Betroffene Schweizer wie Colvin Aeschbacher erzählen
Wenn Menschen von vorne anfangen müssen

Sie hatten grosse Träume: vom Auswandern, lebenslangen Eheglück, Erfolg in der eigenen Firma. Doch es kam anders. Hier sprechen Menschen, die noch einmal von vorn anfangen mussten, über Niederlagen und was ihnen in der Krise Kraft gab. Den Anfang macht Colvin Aeschbacher, der in Amerika Fuss fassen wollte – und scheiterte.
Publiziert: 21.07.2015 um 21:26 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2018 um 02:01 Uhr
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Für Colvin platzte der Amerika-Traum. Zusammen mit seiner Ehefrau Alysa lebt er jetzt wieder in der Schweiz.
Foto: Sabine Wunderlin
Von Attila Albert

Es hätte alles klappen müssen mit dem neuen Leben in den USA. Colvin Aeschbacher (25) aus Zürich ging dort ab 2005 zur Schule, blieb und arbeitete hart. Er hatte sogar Verwandte in seiner neuen Heimat – und schaffte es trotzdem nicht.

Ein Lebenstraum in Scherben: Fast alle von uns kennen entsprechende Rückschläge. Eine Ehe scheitert, eine Karriere­hoffnung erfüllt sich nicht, die eigene Firma geht pleite. Was aber hilft uns, in solchen Momenten nicht aufzugeben, sondern uns wieder aufzurappeln? Beraterin und Autorin Dr. Sibylle Tobler (52) sagt: «Der Blick nach vorn – auch wenn Vergangenes noch schmerzt.»

Colvin Aeschbacher war mit grossen Hoffnungen ins Ausland gegangen: «Freiheit, der amerikanische Traum, in dem jeder alles schaffen kann.» Die Realität, die er vorfand, war aber eine andere: Kellnerjobs für 1,85 Dollar pro Stunde plus Trinkgeld, ewige Unsicherheiten, ständige existenzielle Ängste und Sorgen.

Er wusste, dass er noch mal von vorn beginnen kann

«Manchmal war es so schlimm, dass wir Blut spenden gingen, weil wir die 20 Dollar, die man dafür bekommt, fürs Essen brauchten. Aber selbst hier drängten sich Dutzende im Wartezimmer der Arztpraxis.»

Mit seiner Frau Alysa (22), die er in seiner neuen Heimat Utah kennengelernt und geheiratet hatte, lebte er manchmal wochenlang von Kartoffeln, weil der Zehn-Pfund-Sack nur 68 Cent kostete. Schliesslich kam der Tag, als beide zeitgleich ihre Kellnerjobs verloren: Das Restaurant, in dem sie arbeiteten, war verkauft worden. Beide waren sofort raus, Amerika kennt keinen Kündigungsschutz, und statt Arbeitslosengeld gabs nur einige Lebensmittelmarken.

«Mit Hilfe von Verwandten ­hatten wir kurz vor den Kündigungen Flugtickets in die Schweiz ­gekauft, um zu Hause Weihnachten zu feiern», sagt Aeschbacher. «Wir sahen uns an und wussten: Genug, so wollen wir nicht länger leben, wir zügeln definitiv in die Schweiz.» Das war 2012.

Kraft für den Neuanfang fand Colvin in dem Gedanken, dass sich seine Familie zu Hause auf ihn und seine Frau freute – und er noch ­immer alle Möglichkeiten hatte. Mittlerweile hat er eine Ausbildung als Automechatroniker nachgeholt und plant ein Ingenieur­studium. Seine Frau arbeitete erst als Kindermädchen, jetzt als Fotografin. Auf Youtube («Mr. & Mrs. Vlogs») berichten sie von ihrem Alltag in der alten neuen Heimat. Sie leben heute in einer hübschen, liebevoll eingerichteten Zwei-Zimmer-Wohnung am Rand von Zürich.

Fotos erinnern an das Leben in Amerika, Aeschbacher empfindet die Zeit als positiv. «Ich habe gelernt, was ich an der Schweiz und meiner ­Familie habe – und wie gut ­unser Leben hier trotz mancher Sorgen ist. In den USA bin ich erwachsen geworden. Es war hart, aber ich habe viel über mich erfahren, bin stärker zurückgekehrt.»

Ein Sehnsuchtsort ist Amerika für ihn nicht mehr: «Vielleicht mal für Ferien, aber es zieht uns nichts hin.» Sie wollen im Sommer lieber gemeinsam wandern – in den schönen Schweizer Bergen.

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