Andreas Fath, würden Sie gerne im Wasser leben?
Andreas Fath: Wenn, dann als Delfin im Meer. Das sind intelligente Tiere. Schnell, wendig – und sie haben offensichtlich ebenfalls Spass im Wasser.
Und wie wärs als Fisch im Rhein?
Dann hätte ich die 1231 Kilometer von der Mündung bis zur Quelle gegen den Strom schwimmen können. Die Kraft eines Menschen reicht dafür nicht aus.
Sie schwammen vor zwei Jahren medienwirksam den ganzen Fluss abwärts.
Ja, und als Fisch wäre ich immer noch im Rheinwasser mit all seinen Chemikalien. Gab es dort früher 36 Fischarten, sind es jetzt noch ein Dutzend.
Aber die Wasserqualität hat sich doch in den letzten Jahren verbessert. Mittlerweile gibt es sogar wieder Lachse im Oberrhein.
Stimmt, der Rhein ist deutlich sauberer als noch in den 1980er-Jahren. Was die Konzentration von Schwermetallen, Phosphaten oder Pestiziden anbelangt, hat er sogar Trinkwasserqualität. Ich hatte nie das Gefühl, in einer Kloake zu schwimmen.
Sie haben also in Ihrem Projekt «Rheines Wasser», zu dem nun ein Buch erscheint, auch reines Wasser gefunden?
Die Wasserqualität verschlechtert sich stromabwärts mit jedem Kilometer, weil immer mehr Menschen ihre Abwässer Richtung Rhein führen – insgesamt sind es 48 Millionen. Wir haben sogar an der Quelle im bündnerischen Tomasee von Menschen verursachte Verunreinigungen gefunden.
384 Kilometer Ihrer Reise legten Sie auf oder an Schweizer Gebiet zurück. Welches waren die eindrücklichsten?
Der Vorderrhein bei Versam, der Grand Canyon Europas. Und der Tomasee, obwohl ich dort nur wenige Meter schwimmen musste.
Das Seewasser war 7,4 Grad Celsius kalt.
In der Mitte musste ich kräftige Beinschläge machen, um mich der Füsse zu vergewissern. Im eiskalten Wasser konzentriert sich das Blut im inneren Kreislauf. Sobald ich am Ufer ankam, schoss es wieder in die Extremitäten – die Farbe meiner Haut wechselte binnen Sekunden von weiss zu rot.
In Ihrem Buch beschreiben Sie eindrücklich, wie das Wasser des Tomasees schmeckt: wie Schnee aus Ihrer Kindheit.
Ja, das war die Assoziation, die ich hatte: der Geschmack eines Schneeballs, in den man als Kind gerne beisst.
Später machten Sie eine weitere sinnliche Erfahrung: Sie hörten das Schmirgeln von Steinen auf dem Grund des Flusses.Genau. Dieses ständige Knirschen, als ob man Glasmurmeln in eine Badewanne schüttet und dabei den Kopf unter Wasser hält. Mir ist da erst klar geworden: Der Rhein ist eine riesige Plastikmühle. Wenn sich sogar Felsbrocken aus den Alpen auf dem Grund zermahlen lassen und am Schluss feiner Sand rauskommt, da kann man sich vorstellen, was mit den PET-Flaschen passiert – gefüllt mit Wasser sinken diese nämlich ins Mahlwerk auf dem Flussgrund ab.
Bei Chur fanden Sie überraschenderweise die höchste Konzentration an Mikroplastik im gesamten Rhein.
Ja, das hat die Schweizer verunsichert, aber im Buch relativiere ich den Befund: Das liegt daran, dass die Wassertiefe des Rheins bei Chur noch sehr gering ist und es dort starke Turbulenzen hat. Dadurch haben die Kunststoffpartikel keine Möglichkeit, abzusinken.
War es Ihre Absicht, im Rhein vor allem nach Mikroplastik zu suchen?
