Darum gehts
Blick: Für viele Menschen ist der Muttertag ein schwieriges Datum. Warum?
Jeannine Donzé: Es ist ein spezielles Datum. Der Muttertag ist im Gegensatz zur Welt-Kinderlosenwoche gesellschaftlich etabliert. Letzteres zeigt, dass Mütter sichtbarer sind als Frauen ohne Kind. Viele Länder haben im Frühjahr einen offiziellen Muttertag. Dieser hat als Feiertag etwas Ausschliessendes. Während an Weihnachten universellere Qualitäten wie Gemeinschaft gefeiert werden, feiert der Muttertag nur einen Teil der Gesellschaft und hebt ein stilisiertes Mutterbild hervor. Das schliesst Menschen aus, die diesem Bild nicht entsprechen.
Wer ist betroffen von Muttertagstrauer?
Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch leiden besonders. Aber auch Mütter mit vor- oder nachgeburtlichen Verlusterlebnissen, Alleinerziehende, denen die Wertschätzung fehlt, oder Frauen, die Grossmutter werden möchten, es aber nicht können. Auch Kinder, deren Mutter verstorben ist, oder Menschen, die sich von normativen Bildern gesellschaftlich ausgegrenzt fühlen – zum Beispiel wegen Krankheit oder sexueller Orientierung.
Jeannine Donzé (50) ist psychologische Beraterin mit eigener Praxis in Bern. Sie begleitet vor Ort und online Frauen und Paare rund um das Thema Kinderwunsch – sei es bei Ambivalenz, unerfülltem Wunsch, vorgeburtlichen Verlusten oder nach reproduktionsmedizinischen Eingriffen. In ihren Gesprächsgruppen «Frausein ohne Kind» bietet sie Raum für Austausch und Reflexion. 2021 ist ihr Buch «Was wir in die Welt bringen – Frauen zwischen ‹kinderlos› und ‹kinderfrei›» im Zytglogge-Verlag erschienen. Es beleuchtet eine differenzierte Sicht auf weibliche Lebensentwürfe jenseits der Mutterschaft.
Jeannine Donzé (50) ist psychologische Beraterin mit eigener Praxis in Bern. Sie begleitet vor Ort und online Frauen und Paare rund um das Thema Kinderwunsch – sei es bei Ambivalenz, unerfülltem Wunsch, vorgeburtlichen Verlusten oder nach reproduktionsmedizinischen Eingriffen. In ihren Gesprächsgruppen «Frausein ohne Kind» bietet sie Raum für Austausch und Reflexion. 2021 ist ihr Buch «Was wir in die Welt bringen – Frauen zwischen ‹kinderlos› und ‹kinderfrei›» im Zytglogge-Verlag erschienen. Es beleuchtet eine differenzierte Sicht auf weibliche Lebensentwürfe jenseits der Mutterschaft.
Finden Sie es falsch, den Muttertag zu feiern?
Nein. Der Muttertag ist für viele ein Grund zur Freude. Aber eben auch ein Datum mit grossem Triggerpotenzial.
Was genau kann am Muttertag triggern?
Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch trauern um einen Lebensentwurf, der nicht Realität wird. Dabei kann die Trauer sehr vielschichtig sein. Manche betrauern das Wunschbild von sich als Mutter, andere die fehlende körperliche Erfahrung einer Schwangerschaft. Viele fühlen sich ausgeschlossen und werden am Muttertag allenfalls in die Rolle der Tochter gedrängt, die sich um die eigene Mutter kümmert.
Was wäre ein inklusiverer Zugang zu diesem Tag?
Es würde helfen, wenn man den Tag breiter denkt. Statt ein stilisiertes Mutterbild zu feiern, könnten wir die Mütterlichkeit als weibliche Eigenschaft ins Zentrum rücken. Das wäre verbindend, denn Mütterlichkeit zeigt sich unabhängig von biologischer Mutterschaft im Beruf, mit Patenkindern, Haustieren, im Garten oder im Umgang mit sich selbst.
Was hilft Betroffenen am Muttertag konkret?
Selbstfürsorge und Selbstfreundschaft. Insbesondere ungewollte Kinderlosigkeit wird oft als Ohnmacht und Kontrollverlust erlebt. Wer den Tag vorausschauend plant und selbst gestaltet, fühlt sich weniger ausgeliefert. Guttun kann der Austausch mit anderen oder eine Unternehmung, die mit Kindern nicht möglich wäre.
Die Autonomie bewusst schätzen?
Man kann Kinderlosigkeit auch als Kinderfreiheit ansehen. Das gibt Raum für Projekte, Reisen, Partnerschaft. Viele kinderlose Paare erleben eine besondere Beziehungsqualität. Bei unerfülltem Kinderwunsch kann das Erkennen dieser Ressourcen ein Schritt zur Versöhnung sein.
Welche Rolle spielt die Trauerarbeit?
Ungewollte Kinderlosigkeit ist psychologisch vergleichbar mit einem Todesfall. Trauerprozesse sind nicht linear, folgen aber typischerweise Phasen: Nicht-Wahrhaben-Wollen, aufbrechende Emotionen, Abschiednehmen, Neuorientierung. Heute spricht man auch von Traueraufgaben, weil diese aktiv gestaltet werden können. Betroffene pendeln zwischen Trauer und Neuorientierung. So gesehen kann ein Verlusterleben auch ein Motor sein und eine persönliche Weiterentwicklung anstossen.
Wie feiert man empathisch?
Unsere Gesellschaft trennt stark zwischen Müttern und kinderlosen Frauen – mit wenig Verständnis füreinander. Ich plädiere dafür, das Verbindende zu suchen und offen mit Gefühlen umzugehen. Dabei können Frauen gegenseitig voneinander lernen. Sätze wie «Die Zeit heilt alle Wunden» sollte man vermeiden.
Kann die Zeit dennoch helfen, einen unerfüllten Kinderwunsch zu verarbeiten?
Ein kinderfreies Leben kann erfüllend und sinnhaft sein. Aber die Verarbeitung passiert nicht automatisch, sie will gestaltet sein. Verdrängte Trauer kann sich körperlich oder psychisch zeigen. Auch übermässiges Funktionieren oder Aktivismus sind nicht hilfreich. Es geht darum, den Verlust zu integrieren und seinen persönlichen Ausdruck dafür zu finden. Dies kann ein Abschiedsritual oder Jahresgedenktag sein oder bei vorgeburtlichen Verlusten ein Altar in der Wohnung. Es geht paradoxerweise darum, den Verlust in den Alltag einzuladen.
Was macht Mut?
Vielleicht das Wissen, dass es in jedem Dasein Ungelebtes gibt. Auch Mütter müssen verzichten. Es gibt keine Garantie auf Glück mit Kindern. Die Statistik zeigt, dass Paare mit kleinen Kindern oft unglücklicher sind als Kinderlose. Ich bin überzeugt davon, dass man das eigene Glück aktiv mitgestalten kann – und genau dabei möchte ich Frauen und Paare unterstützen.
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