Darum gehts
Oft wirkt das Ende ganz plötzlich. So wie bei Caroline (27). Fast zehn Jahre war sie mit ihrem Freund zusammen, nach aussen schienen sie glücklich. Streitereien gab es kaum. «Unsere Interessen sind immer weiter auseinandergedriftet, wir haben beide strenge Jobs, und die gemeinsame Zeit bestand nur noch aus Alltag», erzählt sie. Die Liebe sei eingeschlafen: «Ich hatte das Gefühl, dass ich emotional viel gebe und zugleich den ganzen Haushalt erledige. Aber zurück kam immer weniger.» Irgendwann habe ihr die gemeinsame Perspektive gefehlt: «Wenn ich mich in der Beziehung allein fühle, dann kann ich auch meinen eigenen Weg gehen.»
Offensichtlich hat Caroline den Kipppunkt der Liebe erreicht. Oder wie es die Wissenschaft nennt: die «terminale Phase». An der Universität Freiburg (D) und der Uni Bern wurde eine der bisher umfassendsten Untersuchungen zum Ende von Beziehungen durchgeführt und dieses Jahr publiziert. Die Forschenden werteten Daten von mehr als 11’000 Personen aus vier Langzeitstudien aus. Im Zentrum stand die Frage: Lassen sich Muster erkennen, die kurz vor einer Trennung auftreten?
Erst schleichend, dann schnell
Das Ergebnis: Paare, die sich trennten, durchliefen zwei Phasen. Zunächst eine längere, eher schleichende Abwärtsspirale – die sogenannte «vorletzte» oder präterminale Phase. Darauf folgte die entscheidende terminale Phase: Jetzt stürzt das gemeinsame Glück abrupt ab. Der Kipppunkt der Liebe ist erreicht, wenn die Zufriedenheit der Befragten nur noch bei 65 Prozent liegt. Bis zum endgültigen Aus dauert es laut der Studie ab dem Kipppunkt noch zwischen 7 und 28 Monaten.
Das Muster zeigt sich bei Frauen wie Männern gleich und ist unabhängig davon, wie lange das Paar zusammen gewesen ist. Interessant ist, dass die beiden Betroffenen diese Phasen nicht gleich erleben. Wer die Trennung einleitet, ist schon früher unglücklich in der Beziehung. Der oder die Verlassene hingegen besinnt sich angesichts vom nahenden Ende oft auf das Positive und versucht, zu retten, was zu retten ist – meist vergeblich.
Für die Zürcher Paartherapeutin Margareta Hofmann eine typische Situation: «Die innerliche Kündigung ist meist der Anfang vom Ende», sagt sie. Oft wird die Kommunikation hinausgezögert: «Zu sagen: ‹Ich liebe dich nicht mehr› – das fällt nicht leicht.» Darum scheint eine Beziehung, so wie bei Caroline, lange Zeit nach aussen noch intakt. «Eine Trennung ist ein ambivalenter Prozess, der oft im Innern abläuft und zu oft nur mit wenigen Vertrauten besprochen wird. Wer verlassen wird, ist oft komplett überrumpelt», sagt die Psychologin.
Warnsignale werden zu lange ignoriert
Darum sei es fair, frühzeitig zu kommunizieren. «Dann hat das Gegenüber eine Chance zu reagieren.» Oft sei es aber auch so, dass die Unzufriedenheit benannt, aber vom Gegenüber nicht gehört wird. Typische Warnsignale (siehe Box) würden unbewusst ignoriert. «Bis das Fass überläuft, dann ist es zu spät.» So hat sich das für Caroline angefühlt, trotz vieler Gesprächsversuche habe ihr Partner bis zum Schluss nicht begreifen können, warum sie ihn verlässt – denn für ihn war alles gut so, wie es war.
Gerade in diesen jungen Jahren könne eine Trennung sinnvoll sein, sagt Hofmann. «Wer als Teenager zusammenkommt, entwickelt seine Persönlichkeit noch, manchmal in unterschiedliche Richtungen.» Da sei es wichtig, sich selber treu zu bleiben und so die Weichen für die Zukunft zu stellen. Ein Schritt, der nicht allen gelingt. Hofmann erzählt von einer Klientin gleichen Alters: «Sie ist Anfang 30, wünscht sich ein Kind und ist unglücklich mit ihrem Freund. Aber sie wagt sich nicht aus der Beziehung raus. Was, wenn sie keinen passenderen Partner findet oder allein noch unglücklicher ist?»
In späteren Jahren sind es eher die Frauen, die sich trennen: «Sie nehmen eher das Risiko auf sich, allein zu bleiben, statt in einer unglücklichen Beziehung auszuharren», so Hofmann. Männern fällt das Alleinsein laut der Therapeutin in der Regel schwerer: «Das erlebe ich in der Praxis, wenn sich Paare auf Zeit trennen. Männer wissen oft nicht, was sie mit sich anfangen sollen, insbesondere in der Freizeit.»