Nein. Wir haben nach vielen verschiedenen Schadstoffen gesucht. Etwa nach Spuren von Antibiotika und Bakterien. Wir wollten der Bevölkerung aufzeigen, was man alles im Fluss findet. Mikroplastik ist hier nur ein Thema, aber ein aktuelles und durchaus risikoreiches.
Schadet Mikroplastik der Gesundheit, wenn dieser in den Körper gelangt?
Menschen scheiden Mikroplastik unverdaut wieder aus. Aber an diesen Plastikteilchen bleiben Schadstoffe sehr gut hängen – die Belastung kann um das Zigtausendfache höher sein als im umgebenden Wasser. Diese Schadstoffe können letztlich im Organismus landen – das hat man bei Fischen und Seevögeln nachgewiesen.
Das klingt interessant: Sie als Wissenschaftler könnten das Mikroplastik gezielt einsetzen, um Schadstoffe zu binden.Genau – das ist ein Forschungsprojekt bei uns an der Hochschule Furtwangen.
Mikroplastik gelangt einerseits aus Kosmetika in die Gewässer, anderseits aus darin zerkleinerten PET-Flaschen.
US-Präsident Barack Obama hat unlängst ein Gesetz erlassen, das Mikroplastik in Kosmetika-Artikeln ab 2017 verbietet. Die Hersteller können ihren Produkten stattdessen natürliche Stoffe wie Bienenwachs oder zermahlene Nussschalen für den Peelingeffekt beifügen.
Und die PET-Flaschen? Müssen Behörden diese Gebinde verbieten, wie das 2008 ein Schweizer Nationalrat gefordert hatte?
Man kann bei uns guten Gewissens Wasser aus den Leitungen trinken. Aber ich bin nicht generell gegen Substanzen, welche die Industrie einsetzt. Man muss nur dafür Sorge tragen, dass sie nicht in die Umwelt gelangen.
Bessere Klärwerke statt Abfallvermeidung?
Nein, wir müssen beim Konsumenten ein Bewusstsein schaffen, was passiert, wenn er PET-Flaschen nicht sachgerecht entsorgt. Wirft er sie weg, landen sie früher oder später immer im Wasser. Und Kläranlagen können deren Teilchen nicht alle rausfiltern.
Sie haben bereits ein Patent auf den elektrochemischen Abbau von per- und polyfluorierten Tensiden.
Solche Verfahren müssen dort zum Einsatz kommen, wo die Schadstoffe entstehen. Tenside etwa entstehen in einer Galvanik. Gelangen sie ins Wasser, werden sie stark verdünnt, und die Effizienz des Verfahrens sackt in den Keller. Zudem sind die Kosten viel höher, weil grössere Mengen zu reinigen sind. «The Solution of Pollution is not Dilution» – die Lösung der Verschmutzung ist nicht die Verdünnung.
Heute machen wir uns Sorgen über Plastik im Wasser, früher waren es Phosphate.
In den letzten Jahren machte man alles, um Phosphate zu eliminieren – man hat vielleicht sogar zu viel des Guten getan.
Die Fischer hätten lieber mehr davon – als Dünger für die Wasserpflanzen.
Genau, denn die Fische werden nicht mehr so gross, da sie kaum mehr Nahrung finden.
Wie viel Rheinwasser haben Sie auf Ihrem Weg unfreiwillig oder freiwillig geschluckt?
Ich kann mich nicht erinnern, jemals richtig Wasser geschluckt zu haben.
Keine Welle, die Sie überrascht hat?
Nein, aber man nimmt auch über die Mundschleimhaut Schadstoffe auf. Am Ende der Tour hatte ich heftige Magen-Darm-Probleme – ob Bakterien im Wasser oder die Überanstrengung Auslöser waren, weiss ich nicht.
Sie waren an 26 Schwimmtagen jeweils bis zu acht Stunden täglich im Wasser. Haben Sie sich nie gelangweilt?
Nein, es war abwechslungsreich.
Manchmal aber auch unangenehm?
