Wird AI uns allen die Jobs wegnehmen?
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Mit ChatGPT, Perplexity und Co:Wird AI uns allen die Jobs wegnehmen?

Goldrausch 2.0
KI-Boom in San Francisco: Hacker-Häuser und Milliardenträume

In San Francisco hausen junge Entwickler in Hacker Houses, um beim KI-Boom dabei zu sein. Die Stadt erlebt ihren nächsten Goldrausch – mit neuen Schaufelverkäufern. Ein Augenschein vor Ort.
Publiziert: 23.10.2025 um 00:00 Uhr
|
Aktualisiert: 23.10.2025 um 08:25 Uhr
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San Francisco ist wegen der vielen KI-Firmen, die in die Stadt ziehen, zur neuen Boomtown geworden. Ganz so poliert wie an touristischen Orten ist die Realität jedoch nicht.
Foto: Tobias Bolzern

Darum gehts

  • KI-Boom in San Francisco lockt junge Menschen in günstige Hacker Houses
  • Acceler8 bietet 115 Zimmer für Entwickler mit 9-9-6 Arbeitsprinzip an
  • Über 250 KI-Firmen in San Francisco, 90 Milliarden Dollar Wagniskapital 2024
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Tobias BolzernRedaktor Digital

1500 Dollar pro Monat. Auf der Kommode steht ein Bonsaibaum aus Plastik, staubig wie der Vorhang. Das Zimmer ist kaum grösser als ein Parkplatz. Durch das einzige Fenster blickt man auf eine Backsteinmauer: so nah, dass man sie berühren kann. Ein Bett, ein Pult, ein Traum. Pat Santiago (28), krauses Haar, schwarzes Käppi, zeigt mir das Zimmer. «Economy», sagt er grinsend. «Entwickler lieben das dunkle Zimmer. Die coden eh den ganzen Tag.»

Santiago ist Highschool-Abbrecher. Aus einem alten Hotel in San Francisco hat er ein kleines Imperium gebaut: 115 Zimmer, drei Preisklassen, sieben Bewerbungen pro Bett in der Hochsaison. «Hacker Houses» nennt man solche Orte hier. Acceler8 heisst das Haus von Santiago und seinem Businesspartner. Es sind «billige» Stationen für junge Menschen, meist zwischen 20 und 30, die im KI-Boom ihr Glück versuchen. Ein verbreitetes Arbeitsprinzip ist 9-9-6: «Sechs Tage die Woche, von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends», erzählt er.

Foto: Blick Visuals

«Das ist verdammt cool»

«Es ist wie der Goldrausch damals», sagt Santiago. Mit damals meint er den 24. Januar 1848. An dem Datum entdeckte ein Arbeiter des Schweizer Einwanderers Johann August Sutter das erste Goldnugget in der Region. Die Stadt wurde über Nacht zur Boomtown. In einem Jahr stieg die Einwohnerzahl von 1000 auf mehr als 25'000 Menschen. Angelockt vom Geld. Das ist heute nicht anders. «Die Leute hören von den Bewertungen der KI-Firmen, packen ihren Rucksack und kommen hierher.» Die Stimmung beschreibt er als elektrisierend. «Du kannst sagen, dass du eine Milliarde Dollar mit deinem Computer-Ding verdienen willst, und dein Gegenüber sagt: ‹Ja, verdammt, das ist cool.›»

Er selbst kam vor eineinhalb Jahren, um ein Start-up zu gründen, das scheiterte. Und sein Hacker House? «Das hatte einen krass guten Product-Market-Fit», sagt er. Damit beschreibt er Angebot und Nachfrage.

Der Funke zündete 2022

Im November 2022 veröffentlichte OpenAI ChatGPT und legte damit die Zündschnur für den Boom. Binnen Monaten schossen Start-ups aus dem Boden, Risikokapital floss in Strömen. Allein 2024 zog die Bay Area, wo auch San Francisco liegt, 90 Milliarden Dollar Wagniskapital an. Schätzungen zufolge ging ein Drittel davon an KI-Firmen.

Christopher Pham (35) von JLL.
Foto: zVg

San Francisco, noch drei Jahre zuvor als «tot» abgeschrieben, wurde wieder zum Zentrum der Tech-Welt. Über 30 der 50 wichtigsten KI-Unternehmen der Welt sitzen heute in Kalifornien, viele in San Francisco selbst. Y Combinator, der berühmte Start-up-Beschleuniger, zog 2023 aus dem Silicon Valley zurück in die Stadt. Laut JLL Real Estate, einem der grössten Maklerhäuser der USA, stieg die Zahl der KI-Firmen in San Francisco von zwei im Jahr 2019 auf heute über 250. «Wir wachsen schneller als alle anderen», erklärt Analyst Christopher Pham. Das treibt auch die Mieten nach oben.

