Darum gehts
- Klaus Merz: Schweizer Dichter mit knappen Texten für die digitale Zeit
- Seine Werke passen perfekt zu Kurznachrichtendiensten und Mikro-Blogging-Plattformen
- Merz veröffentlichte über 30 Bücher und gewann 2024 den Schweizer Grand Prix Literatur
Er ist kein Friedrich und kein Hans-Rudolf, sondern ein Klaus. Er ist weder deutscher Bundeskanzler noch alt Bundesrat der Eidgenossenschaft, er ist Dichter in der Schweiz. Er hält keine lange Grundsatzrede im Berliner Reichstagsgebäude, spricht nicht über «Bü-Bü-Bündnerfleisch» im Berner Bundeshaus, denn er schreibt im Wynentaler Unterkulm AG kurze Erzählungen und noch kürzere Gedichte.
Klaus Merz (79) ist kein lauter Schwätzer, sondern ein stiller Schaffer – er bringt seine Gedanken auf den Punkt. Und damit ist er der Mann der Stunde. Seine minimierten Texte passen perfekt in unsere Zeit mit Kurznachrichtendiensten oder Mikro-Blogging-Plattformen. Bei allem Fast Food, das dort geboten wird, sind seine komprimierten Kompositionen geistige Nahrung, die einen wie ein Energy-Drink in Schwung halten.
Eine Kostprobe gefällig? Hier das Gedicht «Selfie» aus «Noch Licht im Haus» (2023), dem letzten neuen Buch von Klaus Merz: «Wir drehen der Welt / den Rücken zu, halten / den Atem an. // Und finden doch nicht / aus unserer Spiegel- / verkehrtheit hinaus.» Das ist genau gesehen und fein formuliert. Die Lektüre dauert ein paar Sekunden, doch der Gedanke haftet für Stunden im Gehirn.
Merz könnte ein Internetstar sein. «Ich bin da nie wirklich eingestiegen», sagt Merz. «Auf diese, in meinen Augen, bloss scheinbare ‹Würze und Kürze›, die uns mit ihrem unsäglichen Geleier doch immer nur noch länger auf Trab und an der langen Leine hält.» Wenn er vom Wynental ins «Digital» hinabschaue, sei ihm diese Entwicklung immer öfter nicht ganz geheuer: «Vielleicht liegts am Alter.»
2024 gewann Merz den Schweizer Grand Prix Literatur
Wie dem auch sei: Mag der Autor nicht fürs Netz geschaffen sein, seine Texte sinds allemal. Und sie könnten dort manche Leserin, manchen Leser einfangen und packen. Lockstoff gäbe es genug: Seit seinem ersten Gedichtband «Mit gesammelter Blindheit» (1967) hat Merz bis heute über 30 Bücher veröffentlicht, darunter den Bestseller «Jakob schläft. Eigentlich ein Roman» (1997) – eigentlich, denn mit 74 Seiten hat er Merz’sche Kürze.
Für dieses hochgelobte Werk bekam der Schriftsteller 1997 den Preis der Schweizerischen Schillerstiftung und den Hermann-Hesse-Preis. 2004 folgte der Gottfried-Keller-Preis für das Gesamtwerk, für das Merz 2005 noch den Aargauer Kulturpreis, 2012 den Friedrich-Hölderlin-Preis und letztes Jahr den Schweizer Grand Prix Literatur des Bundesamts für Kultur erhielt – die höchste Ehre.
«‹Jakob schläft. Eigentlich ein Roman›, der stark durch meine Kindheit grundiert ist, begann ich erst mit fünfzig zu schreiben», sagt Merz. Erst dann habe er das Gefühl gehabt, über eine «entsprechende» Sprache zu verfügen. «Denn Literatur besteht ja in erster Linie aus Sprache, nicht aus Schicksal.» Und als Schriftsteller arbeite man an und mit der Sprache, nicht am Schicksal.
Dabei bietet das Schicksal in der Familie Merz reichlich Stoff: Vater Merz litt an Epilepsie, die Mutter an Depressionen, Bruder Martin (1950–1983) hatte Hydrozephalus (im Volksmund einen Wasserkopf), und über allem lag der Schatten des tot geborenen Bruders Jakob. In diesem Umfeld kam Klaus Merz am 3. Oktober 1945 zur Welt und wuchs in Menziken AG auf – wie die Schriftsteller Hermann Burger (1942–1989) und Martin R. Dean (70).
