Kurz zusammengefasst
- Reinhold Messner reflektiert über sein Leben und seine Entscheidungen
- Er hatte Angst vor Einsamkeit im Alter
- Messners Kinder akzeptieren seine neue Liebe nicht
Blick: Herr Messner, Sie werden in wenigen Tagen 80 Jahre alt. Leiden Sie auf Ihre alten Tage an Grössenwahn?
Reinhold Messner: Ich glaube, im Gegenteil. Ein Grössenwahnsinniger war ich nie. Ich bin ein Macher. Aber vielleicht sollte ich die Beurteilung lieber den Fachleuten überlassen. Doch dafür müsste ich zum Psychologen gehen.
Waren Sie in Ihrem Leben egoistisch und rücksichtslos?
Was ich getan habe, war eindeutig egoistisch und rücksichtslos. Auch wenn ich die Abfallprodukte – Bücher und Vorträge – meiner Unternehmungen verkauft habe, um mein Leben zu gestalten und um meiner Familie ein gutes Auskommen zu ermöglichen, ist es natürlich an sich völlig unnütz, durch die Antarktis zu laufen oder auf den Everest zu steigen. Dadurch, dass ich bewusst in Kauf genommen habe, dabei umzukommen, wurde es auch noch absurd.
Wem gegenüber haben Sie sich rücksichtslos verhalten?
Gegenüber den Menschen, für die ich Verantwortung getragen habe. Zum Beispiel gegenüber meiner Mutter. Sie hat es nie mit Freuden gesehen, dass ich immer wieder in den Himalaya reiste. Sie wusste, dass da dauernd Leute umkommen. Ich bin trotzdem losgezogen.
Reinhold Messner wurde am 17. September 1944 in Brixen in Südtirol geboren und ist der berühmteste Alpinist der Welt. Er und Peter Habeler erreichten 1978 als erste Menschen ohne Flaschensauerstoff den 8848 Meter hohen Mount Everest, den höchsten Berg der Erde. Messner wuchs mit acht Geschwistern auf. Sein jüngerer Bruder Günther starb 1970 beim Abstieg vom 8125 Meter hohen Nanga Parbat, den die Brüder zuvor gemeinsam bestiegen hatten. Messner hat vier erwachsene Kinder. Am 28. Mai 2021 heiratete er seine dritte Frau Diane Schumacher.
Reinhold Messner wurde am 17. September 1944 in Brixen in Südtirol geboren und ist der berühmteste Alpinist der Welt. Er und Peter Habeler erreichten 1978 als erste Menschen ohne Flaschensauerstoff den 8848 Meter hohen Mount Everest, den höchsten Berg der Erde. Messner wuchs mit acht Geschwistern auf. Sein jüngerer Bruder Günther starb 1970 beim Abstieg vom 8125 Meter hohen Nanga Parbat, den die Brüder zuvor gemeinsam bestiegen hatten. Messner hat vier erwachsene Kinder. Am 28. Mai 2021 heiratete er seine dritte Frau Diane Schumacher.
Sie zitieren in Ihrem neuen Buch Nietzsche: «Du kamst ihnen nahe und gingst doch vorüber, das verzeihen sie Dir niemals. Du gehst über sie hinaus; aber je höher Du steigst, umso kleiner sieht Dich das Auge des Neides.» Hatten Sie Neider, weil sie sich über andere erhoben haben?
Ja, wenn man über andere Menschen hinauswächst, ist es normal, dass man Neider hervorruft. Aber bei mir war es besonders eklatant.
Ihr Leben scheint neben dem Bergsteigen vor allem aus Streit zu bestehen. Sie stritten und streiten sich mit Ihrer Familie, Expeditionsteilnehmern, einem Forscher, der behauptet, Sie seien vor fast 40 Jahren nicht auf dem Gipfel der 8091 Meter hohen Annapurna gewesen, dem Alpenverein und vielen anderen. Andere Menschen werden altersmilde, werden Sie altersstarrsinnig?
Ich streite mich ja gar nicht mehr. Ich stelle in meinem neuen Buch nur zusammen, was für einen Blödsinn viele Menschen über mich gesagt und geschrieben haben. Heute kann ich darüber teilweise lächeln. Und ich bin den vielen Kritikern, die ich hatte, dankbar. Ohne sie wäre ich nie so erfolgreich geworden.
Schuld waren also immer die anderen?
Ich rede nicht von Schuld. Ich fand zum Teil die Dummheit der Gegner, die mich herausgefordert haben, toxisch. Zum Teil war es Böswilligkeit, und alles konnte ich mir nicht gefallen lassen.
Warum haben Sie immer so viel Kritik auf sich gezogen?
Teilweise habe ich sie selbst provoziert. Schon als Kind war ich so.
Was haben Sie als Kind gemacht?