Das vertikale Dorf

Im Frontier Tower, einem umgebauten Bürogebäude in der Innenstadt, treffe ich Xenofon Kontouris. Der 33-Jährige kommt aus der Krypto-Szene und sitzt in einem Eckbüro im 16. Stock. Er leitet das Projekt, das er als «irgendwo zwischen WeWork und Burning Man» beschreibt. Jede Etage hat ihren Schwerpunkt: Robotik, Longevity, KI, Blockchain.

Robotik, KI, Longevity: Im Frontier Tower ist jedes einzelne Stockwerk einer anderen Zukunft gewidmet.
Foto: Tobias Bolzern

Das Konzept ist eine Art «Network State», wie es eine Lokalzeitung beschreibt, eine Gemeinschaft, die sich zusammenschliesst, Immobilien kauft und nach digitaler Teilautonomie strebt. «Wir wollen die Zukunft schneller bauen als jeder andere», sagt er. 400 Mitglieder hat der Tower, seit er im April für 11 Millionen Dollar gekauft wurde – einst war das Gebäude 62 Millionen wert. Während der Covid-Pandemie brach der Tech-Immobilienmarkt ein. In der Innenstadt gibt es nach wie vor eine Fentanyl-Krise.

«Milliarden und Meth»

Vis-à-vis vom Frontier Tower sieht die Zukunft weniger glänzend aus. Im Tenderloin-Quartier leitet Antwan Matthews (32) die Jugendprogramme von Code Tenderloin. Die Organisation will Menschen aus dem Quartier den Einstieg in Tech-Jobs ermöglichen. «Wir arbeiten mit Personen, die Obdachlosigkeit erleben, auch Drogenmissbrauch, Veteranen und Jugendlichen zwischen 13 und 24», sagt Matthews. Code Tenderloin unterrichtet neben KI auch Robotik und Datenanalyse – manchmal mithilfe von Freiwilligen von Google und Microsoft.

Der Kontrast könnte kaum grösser sein. «An der einen Ecke geht es um Milliarden, an der anderen um Meth», sagt Matthews. Er spricht von einem Erbe, das tief in der Geschichte der Bay Area wurzelt – von der HIV-Krise, der Crack-Epidemie und den Verdrängungswellen. Heute sieht er wieder Hoffnung. Viele wollen nicht länger zusehen, wie Unternehmen von ausserhalb die Stadt prägen. «Bay Area Locals wurden lange ausgeschlossen. Jetzt wollen sie Teil der nächsten Welle sein.»

Die sozialen Folgen des Booms sind trotzdem spürbar: Menschen, die früher in San Francisco lebten, wohnen heute in Vallejo oder Antioch. «Sie sind noch immer in der Bay Area, nur nicht mehr in der Stadt», sagt Matthews. Ein Einzimmerapartment kostet laut «SF Chronicle» im Schnitt 3100 Dollar: je nach Datenquelle bis zu 20 Prozent mehr als 2022.

Vom Boom profitiert, wer drin ist. «Viele können nicht einfach mal so drei Monate auf eine Zusage warten», sagt Matthews. «Sie nehmen, was sie kriegen. Hauptsache, es bringt sofort Einkommen.» Trotz allem bleibt er Optimist: «Wenn die Bay Area es diesmal richtig macht, dann folgt der Rest der USA.»

Antwan Matthews von Code Tenderloin.
Tobias Bolzern

Vis-à-vis vom Frontier Tower sieht die Zukunft weniger glänzend aus. Im Tenderloin-Quartier leitet Antwan Matthews (32) die Jugendprogramme von Code Tenderloin. Die Organisation will Menschen aus dem Quartier den Einstieg in Tech-Jobs ermöglichen. «Wir arbeiten mit Personen, die Obdachlosigkeit erleben, auch Drogenmissbrauch, Veteranen und Jugendlichen zwischen 13 und 24», sagt Matthews. Code Tenderloin unterrichtet neben KI auch Robotik und Datenanalyse – manchmal mithilfe von Freiwilligen von Google und Microsoft.

Der Kontrast könnte kaum grösser sein. «An der einen Ecke geht es um Milliarden, an der anderen um Meth», sagt Matthews. Er spricht von einem Erbe, das tief in der Geschichte der Bay Area wurzelt – von der HIV-Krise, der Crack-Epidemie und den Verdrängungswellen. Heute sieht er wieder Hoffnung. Viele wollen nicht länger zusehen, wie Unternehmen von ausserhalb die Stadt prägen. «Bay Area Locals wurden lange ausgeschlossen. Jetzt wollen sie Teil der nächsten Welle sein.»