Denker und Dichter, statt Dichter und Denker
«‹Gut, aber zu kurz›, stand jeweils unter meinen Schüleraufsätzen», sagt Merz. «Es hat mich – als langsamer Brüter – von früh auf fasziniert, nur den Kern einer Sache anschaulich zu machen.» Dabei sei es auch später geblieben. «Der grösste lebende Lyriker der Schweiz» (Literaturkritiker Julian Schütt) ist kein Dichter und Denker, sondern ein Denker und Dichter – Merz überlegt zuerst sehr viel, bevor er einen Text herausgibt.
«Das kann dauern», sagt der Schriftsteller. Denn ihm scheine es wichtig, die Texte immer wieder ruhen zu lassen und dann von neuem anzupacken. «Man muss den Teig gehen lassen, hatte mein Vater jeweils gesagt, bevor er ihn weiterverarbeitete», so Merz. «Zu Brot.» Der Vater war Bäcker in Menziken, bevor er den Beruf wegen seiner Epilepsie aufgeben musste.
Klaus Merz schlug einen anderen Berufsweg ein: Er machte das Sekundarlehrerdiplom und war danach Lehrbeauftragter für Sprache und Kultur an der Schweizerischen Bauschule Aarau. Verdichten ist das Stichwort im Bauwesen. Verdichten ist aber auch das Stichwort in der Dichtkunst. So wie dadurch Häuser in Siedlungsgebieten in die Höhe wachsen, so entsteht Tiefe in den Texten des Schriftstellers Merz.
«Manchmal vergleiche ich meinen Beruf als ‹Bereitschaftsdienst›», sagt er. «Also warten rund um die Uhr.» Als «ausgesprochener Augenmensch» sei ihm vor allem wichtig, was ihm auffalle. Kein Zufall sind er und seine Frau Selma ein Kunstsammlerpaar. Kein Zufall ehren gleich zwei Ausstellungen den Jubilar. Und kein Zweifel: Wäre Merz Jahrzehnte jünger, er würde im Internet seine Fans mit poetischen Videos betören.
Prosa und Gedichte der Jahre 2016 bis 2023 und Feuilletons der letzten 13 Jahre: Mit diesem eben erschienenen Band ist die achtbändige Werkausgabe zu Klaus Merz abgeschlossen. Seit 4. September sind alle Bände mit einem zusätzlichen Materialienband zum Werk von Klaus Merz im Holzschuber erhältlich.
BUCH: Klaus Merz, Markus Bundi (Hrsg.), «Von Weitem umzingelt», Haymon
THEATER: «Eine Ahnung vom Ganzen» vom Theater Marie, 6. und 7. September sowie 15. und 16. Oktober, Alte Reithalle, Aarau
Prosa und Gedichte der Jahre 2016 bis 2023 und Feuilletons der letzten 13 Jahre: Mit diesem eben erschienenen Band ist die achtbändige Werkausgabe zu Klaus Merz abgeschlossen. Seit 4. September sind alle Bände mit einem zusätzlichen Materialienband zum Werk von Klaus Merz im Holzschuber erhältlich.
BUCH: Klaus Merz, Markus Bundi (Hrsg.), «Von Weitem umzingelt», Haymon
THEATER: «Eine Ahnung vom Ganzen» vom Theater Marie, 6. und 7. September sowie 15. und 16. Oktober, Alte Reithalle, Aarau
«Als ausgesprochener Augenmensch ist mir vor allem das, was mir auffällt, wichtig», sagt Merz. «Im Alltag, im Umgang mit Menschen, auf Bildern und in der Tiefe der Erinnerung.» Diese Ausstellungen mit Kunst aus der Sammlung Merz, Videos und Hörfeatures machen die Literatur sinnlich erfahrbar.
AUSSTELLUNG: «Aussen ist innen – Klaus Merz», 5. September bis 18. Januar 2026, Forum Schlossplatz, Aarau
AUSSTELLUNG: «Merz Welt», 13. September bis 29. November, Galerie Litar, Zürich
«Als ausgesprochener Augenmensch ist mir vor allem das, was mir auffällt, wichtig», sagt Merz. «Im Alltag, im Umgang mit Menschen, auf Bildern und in der Tiefe der Erinnerung.» Diese Ausstellungen mit Kunst aus der Sammlung Merz, Videos und Hörfeatures machen die Literatur sinnlich erfahrbar.
AUSSTELLUNG: «Aussen ist innen – Klaus Merz», 5. September bis 18. Januar 2026, Forum Schlossplatz, Aarau
AUSSTELLUNG: «Merz Welt», 13. September bis 29. November, Galerie Litar, Zürich