Ob ein sieben Meter hoher Teddybär, eine überlebensgrosse Büste von Popstar Katy Perry, die vom Publikum mitgestaltet wird, oder Häuser aus Brot: Was Urs Fischer (50) mit seinen Händen erschafft, sorgt für Aufsehen und erzielt Preise in Millionenhöhe. Weshalb er zwar weniger bekannt ist als sein Landsmann und Namensvetter, der Trainer von Union Berlin, aber um einiges reicher.
Denn unter den wenigen Schweizern, die mit ihrer Kunst international reüssiert haben, ist er der King. Momentan zählt Fischer zu den erfolgreichsten zeitgenössischen Künstlern weltweit, er lebt und arbeitet seit über zwanzig Jahren in New York und Los Angeles (USA).
Vom Türsteher im Zürcher Club Kaufleuten zum gefeierten Kunststar: Die Karriere von Urs Fischer ist bereits eine Legende. Aufgewachsen ist er an der Goldküste. Die Mutter war Hausärztin, der Vater Chirurg. In einem Interview bezeichnet er seine Herkunft als linksliberal. Also genug Freiheit, um statt einer akademischen Laufbahn einzuschlagen, seinen eigenen Weg zu gehen. Mit 16 verlässt Fischer die Schule, fängt die Kunsti mit Fotografie an und wird eine bekannte Figur im Zürcher Nachtleben, damals, als es in der Limmatstadt eine grosse Szene für illegale Partys gab.
Erste Ausstellung mit 22
Bei seiner ersten Einzelausstellung im Walcheturm 1996 war Fischer gerade mal 22 Jahre alt. Damals war Eva Presenhuber für den städtischen Kunstraum zuständig, bevor sie ihre eigene Galerie gründete. Sie war es, die Urs Fischer entdeckte und förderte. Bereits mit 25 wurde er von der weltweit wichtigen Galerie Hauser & Wirth vertreten. Fischer beendete weder die Fotofachklasse an der Kunstgewerbeschule in Zürich noch die Kunstschule in Amsterdam. Nach Berlin und London zog es ihn nach Los Angeles, bis heute ist Kalifornien seine Wahlheimat, sein Atelier hat er in New York. Die Schweiz adelte den aussergewöhnlichen Künstler schon früh: Fischer war gerade 32 Jahre alt, als ihm das Zürcher Kunsthaus eine grosse Ausstellung widmete.
Ob ihm der Erfolg zu Kopf gestiegen ist? Schwer zu sagen bei jemandem, der sich mit öffentlichen Auftritten und Statements zurückhält. Fischer lässt lieber seine Werke sprechen – und denen fehlt eines nie: Humor. Dazu die Doppeldeutigkeit und eine gewisse Respektlosigkeit. Wem sonst gelingt es schon, ein grosses Loch als Kunst zu verkaufen? Als Fischer 2007 eine zwölf mal neun Meter grosse und zweieinhalb Meter tiefe Grube in eine New Yorker Galerie bohren lässt und es «You» nennt, jubelt ihm die Kunstwelt zu.
Dazu gehören auch Skulpturen wie «Faules Fundament», das aus frischem Gemüse und Früchten besteht. Oder sein vier Meter hohes «Bread House», gebaut aus 2500 echten Brotlaiben. Wie verkauft man so was? Laut Fischer geht es dabei nicht um den originalen Körper des Werks, sondern um die Idee und das Konzept. Dazu gehört die Anleitung, wie man das Werk bauen kann – fast wie bei Ikea, bloss einmalig.
2011 katapultierte ihn ein Sieben-Meter-Teddybär in den Olymp der zeitgenössischen Kunst: Die Skulptur erzielte bei Christie’s in New York 6,8 Millionen US-Dollar. Auf einen Schlag galt Fischer damals als der erfolgreichste Künstler seiner Generation. Berührungsängste vor Kommerz hat er nicht, so hat er für den Luxusbrand Louis Vuitton eine Kollektion entworfen. Das berühmte Logo zeichnete er mit der Hand nach und bezeichnete unser Bedürfnis nach grossen Brands mit dem gleichen Bedürfnis eines Hundes, seine Präsenz zu markieren.
Grosser Player der zeitgenössischen Kunst
Seit 2012 wird Urs Fischer durch den grössten Player der zeitgenössischen Kunst vertreten, Larry Gagosian (78). Die Galerie hat seit kurzem auch eine Vertretung in der Schweiz, Direktor Andreas Rumbler erklärt, was die Arbeit des Schweizer Künstlers ausmacht: «Er verwirrt, er überrascht und stellt die Wahrnehmung des Betrachters auf den Kopf. Seine Werke hinterfragen Konventionen und werfen traditionelle Denkmuster über den Haufen. Man wird gezwungen, seine Kunst vollkommen unvoreingenommen anzugehen.»
Für Rumbler gehört die Ausstellung von Urs Fischer an der Biennale in Venedig 2011 zu den herausragendsten. Es ist die für Fischer typische Skulptur aus Wachs «Untitled» (2011), eine Reproduktion des Florenzer Wahrzeichens «Der Raub der Sabinerinnen» vom flämischen Bildhauer Giambologna. «Wie bei allen seinen Wachskreationen ist das Raffinierte, dass die Vernichtung und Vergänglichkeit des Werks mit eingebaut sind. Fischer wagte sich an eine weltberühmte Bildsymbolik und warf sie über den Haufen.»
Fischer sei ein Künstler, der den Takt vorgibt und täglich neue Ideen umsetzt. Ab dem 14. Oktober wird seine öffentliche Skulptur «Wave» (2018) in Paris im Rahmen von Paris+ par Art Basel auf der Place Vendôme installiert.
Jede Skulptur mit Fingerabdruck
«Wave» ist die sechste Skulptur aus Fischers Serie «Big Clays». Trotz ihres imposanten Ausmasses beginnen diese Werke immer mit einem kleinen Stück oder mehreren Stücken Ton, die von der Hand des Künstlers geformt werden. Fischer beschreibt diesen Prozess als «eine sinnliche und sich wiederholende Geste, wie eine körperliche Bewegung», die er vor einem bewussten Eingriff beendet. Nachdem er Hunderte solcher Formen angefertigt hat, wählt er nur eine aus, die er digital einscannt und in einem vergrösserten Massstab abformt. Im Gegensatz zu einer gegossenen Form oder einer digitalen Replik bewahrt das resultierende Werk die Taktilität der ursprünglichen Maquette und vergrössert ihre Details – bis hin zu den Fingerabdrücken des Künstlers.
Die zehn bestehenden Werke der Serie «Big Clays», die alle aus Aluminium gefertigt sind, wurden als öffentliche Herzstücke in Städten auf der ganzen Welt ausgestellt, darunter Florenz, Moskau und New York; 2022 wurde «Lovers #2» im Museo Jumex in Mexiko-Stadt installiert. Nicht überall kommt seine Kunst gleich gut an. Als 2021 «Big Clay» am Ufer der Moskwa aufgestellt worden war, bezeichnete sie der Komiker Maxim Galkin als «einen Haufen nicht besonders akkurater Kacke». Kritik scheint an Fischer abzuperlen, er liest angeblich keine Artikel über sich selber – er hat sich offenbar nicht mal das Filmporträt, das 2008 über ihn entstanden ist, angeschaut. So ist er also noch immer, cool und undurchdringlich wie als Türsteher beim ehemals beliebtesten Club Zürichs. Fischers neustes Werk «Wave» wird in Paris bis zum 1. Dezember 2023 zu sehen sein.