Darum gehts
- Tiere wie Ziegen oder Rentiere fressen Fliegenpilze
- Schamanen und Therapeuten nutzen den Fliegenpilz für transformative Erfahrungen und Heilung
- Der Hauptwirkstoff Muscimol ist neu auf der Betäubungsmittelliste
Er leuchtet im Wald schon von weitem: knallrot und wie mit weissen Perlen bestickt. Der Fliegenpilz ist unverkennbar, wenn er unter Birken, Fichten und Kiefern aus dem Boden ragt. Und schon als Kinder lernen wir: Finger weg! Giftig!
Das dachte auch Peter* (52), als er in einem Sommer auf einer Alp als Geissenhirt arbeitete. Dabei beobachtete er, wie die Ziegen Fliegenpilze frassen. «Ich habe mich gewundert.» Zugleich stiess die Beobachtung eine tiefe Veränderung in ihm an. «Aus dem Fliegenpilz wurde meine Herzensmedizin.» Zwei Jahrzehnte später gehört Peter zu einer kleinen Gruppe von Menschen in der Schweiz, die mit Fliegenpilzen arbeiten, darunter Schamanen und Naturheilpraktikerinnen. Sei es als Mikrodosierung – in winzigen Mengen – oder in sogenannten Deepdives, in denen Teilnehmende auf transformierende Reisen gehen.
Getragen wie ein Baby
Seit Mai dieses Jahres steht Muscimol, einer der Hauptwirkstoffe im Fliegenpilz, auf der Betäubungsmittelliste. Auch der Besitz für den Eigengebrauch ist strafbar. Fliegenpilz-Nutzerinnen und -Nutzer bestehen deshalb auf Anonymität, so auch Schamane Peter.
Der Hauptwirkstoff des Fliegenpilzes Muscimol steht seit Mai 2025 auf der Schweizer Betäubungsmittelliste. Laut Swissmedic wurde die Nischendroge plötzlich beliebter und in zweifelhafter Form, z.B. als Gummibärchen, angeboten. Es gab europaweit Meldungen und Hinweise auf schwere Vergiftungserscheinungen. Wegen der starken psychoaktiven Wirkung von Muscimol und weil es schwere gesundheitliche Schäden verursachen kann, stelle die Vermarktung eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Gesundheit dar. Herstellung, Handel oder Besitz sind somit strafbar.
Der Hauptwirkstoff des Fliegenpilzes Muscimol steht seit Mai 2025 auf der Schweizer Betäubungsmittelliste. Laut Swissmedic wurde die Nischendroge plötzlich beliebter und in zweifelhafter Form, z.B. als Gummibärchen, angeboten. Es gab europaweit Meldungen und Hinweise auf schwere Vergiftungserscheinungen. Wegen der starken psychoaktiven Wirkung von Muscimol und weil es schwere gesundheitliche Schäden verursachen kann, stelle die Vermarktung eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Gesundheit dar. Herstellung, Handel oder Besitz sind somit strafbar.
Er erzählt von seiner ersten Erfahrung mit dem Fliegenpilz, den er sich als Tee zubereitete. Er legte sich hin und fühlte sich wie ein Baby: «Getragen und geborgen. Noch nie zuvor hatte ich eine so tiefe Verbindung zur Erde verspürt. Wie ein Baum, tief verankert.» Für ihn ist der Fliegenpilz Teil einer uralten Medizin, die im Christentum verteufelt wurde. So sei wertvolles Wissen verloren gegangen. Amanita muscaria, so der lateinische Name für den Fliegenpilz, sei keine Droge, sondern Medizin und eine Art von Göttlichkeit. Peter ist überzeugt, dass unsere Welt beseelt sei, jeder Baum, jedes Tier. «Wir haben Mutter Erde verlassen und die Verbindung zu ihr verloren. Der Fliegenpilz bringt uns dahin zurück.»
Wer eine Reise mit Fliegenpilzen antritt, hat meist schon Erfahrung gesammelt mit psychoaktiven Substanzen wie Psilocybin-Pilzen, LSD oder Ayahuasca, der Dschungelpflanze aus dem Amazonas. Ein 58-jähriger Designer, der an einer Zeremonie von Peter teilgenommen hat, sagt: «Es geht nicht um eine farbenfrohe Traumreise, so wie es oft mit Psilocybin vorkommt. Im Gegenteil, der Fliegenpilz lässt dich aus deinen Träumen und Illusionen erwachen. Er ist wie ein Zenmeister, er räumt aus dem Weg, was man nicht braucht.» Zudem wendet er den Fliegenpilz auch äusserlich an, gegen Rheuma und Gelenkschmerzen: «Mir hilft es. Auch mit Schmerzen oder Unangenehmem umzugehen.»
