Gipfeltreffen der Gehirne
Was junge Mathe-Genies besser können als jede KI

Die Schweiz holt bei der Mathematik-Olympiade ihre beste Platzierung aller Zeiten und bleibt dabei menschlicher als jede KI. Einblick in eine faszinierende Welt zwischen Genie und Gigawatt.
Publiziert: 23.07.2025 um 17:43 Uhr
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Aktualisiert: 23.07.2025 um 22:31 Uhr
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Mitte Juli fand in Australien die Mathe-Weltmeisterschaft (IMO) statt. Die Schweiz war mit sechs Teilnehmenden vertreten.
Foto: Schweizer Mathematik-Olympiade

Darum gehts

  • Schweizer Triumph bei Mathe-Olympiade (IMO), KI scheitert an schwierigster Aufgabe
  • IMO fördert internationale Gemeinschaft und einzigartige Erfahrungen für Teilnehmer
  • Über 600 Schüler aus mehr als 110 Ländern nehmen jährlich teil
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Tobias BolzernRedaktor Digital

Die internationale Mathematik-Olympiade (IMO) ist kein Ort für halbe Sachen. Wer es bis hierher schafft, hat sich gegen Hunderte durchgesetzt, monatelang trainiert – und löst Aufgaben, an denen sogar künstliche Intelligenz (KI) scheitert.

Die diesjährige Ausgabe an Australiens Sunshine Coast war ein historischer Triumph für die Schweiz: einmal Gold, zweimal Silber, zweimal Bronze. Und eine Erkenntnis: Die IMO ist weit mehr als ein Wettbewerb. Arnaud Maret kennt sie von allen Seiten. Der 29-Jährige war 2013 selbst Teilnehmer, später Coach und viermal Teamleiter der Schweizer Delegation. Heute sitzt er im internationalen Komitee, das die Aufgaben auswählt. «Für mich war die IMO eine der schönsten Erfahrungen meines Lebens», sagt Maret. «Und heute ist es ein Vergnügen, das weiterzugeben.»

600 Nerds unter sich

Jährlich treten über 600 Schüler aus mehr als 110 Ländern an. Jedes Land darf sechs Jugendliche entsenden – egal ob Grossmacht oder Kleinstaat. Der Ablauf: zwei Tage, je drei Aufgaben, viereinhalb Stunden Zeit.

Doch nicht nur das Fachliche zählt. «Das Beste war nie die Prüfung», erinnert sich Maret. «Sondern die Gemeinschaft. Du bist mit 600 anderen Nerds im selben Hotel, alle lieben Mathe, alle sind sozial ähnlich schräg wie du. Das ist ein ganz eigener Kosmos.» Einmal spielte er Beachvolleyball gegen ein Team aus Nord- und Südkorea. «Das passiert sonst wohl nirgends.»

Schweizer Höhenflug

In der Schweiz beginnt der Weg zur IMO im September mit einer Onlinerunde. «Jede Gymnasiastin, jeder Schüler kann mitmachen», so Maret. Dann folgt ein mehrstufiges Auswahlverfahren: von 300 auf 25, dann 12, am Schluss bleiben sechs. Dazwischen: Trainingslager, zig Zusatzkurse und Camps mit anderen Teams. «Die Matheaufgaben sind anders als in der Schule. Man muss lernen, wie man auf neue Ideen kommt.» Schon ein einziges IMO-Problem zu lösen, ist eine Leistung. «Der Aufgabentext passt auf eine Seite, die Lösung kann mehrere Seiten umfassen. Es geht darum, Muster zu erkennen und neu zu kombinieren.»

Wie gut die Schweizer das beherrschen, zeigt das Resultat: Jovian Soejono (Genf) holte Gold, Andrej Ševera (Genf) und Hongjia Meng (Uri) gewannen Silber, Francesc Oro (Freiburg) und Eric Lüscher (Zürich) Bronze. «Es war die beste Leistung der Schweiz seit 30 Jahren IMO-Geschichte», erklärt Maret. «Wir haben das Training modernisiert, internationale Coaches geholt – jetzt sehen wir die Früchte.» Und diese Früchte sind umso beeindruckender, wenn man sie mit Maschinenhirnen vergleicht.

KI kann keine Kombinatorik

Denn auch OpenAI und Google stellten sich der IMO. Beide Konzerne meldeten: fünf von sechs Aufgaben gelöst – Goldniveau. Maret bleibt gelassen: «Die KI scheiterte an Aufgabe sechs, wie fast alle Teilnehmenden auch. Nur sechs Schüler weltweit konnten sie lösen.» Darunter Teilnehmer aus Japan, China und Kanada. Die Aufgabe kam aus dem Bereich der Kombinatorik. Also jener Disziplin, in der auch Maschinenhirne straucheln. «Das sind Aufgaben, bei denen man Muster zählen oder konstruieren muss. Und jedes Problem ist einzigartig, da kann man kaum trainieren.»

Nicht alle sehen das so zurückhaltend. Marcel Salathé, Co-Direktor des EPFL AI Centers, hält den Fortschritt für bemerkenswert. Dennoch rät er zu einer nüchternen Analyse ohne Dramatisierung: «Man muss bei den Fakten bleiben und den Kontext zeigen. Wenn die Angaben stimmen, dann hat eine generalistische KI hier Aufgaben gelöst, die für die mathematisch begabtesten Schüler sehr schwierig sind. Daran gibt es nichts zu rütteln.»

Wenn Google an der Feier bettelt

Maret zweifelt, ob sich die KI-Leistungen mit jenen der Schüler vergleichen lassen. «Man sagt immer: ‹Gleiche Zeit, gleiche Bedingungen›. Aber das stimmt nicht. Die KI läuft auf riesigen Servern.» Wie viel Energie dabei verbraucht wurde? Unklar. OpenAI-Forscher Noam Brown sprach lediglich von «sehr teuer». Ein Test von OpenAI, der ARC-AG-Benchmark im Dezember 2024, war wegen geschätzter 1,5 Millionen Dollar an Rechenkosten von der Jury disqualifiziert worden. Google schweigt. 

Besonders die Veröffentlichung der KI-Ergebnisse sorgte für Ärger. Eigentlich hatte man sich mit den Konzernen auf eine einwöchige Schweigefrist geeinigt, damit der Fokus bei den Gewinnerinnen und Gewinnern bleibt. Doch OpenAI scherte aus, publizierte den Gold-Wert bereits am Samstag. 

Ein Höhepunkt – oder Tiefpunkt – war ein Moment am Rande der Abschlussfeier. «Ein Typ kam auf mich zu und sagt: ‹Google möchte mit dir sprechen›», sagt Maret. «Ich folgte ihm, drei Leute mit Google-Jacke standen da mit aufgeklapptem Laptop: ‹Bist du Koordinator für Aufgabe fünf? Bitte bewerte das hier!› Sie hatten die Lösung ihrer KI dabei und wollten den offiziellen IMO-Stempel, obwohl sie längst wussten, dass es korrekt war», sagt Maret lachend. «Wann bitteschön kommt Google jemals zu dir und bettelt um eine Bewertung?»

Mensch und Maschine gemeinsam

Trotz aller Kritik sieht Maret auch Chancen. «Ich nutze KI selbst in der Forschung – zum Korrigieren von Papers, beim Formulieren von Beweisen. Wie ein Kollege, der mitdenkt.» Doch für ihn bleibt die IMO eine Feier des menschlichen Geistes: «Ich bin viel beeindruckter von Jugendlichen, die mit ihrem Hirnschmalz Probleme lösen, als von einer Maschine, die es macht – mit gigantischem Energieaufwand.»

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