Diese beiden Bilder brennen sich ins Gehirn – einmal gesehen, bleiben sie unvergesslich: «Wanderer über dem Nebelmeer» (um 1817) und «Kreidefelsen auf Rügen» (1818). Im Hinblick auf den nächstjährigen 250. Geburtstag ihres deutschen Malers Caspar David Friedrich (1774–1840) reisen die zwei Kunstikonen durch Deutschland und die Schweiz. Seit diesem Wochenende machen sie halt in Winterthur ZH.
Eine Sensation: «Es handelt sich um die erste grosse Ausstellung zu Friedrich in der Schweiz überhaupt», lässt sich das Kunst Museum Winterthur stolz vernehmen. Dieser Coup gelang, weil die örtliche Stiftung Oskar Reinhart über die bedeutendste Werkgruppe zur deutschen Romantik ausserhalb der Bundesrepublik verfügt. Das Herzstück ist das Ölgemälde «Kreidefelsen auf Rügen». Und wer hat, dem wird gegeben.
So zeigt die Ausstellung «Caspar David Friedrich und die Vorboten der Romantik» neben sieben Friedrich-Werken aus der Sammlung des Winterthurer Mäzens Oskar Reinhart (1885–1965) 37 Gemälde, Zeichnungen und Aquarelle des Künstlers aus namhaften deutschen Museen – «Wanderer über dem Nebelmeer» kommt aus der Kunsthalle Hamburg. Eingebettet sind sie in 61 Werke von Wegbereitern und -begleitern Friedrichs.
Schweizer Wegbereiter der Dresdner Landschaftsmalerei
Kurator David Schmidhauser (38) inszeniert die goldgerahmten Millionenwerte effektvoll auf königsblauen Stellwänden. «Schliesslich war die blaue Blume das Symbol der Romantik im 19. Jahrhundert», sagt Schmidhauser. Zentral gestaffelt im Raum schweift der Blick vom «Kreidefelsen» über den «Wanderer» bis zum grossflächigen Gebirgsbild «Der Watzmann» (1824/25) zuhinterst im Saal.
«Der schneebedeckte Watzmann ist wie das umgekehrte Dreieck, das die weissen Kreidefelsen umrahmt», sagt Schmidhauser. Wie zwei Puzzleteile, die sich ineinanderfügen. Wahrlich, in dieser Ausstellung passt alles zusammen – ein Werk weist auf das andere, dieses wirkt wie die Antwort auf jenes und schafft ein grösseres Verständnis für die Kunst der deutschen Romantik.
Besonders stolz ist Schmidhauser auf das Sepiawerk «Der Prebischkegel» (um 1770) des St. Galler Künstlers Adrian Zingg (1734–1816), das ihm das Kupferstich-Kabinett in Dresden (D) für wenige Wochen ausgeliehen hat. Zingg, 1766 als Lehrer an die Dresdner Malerakademie berufen, gilt als Wegbereiter der Dresdner Landschaftsmalerei und als Schöpfer der Bezeichnung Sächsische Schweiz, weil er sich dort so heimisch fühlte.
Caspar David Friedrich und die Schweiz
Friedrich, der 1798 nach seinem Studium an der Königlich Dänischen Kunstakademie von Kopenhagen ins damalige Kunstmekka Dresden zog, muss von Zingg beeinflusst gewesen sein. Denn, so schreibt Schmidhauser in seinem Essay für den Ausstellungskatalog: «Der wichtigste Impuls aus der Schweiz, nicht nur für – den jungen – Friedrich, sondern für die Dresdner Landschaftsmalerei im Allgemeinen, ging von Adrian Zingg aus.»
«Caspar David Friedrich und die Schweiz» ist der Essay überschrieben. Das sei auch der heimliche Titel der Ausstellung, verrät Kurator Schmidhauser. Zwar war Friedrich nie hier, aber er hatte eine Faszination für die raue Bergwelt. «Dies lässt sich deutlich an seinem Werk ablesen», schreibt Schmidhauser im Essay, «wobei für einen am Meer geborenen Maler bereits die relative Häufigkeit des Bergmotivs in diese Richtung weist.»
Caspar David Friedrich kommt am 5. September 1774 als sechstes von zehn Kindern eines Seifensieders und Kerzenziehers und dessen Ehefrau in Greifswald (D) an der Ostsee zu Welt. Nach dem frühen Tod der Mutter – Caspar David ist noch keine sieben Jahre alt – ist ihm die älteste Schwester Catharina Dorothea (1766–1808) Mutterersatz. Der protestantische Vater erzieht mit puritanischer Strenge.
