Darum gehts
- Neuer Intendant eröffnet Spielzeit mit Rosenkavalier im Zürcher Opernhaus
- Inszenierung mischt Klassik mit poppiger Ästhetik und sinnlichen Elementen
- Vier Stunden dauerndes Spektakel mit internationalen Stars in Hauptrollen
Es beginnt wie ein erotischer Fiebertraum: Die Marschallin und ihr junger Liebhaber Octavian fallen im Himmelbett hemmungslos übereinander her. Im Hintergrund projiziert die bewegte Bildfläche einen nackten Busen im Grossformat – ein klares Statement, hier nickt niemand ein. Willkommen bei der Premiere des Rosenkavaliers am Zürcher Opernhaus.
Mit dem Meisterwerk von Strauss eröffnete der neue Intendant Matthias Schulz (44) am Sonntagabend seine Spielzeit. Er will das Publikum weg von den kleinen Handy-Displays locken, hinein in das grosse gemeinsame Erlebnis der Oper: Hier werden alle Sinne angesprochen, nicht nur das Gehör, die Schwingungen der Stimmen und Instrumente sind im Körper spürbar; die kraftvollen Bilder visuell reizvoll. Über vier Stunden dauert das Spektakel. So lange still sitzen und dabei aufs Handy verzichten? Heutzutage fast schon ein Relikt aus einer anderen Zeit.
Prominenz bei der Premiere
Langweilig wird es aber nicht, dafür sorgt schon das Premierenpublikum: Wo man hinschaut, sind bekannte Gesichter zu erkennen. In einer Loge sitzt der ehemalige Präsident der Nationalbank, Philipp Hildebrand (62). Mitten im Publikum, etwa der frühere Intendant Alexander Pereira (77), die Ballettdirektorin Cathy Marston (49) und die PR-Frau Beatrice Tschanz (81). Ganz oben in einer Loge erkennt man Rainer-Maria Salzgeber (56) neben einer Moderatorin im rosa Pailletten-Kleid. Sie sind bei der Arbeit: Die Premiere wird vom SRF und Arte aufgezeichnet und um ein paar Stunden verzögert übertragen.
Der erste Akt dauert etwa eine Stunde. Es kommt auf das Tempo der Dirigentin an: Joana Mallwitz (38) sei schnell, so erklärt es meine Sitznachbarin, die bereits 20 Versionen des Rosenkavaliers gesehen hat. Mallwitz gehört zu den Besten ihres Fachs; auch die Hauptrollen sind allesamt von internationalen Stars besetzt. Diana Damrau (54) als Feldmarschallin, Angela Brower (42) spielt den jugendlichen Octavian und Günther Groissböck (48) mimt den derben Verführer Baron Ochs.
Ein Liebesdreieck im Farbrausch
Der Handlung ist leicht zu verfolgen: Ein Liebesdreieck treibt die Geschichte voran. Octavian, der junge Geliebte der Feldmarschallin, verliebt sich in die unschuldige Sophie, deren Hand der grobschlächtige Baron Ochs gewinnen will. Um ihn auszutricksen, locken die jungen Liebenden Ochs in eine Falle – bei einem Stelldichein mit einer Kammerzofe werden ihm buchstäblich die Hosen heruntergelassen. Regisseurin Lydia Steier (47) inszeniert die Szene in einem düsteren Sado-Maso-Salon, in dem der Baron angekettet und immerhin sanft gepeitscht wird – eine Mischung aus Komik, Erotik und Gesellschaftssatire.
Die drei Akte sind in grellen, monochromen Farben gestaltet: Blau im ersten, Gelb im zweiten, Rot im dritten. Die Hauptdarsteller treten jeweils in Kontrastfarben auf, was sie dramatisch vom Bühnenbild abhebt: eine Orgie fürs Auge. Die grellbunte Welt stammt von Gottfried Helnwein (76), der das Bühnenbild bereits für den Rosenkavalier in Los Angeles gestaltete und nun zusammen mit Regisseurin Steier die Kostüme überarbeitet hat.
Fast wie «Bridgerton»!
Plötzlich wird klar, woran das alles erinnert: «Bridgerton»! Die beliebte Netflix-Serie punktet mit opulenten Kostümen, Kitsch, grellen Farben und einer ordentlichen Portion Erotik – klassische Musik wird poppig inszeniert. Im Opernhaus trifft diese pop-artige Verspieltheit auf höchstes Klassikniveau: Hasen und Äffchen tollen über die Bühne, Engel schwelgen auf dem Kronleuchter, die Kostüme sind überdreht, die Farben grell – und doch bleibt alles meisterhaft umgesetzt. Das Orchester spielt die Musik von Strauss mit der Präzision von absoluten Profis, die Stimmen der drei Hauptdarstellerinnen im letzten Akt – Octavian, Feldmarschallin und Sophie – verschmelzen zu einem Moment purer himmlischer Intensität.
So beginnt die Ära Schulz am Zürcher Opernhaus mit einem Feuerwerk: ein klassisches Meisterwerk, das zugleich zugänglich und sinnlich ist. Die vier Stunden vergehen wie im Rausch – dank der Pausen zwischen den Akten bestens auszuhalten. Statt allein vor einer Netflix-Serie in der Jogginghose im Wohnzimmer sitzt man im Abendkleid inmitten des Geschehens.