper gewichene Energie ist, lässt sich vermuten, dass diese Energie die Seele ist. Das, was den Menschen ausmachte. Die Lebensenergie, die auch dann bleibt, wenn keine Person mehr da ist.
Das klingt schon fast esoterisch.
Das ist es nicht. Die moderne Welt hat den Anspruch, alles erklären zu können. Aber es gibt kein Wissen über die letzten Dinge. Nur wenn sich etwas wissenschaftlich nicht erklären lässt, heisst es nicht, dass es das nicht gibt. Die Absenz von Evidenz ist nicht die Evidenz von Absenz. Nach Hermann von Helmholz' Gesetz der Energieerhaltung, das er einst für die Physik aufgestellt hat, geht Energie nicht verloren, Atome schliessen sich lediglich zu neuen Gebilden zusammen. Warum soll das nicht auch für die Seelenenergie gelten?
Woher kommt Ihre Faszination für die Seele?
Wir machen uns in der modernen Gesellschaft frei von Religionen, Traditionen, Konventionen. Von Dingen, die uns früher Anleitungen zur Lebensführung gegeben haben. Einerseits schafft das zwar Freiheit, andererseits hinterlässt es eine Lücke, die wir nicht selten mit Unwesentlichem füllen. Unser Leben platzt aus allen Nähten, aber das Wesentliche hat keinen Platz mehr. Dafür will ich den Blick schärfen. Die Zeit ist reif für mehr Menschlichkeit: Seelengrösse statt Egogrösse.
Gut und Böse spielen eine sehr grosse Rolle in Ihrem Roman. Man merkt: Sie glauben nicht, dass ein Mensch durch und durch Böse sein kann.
Davon bin ich überzeugt. Es gibt nicht den bösen Menschen. Wenn er nicht eine pathologische Hirnveränderung hat, kann er nicht nur böse sein. Mir geht es auch darum: Wer kann schon von sich selber sagen, was aus ihm geworden wäre, wenn er unter anderen Umständen gross geworden wäre. Es ist keine grosse Leistung, günstige Bedingungen anzunehmen und ein friedvoller Mensch zu sein. Aber es ist eine grosse Leistung, ungünstige Lebensbedingungen zu akzeptieren und ein friedvoller Mensch zu bleiben – ohne zu verbittern oder daran zugrunde zu gehen. Die grossen Leistungen sind auf den Schattenseiten des Lebens zu finden. Wir reden immer davon, die Welt zu einer besseren zu machen. Jeder kann im Kleinen anfangen. Nur wer mit sich selbst in Frieden ist, kann anderen Frieden bringen.
Was wollen Sie dem Leser mitgeben?
Dass es nach dem Tod weitergeht. Und dass die Menschlichkeit eine grosse Kraft ist: Jeder kann etwas für die tun, die mit weniger Chancen aufwachsen als er selbst.
Sind Sie selbst religiös?
Ich glaube zwar nicht an Gott, aber an etwas, das alles zusammenhält und das das Menschliche ausmacht. Es ist für mich nicht eine Person, sondern eine Kraft.
In Ihrem Buch wird gemordet, es liest sich manchmal wie ein Krimi – aber es ist kein Krimi.
Ich hatte vor, einen Krimi zu schreiben, und habe es als Krimi konzipiert. Aber ich musste am Schluss feststellen: Ich bin nicht die typische Krimiautorin – weil es mir zu wichtig ist, das Gute in die Welt zu tragen. Ich kann die Leute nicht durch und durch böse sein lassen. Deshalb ist es jetzt ein Roman mit Aspekten eines Krimis geworden.
Wann geht es nach diesem Roman weiter?
Ich brauchte nach «Der Duft des Lebens» eine Schreibpause. Ich hatte das Gefühl, meine eigene Seele in dieses Buch hineingeschrieben zu haben. Nach Abgabe des Manuskripts fühlte ich mich leer und erschöpft. Nun kommt die Kraft zurück, und damit die Ideen für das nächste Buch. Anfang November will ich wieder am Schreibtisch sitzen.
*Clara Maria Bagus hat in den USA und Deutschland Psychologie studiert und war in der Hirnforschung tätig. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie schon als 8-Jährige. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in Bern. Clara Maria Bagus ist ihr Künstlername, eigentlich heisst sie Sabine Dobelli. Schon ihr erstes Buch schrieb sie unter ihrem Künstlernamen, der auch der Name ihrer verstorbenen Mutter ist. Sie ist die Frau von Erfolgsautor Rolf Dobelli, doch sie wollte es allein schaffen, deshalb das Pseudonym. «Damit ich nicht als ‹Frau von› wahrgenommen werde», wie sie sagt. «Die Leser sollten selbst entscheiden, ob es meine Bücher braucht oder nicht.»