Ich war ungefähr 15 Jahre alt, als ich mit meinem jüngeren Bruder in der Kirche war. Man hatte damals bei uns sonntags in die Kirche zu gehen. Aber als mir das, was der Pfarrer da auf der Kanzel predigte, zu irre vorkam, sind wir aufgestanden und haben mit unseren genagelten Schuhen laut über den Marmorboden stampfend die Kirche verlassen. Jeder hat verstanden, dass dies ein Protest gegen den allwissenden Pfarrer, die höchste Instanz im Dorf, war.
In Ihrem Buch «Gegenwind» findet man kaum Selbstkritisches oder Selbstironisches. Das ist ungewöhnlich für eine moderne Biografie. Ist Ihnen nichts Negatives über sich selbst eingefallen?
Was die Selbstironie betrifft: Ich bin kein Engländer. Und zur Selbstkritik: Ich finde sehr wohl, dass auch Negatives über mich im Buch steht. Es ist nicht die Biografie eines braven Mannes. Aber ich wollte auch nie ein braver Mensch sein.
Ihr Sohn Simon hat einmal über Sie gesagt, dass sie streng und abwesend waren.
Abwesend – ja, streng sicher nicht. Ich war viel zu gutmütig, hätte strenger sein sollen.
Simon sagte auch, dass es nicht leicht war, der Sohn einer Legende zu sein.
Das stimmt sicher, aber dafür kann ich nichts.
Haben Sie Kontakt zu Ihren vier Kindern?
Simon habe ich vor kurzem getroffen.
Gerade streiten Sie sich mit Ihren Kindern öffentlich um Ihr finanzielles Erbe. Wie wichtig ist Ihnen Geld?
Geld war mir nie wichtig, sonst hätte ich es nicht verschenkt.
Sie waren oft allein in der Wildnis unterwegs. Aber nachdem Ihre zweite Frau sich vor fünf Jahren von Ihnen trennte, sind Sie sehr schnell mit Ihrer neuen Frau Diane zusammengekommen. Hatten Sie Angst, im Alter allein zu sein?
Ja, ich hatte Angst, im Alter allein zu sein. Ich war acht Monate lang ein klassischer Single. Ich bin damit zurechtgekommen, ja, aber es war nicht meine Wunschvorstellung vom Altern. Doch hatte ich mich fast damit abgefunden, dass mein Lebensende langsam und einsam über mich kommt. Ich hatte allerdings grosse Angst, dass ich in der Früh aufstehe, mir einen Kaffee mache, mich damit in die Sonne oder den Schnee setze und auf den Abend warte. Das wäre für mich die Hölle gewesen.
Heute gehen Sie Ihre Projekte mit Ihrer Frau an.
Ja, heute teilen Diane und ich alles, und sie macht das, was ich nicht kann. Ohne sie könnte ich vieles nicht mehr. Ich bin nicht internetaffin. Ich kann keinen Laptop bedienen. Ich gehöre zur Generation, die das Internet in jungen Jahren nicht kannte und mittlerweile zu langsam ist, um das noch als Selbstverständlichkeit zu lernen. Ich habe alle meine Bücher mit der Hand geschrieben.
Ihre Frau ist 35 Jahre jünger als Sie. Hält Sie das jung?
Ja, Diane ist für mich ein Jungbrunnen. Aber für sie ist es nicht einfach, weil sie weiss, dass ich früher oder später das Zeitliche segnen werde und sie dann alleine dastehen wird. Aber sie ist eine starke Frau, die in der Lage ist, das Leben auch alleine zu meistern, auch wenn es Leute gibt, die von aussen versuchen, unser Leben zu stören.
Wer versucht, Ihr Leben zu stören?
Meine Familie versucht alles, um Diane auszugrenzen. Zu den Gründen dafür werde ich mich nicht äussern.
Sie haben Ihre jetzige Frau beim ersten Date gefragt, ob sie kochen kann. Warum?
Die Frage ist mir wahrscheinlich rausgerutscht, weil ich zu gehemmt war, um irgendetwas Schönes oder Romantisches zu sagen.
Können Sie gar nicht kochen?
Kaum. Ich bin kein Hausmann, kein Koch. Ich bin mein Leben lang verwöhnt worden. Erst von meiner Mutter, dann von meinen Frauen. Als ich acht Monate Single war, habe ich mir nur selten etwas Warmes gemacht. Ich habe mich meist mit kaltem Essen begnügt. Ich hatte damit gerechnet, dass sich meine Kinder im Alter um mich kümmern, aber das ist nicht passiert.
Ist es einsam um Sie geworden? Wie viele Menschen stehen Ihnen nahe?
Das hat mich nie interessiert. Ich habe Diane. Und ich habe einige wenige Freunde. Mit ihnen kann ich auch mal ein Jahr lang gar nicht reden, und trotzdem bleiben sie Freunde. Für mehr Freundschaft hatte ich keine Zeit.
Ist die Besteigung von Bergen es wert, dass Menschen dabei ums Leben kommen?