Friedrich ist Erfinder der religiösen Landschaft
Dennoch ist er sensibel genug, die Fähigkeiten des schwierigen Jungen zu fördern: Der Vater schickt den 14-Jährigen, bei dem heute wohl Autismus oder Asperger diagnostiziert würde, in einen öffentlichen Zeichenunterricht. Um zu zeigen, was er dort gelernt hat, und als Dank, verewigt der Sohn in einer frühen Kreidezeichnung das «Bildnis des Vaters» (um 1798) – das Porträt hängt in der Ausstellung an der Wand mit den Lebensdaten.
Forderung und Förderung – protestantische Diszipliniertheit und zeichnerische Ausschweifung – vereint Friedrich zu einem neuen Genre. «Er ist Erfinder der religiösen Landschaft», sagt Schmidhauser. Viele seiner Werke würden eine göttliche Erhabenheit ausstrahlen, auf manchen sei ein Kreuz zu sehen, wenn auch nur im Kleinen. «In der Landschaft hat Friedrich Religion erfahren», so Schmidhauser, «Malerei ist für ihn Gottesdienst.»
Wie Kirchen gestaltet er seine Landschaftsbilder, schafft häufig keinen fliessenden Übergang von Nähe und Ferne, sondern malt hintereinander klar umrissene Ebenen – wie wenn ein Taufstein vorne stehen würde, danach eine Kanzel und zuhinterst ein Altar. «Friedrich baute seine Bilder wie Bühnen auf», sagt Kurator Schmidhauser. Und damit fand der Künstler schon zu Lebzeiten sein Publikum, sodass er von der Kunst leben konnte.
Der Maler hat die Alpen nie gesehen
Gebirge wie Kirchen: Friedrich wäre vom Anblick der Alpen sicher angetan gewesen. «In einem Brief vom 25. November 1808 erzählte Caspar David Friedrich seinem Bruder Christian von seinen Plänen, in die Schweiz zu reisen», schreibt Schmidhauser im Katalog. Zwei Jahre später äussert er denselben Wunsch, doch ihm fehlt es an Geld für die lange Reise.
So bleibt dem an der Ostsee Geborenen nur die Sehnsucht nach den Bergen. Friedrich hat übrigens auch den Watzmann, den zentralen Gebirgsstock in den Berchtesgadener Alpen im Süden Bayerns, nie mit eigenen Augen gesehen – sein formatmässig grösstes Tableau «Der Watzmann» schuf er nach Skizzen eines seiner Schüler.
Friedrich malt zwar nach der Natur, doch mit der Umsetzung nimmt er es oft nicht so genau – immer mal wieder kombiniert er Versatzstücke aus seinen Skizzenbüchern. So heisst ein in der Ausstellung zu sehendes Gemälde «Ruine Eldena im Riesengebirge» (1830/1834) – die Überreste der Klosteranlage Eldena befinden sich in Greifswald, das Riesengebirge rund 400 Kilometer südlich an der polnisch-tschechischen Grenze.
Meerbild im Alpenland, Gebirgsbild in Hamburg
Den von Friedrich gemalten «Kreidefelsen auf Rügen» werden Reisende vor Ort auf der deutschen Ostseeinsel auch nicht finden. Zwar gebe es die linke Felsenküste, ebenso die rechte, sagt Schmidhauser, aber sie seien nicht nebeneinander und bilden dementsprechend auch nicht den berühmten Ausschnitt des Gemäldes. «Viele Deutsche wissen nicht, dass dieses Werk in der Sammlung Reinhart in Winterthur ist», sagt der Kurator.
Das Meerbild aus Rügen im Alpenland, das Gebirgsbild mit dem Wanderer am Meer in Hamburg: So wie der Künstler Sehnsucht nach dem Gegenteil seiner Heimat hatte, so scheinen sich auch die Sammler für das interessiert zu haben, was sie vor Ort nicht sehen konnten. Nun finden diese beiden so gegensätzliche Werke in Winterthur erstmals zusammen. Im Dezember reisen sie dann gemeinsam für die Friedrich-Ausstellung nach Hamburg.
«Caspar David Friedrich und die Vorboten der Romantik», bis 19. November 2023 im Kunst Museum Winterthur, Reinhart am Stadtgarten
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