Zeitweise war ich fast am Verhungern, Passanten gaben mir aus Mitleid Haribos.
Wieso klappte die Versorgung nicht?
In manchen Abschnitten – zum Beispiel im Vorderrhein – konnte kein Begleitboot mitfahren, und die Unterstützer konnten nicht ans Ufer gelangen. Und wenn, war ich manchmal schon weiter unten.
Haben Sie beim Schwimmen die vielen Menschen gesehen, die am Ufer standen?
Ja, ich bin zwar Brillenträger, aber meine Schwimmbrille hat eingearbeitete Gläser mit fünf Dioptrien. Je länger die Aktion dauerte, umso bekannter wurde sie, sodass rhein-abwärts immer mehr Zuschauer kamen. Mit Höhepunkt in Düsseldorf.
Und in Ihrer Geburtsstadt Speyer empfing Sie die Bürgermeisterin. Werden Sie heute noch auf die Aktion angesprochen?Ja, immer wieder. Und es haben sich daraus spannende Forschungsprojekte abgeleitet.
War es hinderlich, dass kurz vor Ihnen der Schweizer Ernst Bromeis ebenfalls den Rhein runtergeschwommen ist?
Nein, er betreibt ja keine Forschung.
Sie sind der dritte Schwimmer, der die gesamte Strecke gemeistert hat. Sie standen mit Pionier Klaus Pechstein (1941–2013) in telefonischem Kontakt. Was sagte der Deutsche, der das 1969 geschafft hatte, zum Unterfangen?
Dass es heute einfacher sei, den Rhein runterzuschwimmen: Das Wasser sei viel sauberer und die Neoprenanzüge seien viel besser. Aber seit 1969 gibts auf der Strecke zwei, drei Staustufen mehr – durch das aufgestaute Wasser wird das Schwimmen anstrengender.
Wie viel Geld mussten Sie für die Aktion «Rheines Wasser» aufwenden?
Unterbringung, Verpflegung, Bootsmiete, Genehmigungen kosteten etwas mehr als 76'000 Franken, die wir durch Sponsoren -finanziert haben.
Ursprünglich wollten Sie mit Ihrer Aktion Geld für ein Analysegerät Ihres Instituts sammeln – das Rektorat verweigerte Ihnen die Beschaffung aus Kostengründen. Konnten Sie es mittlerweile kaufen?
Ja, das haben wir. Es hat einen Wert von rund 220'000 Franken, und wir bekamen es zu einem deutlich günstigeren Preis.
Hat sich der Einsatz auch sonst gelohnt?
Jeder Einsatz für sauberes Wasser lohnt sich. Wasser ist eine Leihgabe der Natur, und die sollten wir auch so behandeln. Es ist für mich nicht zu verstehen, weshalb wir für den Garten, Geschirrspüler und die Wasserspülung Trinkwasser verschwenden.
Könnte man nicht einfach das Salz aus dem Meerwasser filtern und dadurch einer Verknappung zuvorkommen?
Nach dem Motto: Ist die Erde nicht mehr lebenswert, dann besiedeln wir den Mars? Nein, das funktioniert so nicht. Meerwasser zu nutzen, rechtfertigt nicht, unsere Abwässer unsachgemäss zu behandeln und Trinkwasser zu vergeuden. Zudem kostet es sehr viel Energie, aus Salz- Süsswasser zu machen. Und was machen wir mit dem Salzkonzentrat? Wir müssten es irgendwo entsorgen.
Nächstes Jahr wollen Sie den Tennessee River in den USA runterschwimmen – der ist etwa gleich lang wie der Rhein.
Wir wollen die beiden Flüsse miteinander vergleichen. Wie sieht es dort mit Mikroplastik aus? Wie arbeiten die amerikanischen Kläranlagen? Ich bin schon sehr gespannt – sowohl als leidenschaftlicher Schwimmer wie auch als neugieriger Wissenschaftler.
Ab heute im Buchhandel: Andreas Fath, «Rheines Wasser», Hanser-Verlag