Darum gehts
- Sleepmaxxing-Trend: Schlafoptimierung mit fragwürdigen Methoden und potenziell gefährlichen Folgen
- Neck swinging und Mouth Taping sind umstrittene Praktiken ohne wissenschaftliche Grundlage
- 2022 litten ein Drittel der Schweizer unter Schlafstörungen, 7 Prozent nahmen Medikamente
Das Leben leichter, einfacher und effizienter machen. Gerade auf Tiktok und Co. gibt es dazu gefühlt unendliche viel Tipps und Tricks. Und natürlich auch zum Thema Schlaf. Kein Wunder, schliesslich haben viele Menschen damit Probleme. In den letzten 25 Jahren haben Schlafstörungen zugenommen. «2022 litt ein Drittel der Bevölkerung unter Schlafstörungen und 7 von 100 Personen nahmen Medikamente ein, um schlafen zu können», schreibt das Bundesamt für Statistik (BfS) in einer Zusammenfassung aus dem Jahr 2024. Der Bedarf ist also da für Schlaftipps.
Unter dem Sammelbegriff «Sleepmaxxing» (in etwa: den Schlaf optimieren) finden sich im Netz jede Menge Tricks und Kniffe. Doch nicht alle kursierenden Empfehlungen sorgen tatsächlich für erholsame Nachtruhe: Hinter dem Trend verbergen sich viele dubiose Behauptungen ohne jede wissenschaftliche Grundlage – die zum Teil sogar tödlich enden können.
«Neck swinging»
Eines der vermeintlichen Wundermittel gegen Schlaflosigkeit ist das sogenannte «neck swinging», das insbesondere in chinesischen Onlinediensten populär wurde: Dabei hängen sich Menschen mit gepolsterten Gürteln unter dem Kinn und am Nacken in die Luft und lassen ihre Körper hin- und herschwingen. «Diejenigen, die es ausprobieren, behaupten, dass sich ihre Schlafprobleme deutlich verbessert haben», heisst es in einem über elf Millionen Mal aufgerufenen Video im Onlinedienst X – Beweise dafür gibt es nicht.
Im Gegenteil: Seit ein chinesischer Staatssender mindestens einen Todesfall im Zusammenhang mit dem «neck swinging» meldete, schlagen Experten Alarm. Dies sei ein gutes Beispiel dafür, «wie Online-Medien das Absurde normalisieren können», sagt der auf Falschinformationen spezialisierte Experte Timothy Coulfield von der Universität Alberta in Kanada. «Sleepmaxxing»-Routinen wie diese seien «lächerlich, potenziell schädlich und ohne wissenschaftliche Grundlage».
«Mouth Taping»
Eine weitere beliebte Praxis unter Schlafoptimierern ist das sogenannte «Mouth Taping», das nächtliche Zukleben des Mundes mit einem speziell entwickelten Pflaster. Zahlreiche Influencer empfehlen ein solches Pflaster zur Förderung der Nasenatmung. Demnach sorge das «Mouth Taping» für besseren Schlaf, fördere die Mundgesundheit und verringere Schnarchen – auch diese Angaben bleiben ohne jeden Beweis.
Eine Untersuchung der US-Universität George Washington kam vielmehr zu dem Schluss, dass diese Behauptungen wissenschaftlich nicht belegt werden können. Medizinische Fachleute warnen zudem, dass das nächtliche Zukleben des Mundes gefährlich sein könnte - insbesondere für Menschen, die an Schlafapnoe leiden.
«Sleepy Girl Mocktail»
Einfach Sauerkirschsaft, Magnesiumpulver und wahlweise Limo oder Mineralwasser dazugeben. Dieser Mix, auch als «Sleepy Girl Mocktail» bekannt, soll den Schlaf verbessern. Auf den ersten Blick könnten die Bestandteile durchaus sinnvoll sein. Der Körper brauche Magnesium, um aus der Aminosäure Tryptophan das Hormon Melatonin zu bilden, das für den Schlaf-Wach-Rhythmus zuständig sei. Der Sauerkirschsaft enthält wiederum sekundäre Pflanzenstoffe, die den Tryptophan-Abbau im Körper hemmen könnten, sodass mehr dieses Ausgangsstoffs für die Melatoninbildung zur Verfügung steht.
Doch «die Datenlage dazu ist sehr dünn. Das sind meistens kleine Studien mit einer ausgewählten Gruppe von Testpersonen», sagte Ernährungsmediziner Hans Hauner von der Technischen Universität München vergangenes Jahr. Eher könnte das Ritual, so etwas vor dem Schlafen zu trinken, beim Entspannen und damit beim Schlafen helfen. Nicht aber die Inhaltsstoffe.
Kiwis essen, Gewichtsdecken und bunte Brillen
Weitere von «Sleepmaxxing»-Influencern angepriesene und wissenschaftlich unbelegte Tipps für besseren Schlaf reichen vom Verzehr von zwei Kiwis direkt vor dem Zubettgehen, über Gewichtsdecken bis hin zum Tragen von blau und rot gefärbten Brillengläsern.
«Einige dieser Tipps mögen für Menschen, die grundsätzlich gut schlafen, harmlos sein», sagt die britische Schlafexpertin Kathryn Pinkham. Doch für Menschen mit tatsächlichen Schlafproblemen könnten viele der geteilten «Sleepmaxxing»-Ratschläge «aktiv hinderlich oder sogar schädlich sein».
«Desto wachsamer und gestresster werden wir»
Ausreichender Schlaf gilt zwar zu Recht als Grundpfeiler einer guten Gesundheit. Doch warnen Experten, dass «Sleepmaxxing» zu einer übermässigen, obsessiven Beschäftigung mit dem perfekten Schlaf führen könnte: Laut Pinkham wird schlechter Schlaf oft durch die «Angst, ihn zu beheben» verstärkt – eine Tatsache, die von «Sleepmaxxing»-Influencern weitgehend ignoriert werde. «Je mehr wir versuchen, den Schlaf mit Tricks oder starren Routinen zu kontrollieren, desto wachsamer und gestresster werden wir», sagt Pinkham.
Einige «Sleepmaxxing»-Influencer versuchen zudem, von der wachsenden Beliebtheit des Trends finanziell zu profitieren, indem sie Produkte, wie Mundpflaster, schlaffördernde Getränkepulver und «Sleepmax-Gummibärchen» mit Melatonin bewerben. Die US-Akademie für Schlafmedizin rät jedoch von Melatonin zur Behandlung von Schlaflosigkeit bei Erwachsenen ab und verweist auf widersprüchliche medizinische Erkenntnisse hinsichtlich dessen Wirksamkeit.
Unabhängig vom konkreten Tipp: Bei wirklichen Schlafproblemen sollte nach Angaben von Experten immer ein Arzt aufgesucht werden. «Sleepmaxxing»-Tipps könnten das Problem dagegen verstärken. «Für Menschen mit echten Schlafproblemen bedeutet diese Art von Ratschlägen oft eher zusätzlichen Druck als Erleichterung», erklärt Pinkham.