Eine Weihnachtsgeschichte von Jovana Nikic
Wo kommt der Esel hin? Neben Josef? Vor den Eingang? Quatsch!

Er wollte Pfarrer werden, seine Tochter Pfarrerin – doch beide sind sie davon abgerückt. Ein Krippenspiel wie Schach von Kabarettistin Jovana Nikic.
Publiziert: 23.12.2023 um 16:29 Uhr
Die Anordnung einer Krippe will wohlüberlegt sein.
Jovana Nikic

«Papa, was wolltest du früher werden?» «Ceri ...», fängt er an. Was so viel wie «Töchterchen» heisst. Das ist gar nicht mal so typisch, denn oft nennt man im Balkan seine Töchter wie die Söhne: «Sine.»

Draussen ist es dunkel. Es riecht nach Orange und Vanille – so wie die Adventszeit eben riecht. Ich mampfe Zimtsterne und stelle die jährliche Krippe auf.

«Ceri ...», fängt er also an und beginnt zu schmunzeln: Pfarrer habe er werden wollen, erklärt er mir. Nicht, weil er unglaublich religiös gewesen sei, nein, vielmehr weil Pfarrer immer genug zu essen gehabt hätten, gute Autos fuhren, zur Obrigkeit gehörten. So sein kindliches Denken, erzählt er.

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Jovana Nikic im Kindesalter.

Und dann packt sie mich wieder – die pure Melancholie. Das passiert oft, wenn Papa Geschichten aus seiner Kindheit erzählt. Er ist schon älter, hat andere Zeiten erlebt. Ob ich Maria links oder rechts von Josef platzieren soll, frage ich mich.

Papa wuchs ohne Mutter auf. Sie starb früh, sie habe schön singen können, sagte mein Onkel einmal. Marina hiess sie. Ihr Mann, ein Bauer ohne Bildung, der es einfach nicht besser wusste und dem Alkohol verfiel. Und mein Papa, der als Kind mit seinem Bruder zuschaute, wie die Bessergestellten im Dorf Spanferkel zu Weihnachten zubereiteten – Spanferkel, die sich Papa mit hungrigem Bauch nur erträumen konnte, da Opa für Zigaretten und Schnaps das letzte Geld ausgab.

Die magere Ernte zeugte von einem schlechten Bauern. Die Kinder – von einem schlechten Vater.

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Und obwohl das schon tragisch genug war, kam noch der Steuereintreiber in regelmässigen Abständen, um die letzte magere Sau aus dem Stall mitzunehmen. Ob Maria und Josef damals auch andere Tiere im Stall hatten, frage ich mich und verteile die Schäfchen.

Heute hält Papa nicht mehr viel von Pfarrern. Nichts von denen aus dem alten Jugoslawien. Auf seiner Stirn bilden sich Wutrunzeln ab, wenn er an den alten Pfarrer denkt, jenen damals im Dorf – für die Armen, so Papa, sei er nie da gewesen. Die drei Könige, die setze ich ungefähr 20 Zentimeter von den anderen Figuren weg.

Jovana Nikic

Am 22. November 1999 in Belp BE geboren, wächst Jovana Nikic dort und in Toffen BE auf. Sie beginnt die Fachmittelschule in Bern, wechselt nach einem Jahr ans Gymnasium nach Thun BE. Danach beginnt sie ein Philosophiestudium in Bern und studiert heute Philosophy, Politics and Economics in Luzern. Nach Theaterauftritten als Teenager sorgt sie als Slampoetin für Furore und hat 2023 Premiere mit ihrem ersten Kabarett-Solo «Bärner Meitschi». Auf Radio SRF 1 ist sie regelmässig in der Satiresendung «Zytlupe» zu hören.

Am 22. November 1999 in Belp BE geboren, wächst Jovana Nikic dort und in Toffen BE auf. Sie beginnt die Fachmittelschule in Bern, wechselt nach einem Jahr ans Gymnasium nach Thun BE. Danach beginnt sie ein Philosophiestudium in Bern und studiert heute Philosophy, Politics and Economics in Luzern. Nach Theaterauftritten als Teenager sorgt sie als Slampoetin für Furore und hat 2023 Premiere mit ihrem ersten Kabarett-Solo «Bärner Meitschi». Auf Radio SRF 1 ist sie regelmässig in der Satiresendung «Zytlupe» zu hören.

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Religionen, die müsse man hingegen respektieren. Glauben, so Papa, helfe Menschen seit Anbeginn der Zeit. Das erklärte er mir, als ich mit 15 Jahren sagte: «Religion ist doch bescheuert!» Ob ich die Weisheit nun mit dem Löffel gefressen habe, fragte er und machte mir klar, dass meine Aussage damals keine Meinung war, sondern unüberlegt und verletzend für all jene, die an etwas Höheres glauben: «Über 2000 Jahre, mein Kind – andere Religionen noch älter – und du mit deinen 15 Jahren machst dir ein Urteil?»

Als Kind wollte ich auch Pfarrerin werden. Obschon mein Magen immer voll war, ich ins Judo und in den Ballettkurs durfte, den ich mir erträumte, Gitarrenunterricht hatte und Eltern – beide Elternteile –, wollte ich Pfarrerin werden. Reformierte Pfarrerin.

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Denn eines meiner liebsten Fächer, neben Ballett und Trachtentanzen, das war die kirchliche Unterweisung KUW. Ich erinnere mich an den ersten Mittwochnachmittag: Ich kam stolz nach Hause und meinte, brilliert zu haben.

Warum Noah von jedem Tier zwei auf die Arche genommen habe, fragte die KUW-Lehrerin. Ich antwortete – und heute finde ich die Aussage amüsant: «Wegen des Gleichgewichts auf dem Schiff!» Im Nachhinein betrachtet, habe ich damals noch den Anschein gemacht, aus mir könnte eine Physikerin werden.

Wo kommt der Esel hin? Neben Josef? Vor den Eingang? Quatsch! Ist ein Stall, denke ich, und platziere den Esel.

Ich wollte Pfarrerin werden. Wegen all der Frauen, der Lehrerinnen der KUW und der Mama einer Kindheitsfreundin, die auch Pfarrerin war. Aus der Sicht meiner Kinderaugen waren diese Frauen lässig, selbstbestimmt und irgendwie cool. Und erst recht wollte ich Pfarrerin werden, als man mir sagte, Frauen seien nicht in allen Religionen als Geistliche zugelassen.

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Bei unserer Autorin rückt Josef näher zu seinem Kind.

Es ging mir nicht um die Religion, obschon ich die Bibel als Kind las. Ich wollte so cool sein wie diese Frauen. Die über Gott sprachen, über Nächstenliebe und dann in der Pause hinter der Kirche eine Zigarette rauchten, während wir Kinder Ruchbrot mit Schoggi assen und Sirup aus farbigen Plastikbechern tranken.

Im Gymnasium hatte ich im Nebenfach Religionslehre: Buddhismus, Islam, Judentum, Katholizismus – alles packte mich. Analytisch las ich Suren oder über Maria Magdalena, Christus und Chanukka. Die Religionslehrerin war uns allen ebenfalls ein Vorbild. Stark, analytisch, mit Sinn für Humor. So wollten wir Mädels alle werden. So wollte ich werden. 

Die Krippe steht, sieht gut aus.

Papa hatte kein fürsorgliches Elternhaus und wurde nie Pfarrer. Ich wurde nie Pfarrerin, obwohl ich, so meine ich, ein sehr fürsorgliches Elternhaus hatte – und rücke Josef näher zu seinem Kind.

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