Die sozialen Folgen des Booms sind trotzdem spürbar: Menschen, die früher in San Francisco lebten, wohnen heute in Vallejo oder Antioch. «Sie sind noch immer in der Bay Area, nur nicht mehr in der Stadt», sagt Matthews. Ein Einzimmerapartment kostet laut «SF Chronicle» im Schnitt 3100 Dollar: je nach Datenquelle bis zu 20 Prozent mehr als 2022.

Vom Boom profitiert, wer drin ist. «Viele können nicht einfach mal so drei Monate auf eine Zusage warten», sagt Matthews. «Sie nehmen, was sie kriegen. Hauptsache, es bringt sofort Einkommen.» Trotz allem bleibt er Optimist: «Wenn die Bay Area es diesmal richtig macht, dann folgt der Rest der USA.»

Die Basismitgliedschaft kostet 190 Dollar im Monat. Dafür gibt es Lasercutter, 3D-Drucker – und eine Gemeinschaft, die fest glaubt, die Welt verändern zu können. Zwei weitere Häuser sind bereits in Planung. Als ich Kontouris frage, ob er KI für eine Blase hält, lacht er schallend. Dann sagt er: «Blase und Innovation: Beides kann gleichzeitig existieren.» Und: «So funktioniert nun mal Fortschritt: Boom-and-Bust-Zyklen.» Santiago von Acceler8 ist anderer Meinung: «Es ist sicher das wichtigste Ding, das zurzeit geschieht, aber gleichzeitig wohl auch überbewertet.»

Die Schaufelverkäufer

Santiago erzählt mir später von einer anderen Vision: Im Keller eines Hauses, sagt er, liessen sie humanoide Roboter gegeneinander kämpfen. Mit Taser-Messern. «Beste Methode, um den Gegner zu deaktivieren», sagt er. Ich frage, ob ich zuschauen darf. «Sie sind gerade nach L.A. abgereist», meint er.

Der kalifornische Goldrausch von 1848 endete nach wenigen Jahren. Die meisten Goldsucher kehrten enttäuscht heim. Reich wurden nicht jene, die nach Gold gruben, sondern jene, die alles Drumherum verkauften: Levi Strauss mit Jeans, Samuel Brannan mit Läden und Schaufeln, zudem: Hoteliers, Banker, Transportfirmen.

Draussen, auf den Strassen von San Francisco, kleben heute Plakate von KI-Start-ups an jeder Ecke. Die Stadt hat sich neu erfunden. Wieder einmal. Ob dieser Rausch jetzt länger hält als der erste – oder ob wieder nur die Schaufelverkäufer reich werden?

Im 1500-Dollar-Zimmer interessiert das niemanden. Es ist 9 Uhr. Die Arbeit ruft.

KI, KI, KI überall

Die Taxifahrt vom internationalen Flughafen nach Downtown dauert 32 Minuten. In dieser halben Stunde tauchen 23 verschiedene Firmennamen auf, alle werben für künstliche Intelligenz. HP kennt man noch, aber Piper, Conveyor, Dataiku? Nie gehört. Macht nichts. Alle setzen jetzt auf KI. Die Werbung klebt überall: Auf Plakaten und Billboards, auf Bussen und Taxis. LED-Tafeln blinken, Laternen sind tapeziert, Litfasssäulen vollgepflastert, Hauswände werden zu Leinwänden. KI links, KI rechts, KI wohin man schaut.

Allein in den letzten sechs Wochen fanden acht grosse KI-Konferenzen statt, manche mit mehreren zehntausend Besuchern. The AI Conference Mitte September, die OpenAI Dev Days Anfang Oktober, die dreitägige Dreamforce von Salesforce, der AMD AI Dev Day, und Ende Oktober TED AI. Kurz: San Francisco im Herbst 2025 ist eine Stadt im KI-Fieber.

Die Taxifahrt vom internationalen Flughafen nach Downtown dauert 32 Minuten. In dieser halben Stunde tauchen 23 verschiedene Firmennamen auf, alle werben für künstliche Intelligenz. HP kennt man noch, aber Piper, Conveyor, Dataiku? Nie gehört. Macht nichts. Alle setzen jetzt auf KI. Die Werbung klebt überall: Auf Plakaten und Billboards, auf Bussen und Taxis. LED-Tafeln blinken, Laternen sind tapeziert, Litfasssäulen vollgepflastert, Hauswände werden zu Leinwänden. KI links, KI rechts, KI wohin man schaut.

Allein in den letzten sechs Wochen fanden acht grosse KI-Konferenzen statt, manche mit mehreren zehntausend Besuchern. The AI Conference Mitte September, die OpenAI Dev Days Anfang Oktober, die dreitägige Dreamforce von Salesforce, der AMD AI Dev Day, und Ende Oktober TED AI. Kurz: San Francisco im Herbst 2025 ist eine Stadt im KI-Fieber.

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