Uraltes rituelles Rauschgetränk
Als rituelles Rauschgetränk hat der Fliegenpilz eine lange Tradition – besonders bei sibirischen und nordskandinavischen Völkern. Schamanen nutzten den Pilz, um in Trance Zugang zu spirituellen Welten, Geistern und göttlicher Weisheit zu erlangen. Auch Tiere scheinen von seiner Wirkung angezogen: Nicht nur Ziegen hierzulande, sondern auch Rentiere im hohen Norden fressen die roten Hüte – sie scharren sie sogar unter dem Schnee hervor. Das machten sich Schamanen zunutze, indem sie den Urin der Tiere tranken. Das klingt nicht appetitlich, doch durch die Verdauung werden die giftigen Stoffe abgeschwächt, während die psychoaktiven Wirkstoffe Muscimol und Ibotensäure erhalten bleiben – und die Wirkung stärker ausfällt.
Von den berauschten Rentieren führt die Spur zum bekannten Bild des Santa Claus, der mit seinem Schlitten durch die Lüfte fliegt: ein Echo heidnischer Rituale zur Wintersonnenwende. Odin, der germanische Gott, gilt in manchen Überlieferungen als Vorbild des rot-weiss-gewandeten Weihnachtsmanns. In der dunkelsten Nacht des Jahres ritt er durch die Lüfte – auf seinem achtbeinigen Pferd Sleipnir, aus dessen Schaum der Legende nach die Fliegenpilze entstanden.
Und tatsächlich: Der knallrote Pilz schiesst vor allem in Märchen und Sagen aus dem Boden. Wichtel sollen im weissen Stiel hausen und «Zwergenwein» schlürfen – Regenwasser, das sich im Hut sammelt. Die Ibotensäure im Fliegenpilz, die beim Trocknen zu Muscimol zerfällt, wirkt psychoaktiv und kann Halluzinationen hervorrufen. In «Alice im Wunderland» beisst Alice von einem nicht näher definierten Pilz ab und wächst oder schrumpft je nach Stück, das sie erwischt.
Suche nach tiefer Verbindung zur Natur
Heute wächst das Interesse an solchen Mythen und heidnischen Praktiken. Viele sehen darin eine Rückbesinnung auf eine tiefere Verbindung zur Natur, auf altes Wissen und Rituale. Dabei spielt auch die wissenschaftliche Faszination für das allumfassende Netzwerk der Pilze eine Rolle, das ist Mykologen wie dem US-Amerikaner Paul Stamets (70) zu verdanken. In der Netflix-Doku «Fantastische Pilze» sagt er: «Das Myzel ist die Mutter von uns allen.» Er zeigt, wie das unterirdische Myzelnetzwerk der Pilze als ein lebendiges, intelligentes System funktioniert und welche lebenswichtige Rolle es für unser Ökosystem spielt. Stamets vergleicht es mit dem menschlichen Gehirn oder dem Internet – ein komplexes, dezentral organisiertes System, ein «neuronales Netzwerk der Natur», das uns hilft, die Welt als ein miteinander verbundenes Ganzes zu begreifen. Zugleich spricht er über Heilpilze und teilt seine Erfahrungen mit psychedelischen Pilzen.
Das hat auch das Interesse von Annabelle* (66) geweckt. Für sie ist der Fliegenpilz die Medizin unserer Zeit: «Viele spüren, dass die Welt im Umbruch ist, und suchen nach einer neuen Verbundenheit.» Sie ist zusammen mit ihrem Partner seit 30 Jahren in der esoterischen Szene der Persönlichkeitsentwicklung aktiv. Seit dreieinhalb Jahren verwendet sie dabei auch Fliegenpilze. «Amanita muscaria ist ein starkes Werkzeug. Es legt den Schleier gesellschaftlicher und persönlicher Rollen beiseite, und man kommt tiefer zu seinem wahren inneren Selbst», sagt Annabelle.
Für das Paar ist der Fliegenpilz kein Trip oder Abenteuer, sondern eine heilige Medizin, die mit Respekt angewendet werden muss. «In Mikrodosierung kann der Fliegenpilz subtil Bewusstsein, Kreativität und Verbundenheit fördern. Hoch dosiert ist er sehr kraftvoll und sollte nur von Menschen genutzt werden, die dafür bereit sind und Verantwortung übernehmen können», erklärt Annabelle.
Ein unsichtbares Netzwerk
Auch die Naturheilpraktikerin Sophia* (49), die mit Heilpilzen arbeitet, betont, dass Eigenverantwortung entscheidend ist. Einfach in den Wald gehen, Fliegenpilze sammeln und sie essen? Davon raten alle dringend ab, die mit Fliegenpilzen Erfahrung haben. «Amanita ist ein Giftpilz. In Mikrodosierung und richtig zubereitet kann er unterstützend wirken – für Persönlichkeit, Psyche, Ruhe und Klarheit.» Den Pilzsud müssen ihre Patientinnen selbst herstellen. «Ich gebe ihn nicht ab, ich kläre nur auf, was möglich ist.»
Sophia sagt, dass die Anwendung weit verbreitet ist: «Vor allem auch in den USA, aber auch hier, in nördlichen und slawischen Ländern bis nach Russland.» All das geschieht unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung. Ein unsichtbares Netz verbindet die Anwender untereinander – im Verborgenen, still und widerstandsfähig, fast wie das Myzelgeflecht der Pilze.
* Namen geändert
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