Kein Sex, dafür Alltag und Netflix
Warum sich die einen trennen und die anderen nicht, dazu gibt die Studie keine Antwort – sie misst lediglich den Grad der Zufriedenheit bis zum Zeitpunkt der Trennung. Hofmann unterscheidet in der Praxis zwischen stabil zufrieden und stabil unzufrieden. «Viele Paare arrangieren sich auf niedrigem Niveau», sagt die Paartherapeutin. Die Beziehung wird eher freundschaftlich gelebt: «Kein Sex mehr, dafür Alltag, Netflix, man streitet miteinander – aber zieht noch am gleichen Strick und unterstützt sich gegenseitig.»
Manchen ist das lieber als die Trennung. Schliesslich steht viel auf dem Spiel: Da ist all das, was man zusammen erreicht hat, finanziell und emotional. Status, Wohneigentum oder Kinder. Viele haben Angst vor dem Alleinsein, besonders Männer. Das erzählt Stephan (54), ein erfolgreicher Manager. In seinem Umfeld erlebt er manchen Kollegen in der Midlife-Crisis, der sich nach Jahrzehnten plötzlich trennt: «Drei Tage später verliebt er sich Hals über Kopf in eine viel jüngere Frau, die er zufällig in einer Bar kennengelernt hat. Wers glaubt!» Für Stefan ist klar, dass die neue Partnerin schon vorher da war.
Selber ist er seit 30 Jahren verheiratet. Immer monogam zu bleiben, das sei unrealistisch. «Einen einmaligen Seitensprung tolerieren wir gegenseitig, aber wir hängen das nicht an die grosse Glocke.» Eine Trennung kommt für ihn nicht infrage: «Ich bin ein Familientyp, was wir zusammen aufgebaut haben und das Vertrauen ineinander ist mir wichtiger als ein schnelles High.»
Wenn folgende Warnzeichen immer wieder auftreten, lohnt es sich, genauer hinzuschauen – und das Gespräch zu suchen.
- Keine Lust: Sex oder Zärtlichkeit fallen weg
- Entfremdung: Emotionale oder körperliche Distanz
- Trennungsgedanken: Sie drehen ständig in einer negativen Abwärtsspirale
- Negative Konflikte: Feindseligkeit, Verachtung, ständige Kritik
- Gemeinsame Lösungen: Gespräche sind nicht mehr möglich
- Etwas stimmt hier nicht: Das Bauchgefühl ist meistens richtig – und sollte ernst genommen werden
Wenn folgende Warnzeichen immer wieder auftreten, lohnt es sich, genauer hinzuschauen – und das Gespräch zu suchen.
- Keine Lust: Sex oder Zärtlichkeit fallen weg
- Entfremdung: Emotionale oder körperliche Distanz
- Trennungsgedanken: Sie drehen ständig in einer negativen Abwärtsspirale
- Negative Konflikte: Feindseligkeit, Verachtung, ständige Kritik
- Gemeinsame Lösungen: Gespräche sind nicht mehr möglich
- Etwas stimmt hier nicht: Das Bauchgefühl ist meistens richtig – und sollte ernst genommen werden
Untreue und Entfremdung
Solche Vereinbarungen können funktionieren: «Wenn wirklich beide damit einverstanden sind», so Hofmann. Wie auch immer ein Paar sich arrangiert, es gelingt auf Dauer nur mit gegenseitigem Wohlwollen. Schwieriger wird es, wenn die Stimmung kippt. «Wenn die Beziehung feindselig wird, entsteht eine konflikthafte Bindung», erklärt die Expertin. «Man lebt zwar zusammen, teilt die Miete, tritt nach aussen als Paar auf – aber in Wirklichkeit gibt und bekommt man nichts mehr voneinander.» Ob jemand für eine Trennung bereit ist, sei letztendlich eine Frage des Charakters und der Situation: «Es gibt verschiedene Beziehungstypen, wer unsicher und ängstlich gebunden ist, zögert viel länger.» Wichtig sei auch der Auslöser für die Krise: Untreue oder Entfremdung spielen eine Rolle – in der Schweiz der häufigste Scheidungsgrund.
Das Rezept der Therapeutin für Paare, die unsicher sind, wie es weitergehen soll: «Verbringen Sie nochmals bewusst Zeit miteinander – fern vom Alltag, ausserhalb der gewohnten Wände.» Hofmann hat in einem Wellness-Hotel einen «Paar-Cours» mitgestaltet: Man führt sich mit verbundenen Augen durch den Wald, flüstert sich Komplimente zu und lässt Dinge los. Es gebe viele solcher Formate. Klar ist: «Wer sich danach noch mehr streitet, weiss, dass es Zeit zu gehen ist.»
Zu lange im Zustand von «Bleiben oder Gehen» zu verharren, sei ungesund. «Das kann kippen», warnt die Expertin. Und wer Anzeichen von emotionalem Missbrauch oder gar körperlicher Gewalt erlebt, solle sofort Hilfe suchen – «meist gleich für sich allein».