Nein, was wir getan haben, ist nicht zu verantworten. Aber wir haben es trotzdem getan. Und wir stehen dazu. Der Alpenverein hingegen hat sich zur Aufgabe gemacht, das Bergsteigen so sicher wie möglich zu machen. Aber ich sage: Das Bergsteigen funktioniert nur, wenn der Tod eine Möglichkeit ist. Wir gehen dorthin, wo wir sterben könnten, um nicht zu sterben. Das ist die Kunst. Deswegen liegen die Alpenvereine falsch, wenn sie die Gefahr aus dem Bergsteigen nehmen. Damit machen sie die Berge ja zu Attrappen.
Sind oder waren Sie krankhaft ehrgeizig?
Ich war und bin ehrgeizig. Dass ich krankhaft ehrgeizig sei, behaupten andere über mich.
Als Sie 1978 ankündigten, den Everest ohne Flaschensauerstoff besteigen zu wollen, prophezeiten Ihnen viele Mediziner, dass Sie in der dünnen Luft sterben würden oder ihr Gehirn irreparable Schäden erleiden würde. Warum haben Sie nicht auf die Experten gehört?
Ich hatte genau studiert, was die Engländer, die über 50 Jahre zuvor mit Sauerstoff versucht hatten, den Everest zu besteigen, gemacht hatten. Sie waren viel zu langsam. Ihr Aufenthalt in der Todeszone auf über 8000 Meter Höhe war zu lang. Darum habe ich zu meinem Partner Peter Habeler gesagt: «Wir müssen viel schneller sein.» So haben wir es ohne Hirnschäden auf den Gipfel und wieder heruntergeschafft.
Diese Frage soll nicht an mögliche Hirnschäden anknüpfen. Aber acht Jahre nach der Besteigung des Everests wollen Sie im Himalaja den Yeti gesehen haben.
Diese Geschichte war natürlich ein Fressen für die Medien. Sie haben es nicht verstehen wollen. Natürlich kann man eine Legende nicht sehen. Aber hinter der Legende vom Yeti steht eine zoologische Entsprechung, ein Ungeheuer in der Wildnis, ein riesiger Bär.
Also haben Sie einen Bären gesehen?
Ich sah im Abendlicht, es war fast schon Nacht, ein riesiges Ungeheuer. Es war grösser als ich und ging auf zwei Beinen. Ich durchquerte einen Bach und der «Yeti» verschwand im Wald. Leider konnte ich so schnell kein Foto machen.
Peter Habeler, mit dem Sie 1978 als erster Mensch ohne Flaschensauerstoff den Mount Everest bestiegen, schrieb: «Mir ist der Beifall der Masse nicht so wichtig; Reinhold dagegen braucht die Anerkennung des grossen Publikums.» Hat Habeler Recht?
Man kann nicht messen, wer von uns beiden mehr in der Öffentlichkeit stehen möchte. Aber es ist eine Tatsache, dass ich mehr in der Öffentlichkeit stand.
Stehen Sie immer noch gern in der Öffentlichkeit?
Ich habe einmal in Mailand vor 10'000 Leute gesprochen. Danach habe ich gesagt: Jetzt verstehe ich Hitler. Es war berauschend. Und Goebbels konnte das ja noch viel besser. Hitler und Goebbels haben im Rausch geredet, auch wenn sie natürlich viel Unsägliches erzählt haben.
«Unsägliches» ist für tödliche Demagogie wohl nicht der richtige Ausdruck. Warum haben Sie ausgerechnet den Hitler-Vergleich gewählt?
Ich weiss es nicht. Es hatte wohl damit zu tun, dass das Getragensein mir das alles zugespielt hat: die Energie, die Kraft, die Worte, die Sätze. Es war nicht schwierig, alles wurde leichter.
Sie schreiben in Ihrem neuesten Buch: «Die Selbsterfahrung zwischen Durchkommen und Umkommen lässt alle Masken fallen, wir erfahren dabei viel über uns selbst. Auch allzu Menschliches, das wahre Gesicht, den Abgrund in uns.» Was sind die Abgründe in Ihnen?
Wenn man mich noch mehr gereizt hätte, wäre ich im Gefängnis gelandet. Auch wenn ich genau weiss, dass meine Abgründe nicht so tief sind, dass ich jemanden töten könnte.
«So wie ich auf den Gipfeln der Welt auf die Flasche (Anmerkung: mit Sauerstoff) verzichtet hatte, wäre unten der Griff nach der Flasche eine Ausflucht gewesen. Aber für wie lange? Ich folgte nicht dem Sog der Verzweiflung.» Warum waren Sie so verzweifelt?
Das Trauma mit 75 Jahren plötzlich allein dazustehen – dazu fast ohne Mittel, weil ich in meiner Gutgläubigkeit und meinem Vertrauen zuvor bereits fast alles Erbe an die Familie verschenkt hatte –, war nicht einfach.
Wann haben Sie das letzte Mal geweint?
Als ich die schlimme Auseinandersetzung mit meiner Familie hatte. Aus Enttäuschung.
Wie werden Sie Ihren 80. Geburtstag feiern?
Nur mit meiner Diane.
Wo und wie?
Das verrate ich nicht.
«Gegenwind: Vom Wachsen an Widerständen» ist am 29. August im Piper Verlag erschienen.