Darum gehts
- Renzo Blumenthals Aussagen zur Rollenverteilung sorgen für Diskussionen und Zuspruch
- Psychotherapeutin Dania Schiftan sieht Verunsicherung zwischen den Geschlechtern, besonders bei Männern
- Viele Familien mit zwei oder drei Kindern können nicht von einem Einkommen leben
Die Aussagen von Renzo Blumenthal schlagen hohe Wellen: «Der Mann wird heute nur noch als Erzeuger gebraucht, alles andere können Frauen mittlerweile alleine.» Der Landwirt hat sich in einem Podcast zur modernen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau geäussert. Von Blick-Leserinnen und -Lesern bekommt er dafür viel Zuspruch. Für die Psychotherapeutin und klinische Sexologin Dania Schiftan ist das nicht erstaunlich, es spiegelt die grosse Verunsicherung zwischen den Geschlechtern, insbesondere seitens der Männer.
Was halten Sie von den Aussagen von Renzo Blumenthal?
Dania Schiftan: Er nimmt kein Blatt vor den Mund und thematisiert eine Problematik, die vielen Paaren auf dem Herzen liegt. Grundsätzlich ist es gut, wenn über die heutige Rollenverteilung diskutiert wird. Damit sind viele Paare überfordert.
Warum?
Was sich Renzo Blumenthal zu wünschen scheint, ist ein Familienbild aus den 1950er-Jahren. Das geht in Richtung der Tradwifes, das sind junge Frauen, die sich nach der traditionellen Rolle als Hausfrau sehnen. Also klar verteilte Rollen, sie kümmert sich ums Innere, den Haushalt und die Kinder. Er sorgt im Aussen für das Einkommen. Wenn sich das beide wünschen, spricht nichts dagegen. Aber selbst wer das möchte, Fakt ist, ein Grossteil der Familien mit zwei oder drei Kindern kommt nicht mit einem Einkommen aus.
Blumenthal will ja die Frauen nicht zurück an den Herd schicken.
Ja, aber sein Modell baut auf dem traditionellen Rollenbild von Frauen und Männern auf. Also zum Beispiel, dass Frauen besser vernetzt denken können. Das greift zu kurz, ist aber ganz praktisch, so kann man alles Organisatorische der Frau abschieben, und sie trägt den ganzen Mental Load. Wir hängen da noch immer in patriarchalischen Strukturen fest. Das Problem ist, dass heutzutage dann zu Haushalt und den Kindern noch die Karriere obendrauf kommt. In gewisser Weise bestärkt das Frauen auch, weil es sie eigenständiger macht. Aber diese Mehrfachbelastung tut nicht gut, darunter leiden dann alle.
Sind Männer mit der neuen Rollenverteilung überfordert?
Für Frauen ist es heute normal, dass sie Karriere machen und eigenständig sind. Anfangs ist die Beziehung darum oft gleichberechtigt und auf Augenhöhe. Erst wenn die Kinder da sind, kippt das Gleichgewicht. Das kann Männer verunsichern, das hört man auch aus den Worten von Renzo Blumenthal heraus. Viele Männer fühlen ähnlich wie er, sie machen die Faust im Sack. Diese Opferhaltung finde ich problematisch, so im Sinn von, die Frauen nehmen uns alles weg. Das bringt uns nicht weiter. Und es wird dem eigentlichen Problem nicht gerecht, nämlich dass Frauen komplett überfordert sind und vom System nicht mal geschützt und unterstützt werden.
Blumenthal findet aber auch viel Zuspruch bei den Frauen, warum?
Weil sie oft überlastet sind und sich durchaus eine zuverlässige Schulter zum Anlehnen wünschen. Aber ich denke, es ist wichtig, dass man das Bild der traditionellen Kleinfamilie der 1950er-Jahre nicht zu einer Traumvorstellung verklärt. In der Realität hatten Frauen kaum Rechte, sie durften ohne Einwilligung ihres Mannes nicht arbeiten, ein Bankkonto eröffnen oder gar wählen. Und oft fühlten sie sich mit den Kindern alleingelassen und isoliert. Zuvor waren die Familienverbände noch grösser, und es gab mehr Unterstützung. Es heisst nicht umsonst, dass es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind grosszuziehen.
Was können Paare also besser machen?
Wichtig ist, dass man sich als Paar immer wieder bespricht, wenn man mehr Verbindlichkeiten eingeht. Also wenn man zusammenzieht oder insbesondere wenn Kinder kommen. Das bringt so grosse Herausforderungen mit sich, dass man sich unbedingt klar organisieren muss. Also wer ist für welchen Bereich verantwortlich und zuständig? Sonst rutscht man automatisch in traditionelle Strukturen, die nicht mehr in die Anforderungen der heutigen Gesellschaft passen. Davon sind dann Frauen und Männer überfordert.