Darum gehts
«Pling!» Auf der Weltkarte am Computer blinkt eine rote Stecknadel auf: Piață Obor in Arad, Rumänien.
Auf diesem Marktplatz nahe der ungarischen Grenze findet täglich ein riesiger Flohmarkt statt. Auf Decken und Tischen, eingezwängt zwischen Grill- und Getränkeständen, reihen sich Waren ohne Ende aneinander – von Gummistiefeln über Staubsauger bis hin zu einer Sammlung alter Militärhelme.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Und irgendwo mittendrin: ein alter Laptop aus der Schweiz.
Reise nach Rumänien
Die Reise dieses defekten Computers begann am 11. September 2024, in der Bieler Filiale des Elektronik-«Upcyclers» Revendo. Der «Beobachter» gab dort das Macbook ab, mit der expliziten Aufforderung, es fachgerecht zu entsorgen.
Dazu sind in der Schweiz alle Elektronikhändler gesetzlich verpflichtet. Was bei der Firma niemand wusste: Im Innern des Geräts war ein Airtag als Ortungsgerät verbaut. Gemeinsam mit 13 anderen Elektrogeräten war der Laptop Teil einer «Beobachter»-Recherche zum Test des Elektronik-Recyclings in der Schweiz.
Erster Halt: Mümliswil
Die Aufzeichnung des Senders zeigt: Drei Tage später wurde das Gerät über Bern nach Solothurn ins Dörfchen Mümliswil gebracht. Hier landete das Macbook, anders als versprochen, nicht bei einem Recyclingunternehmen, sondern in einem grossen, alten Wohnblock.
Einen Monat lang lag es dort herum und sendete regelmässig Signale, bis es an einem Donnerstagmorgen auf die grosse Reise nach Rumänien ging. Bereits am Freitagmorgen war der Laptop auf der Piață Obor.
MediaSlot: ImageContainer #ImageAuf Anfrage des «Beobachters» sieht Revendo-CEO Aurel Greiner das als «grundsätzlich nicht problematisch». Entscheidend sei für ihn vielmehr, dass das Gerät offensichtlich weiterhin im Umlauf sei. Seine Firma ist darauf spezialisiert, alte Geräte zu reparieren und wiederzuverkaufen.
Leider fänden über fünf Jahre alte Geräte in der Schweiz kaum noch Abnehmer, sagt Greiner. Man verkaufe sie deshalb nach einer Prüfung und Datenlöschung an spezialisierte Partner, die sie wiederaufbereiten würden «für den Weiterverkauf in Märkten mit niedrigerer Kaufkraft» – Rumänien zum Beispiel.
Im Sinne der Nachhaltigkeit mag das Vorgehen von Revendo einleuchten, dennoch hat es einen Haken: Die Firma bewegt sich damit am Rande des Erlaubten. Denn eigentlich ist Revendo, wie alle Verkäufer von Elektronik, gesetzlich verpflichtet, alte Geräte kostenlos zu recyceln.
Rechtlich ist der Laptop Abfall
Möglich ist das, weil Konsumentinnen und Konsumenten beim Kauf jedes neuen Geräts dafür bezahlen – mit dem sogenannten vorgezogenen Recyclingbeitrag. Aus diesem Geld finanzieren die Händler und Hersteller in der Schweiz das Elektronik-Recycling-System. Ein Weiterverkauf von ausgedienter Elektronik ins Ausland ist darum komplizierter.
Das bestätigt auf Anfrage des «Beobachters» das Bundesamt für Umwelt (Bafu): «Wenn ein Produkt nicht mehr funktionstüchtig ist, gilt es nach dem Umweltschutzgesetz als Abfall. In diesem Fall wäre der Export abfallrechtlich bewilligungspflichtig.»
Der verschwiegene Partner
Das Bundesamt wird den Fall prüfen, wie es dem «Beobachter» mitteilt. Denn Revendo hat – wie CEO Aurel Greiner auf Anfrage einräumt – keine Bewilligung für die Abfallausfuhr. Er gehe aber davon aus, dass die Partner, die im EU-Raum tätig sind, sich an alle Vorgaben hielten. Überprüfen lässt sich das nicht – Recherchen des «Beobachters» werfen jedoch Fragen auf.
Als der «Beobachter» den Händler anonym kontaktiert, der mutmasslich das Macbook nach Rumänien verkauft hat, will der Mann zunächst Elektronikwaren verkaufen. Erst als offengelegt wird, dass es sich um eine journalistische Anfrage handelt, winkt der Händler plötzlich ab: Er sei nicht in diesem Geschäft tätig und habe die Frage falsch verstanden.
Laut dem Handelsregister hat der Mann nur wenige Monate, bevor er das Macbook erhielt, eine Reinigungsfirma in den Konkurs geführt. Damit konfrontiert, erklärt Revendo, man nehme solche Hinweise ernst. Der Händler sei aber kein direkter Partner von Revendo, und ohne die Seriennummer des Macbooks könne man nicht seriös nachprüfen, wie das Gerät bei ihm gelandet sei.
Revendo kritisiert veraltete Definition
Das eigentliche Problem sieht Revendo-CEO Aurel Greiner in der Abfalldefinition des Bundes, die er aus ökologischer Sicht für verkürzt hält: «Es erscheint mir nicht zielführend, ein Gerät als Abfall zu bezeichnen, nur weil es einen überschaubaren Defekt aufweist, aber mit geringem Aufwand wieder instand gesetzt werden kann und danach noch mehrere Jahre im Einsatz bleibt.»
Diese Einstufung sei ein Relikt aus einer anderen Zeit: «Heute wissen wir, dass die Verlängerung der Lebensdauer von Geräten ein wesentlicher Hebel zur Reduktion von CO₂-Emissionen und Ressourcenverbrauch ist.» Er appelliere darum nicht nur an die Konsumentinnen und Konsumenten, sondern auch an die Behörden, ihre Definition von Wiederverwendung zu überdenken.
Bundesrat soll Kreislaufwirtschaft aufgleisen
Greiner rennt damit offene Türen ein. In einem Bericht von 2023 für das Bafu schreibt die Ostschweizer Fachhochschule: «Aus ökologischer Sicht sollten sämtliche Elektrogeräte möglichst lange weiter- oder wiederverwendet werden.»
Wegen der hohen Löhne in der Schweiz werde eine Reparatur aber schnell teuer. Als Gegenmassnahme schlägt die Fachhochschule deshalb eine Reduktion oder den Erlass der Mehrwertsteuer bei Reparaturen vor oder eine vorgezogene Reparatur- statt einer Recycling-Gebühr.
Auch das Parlament will handeln: Im März 2024 hat es eine Initiative für mehr Kreislaufwirtschaft angenommen – der Bundesrat muss sich nun um die Umsetzung kümmern.