Wer in Attisholz SO auf dem alten Fabrikgelände der Cellulose-Fabrik steht, hat das Gefühl, eine Schildkröte fliege über seinen Kopf. Rund 16 Meter breit und neun Meter hoch ist das Kunstwerk, das der Sprayer Philipp Tschanz (49) hier vor einem Jahr legal auf die Wand gemalt hat.
«Die Schildkröte steht symbolisch dafür, dass die Natur vor uns Menschen geschützt werden muss», sagt Künstler Tschanz zu BLICK. «Immer mehr Plastik landet in unseren Weltmeeren, und die Tiere haben damit zu kämpfen.»
Neben der tieferen Bedeutung gefällt die Wandmalerei auch optisch. So gut sogar, dass die BLICK-Community das Kunstwerk zum schönsten Graffiti der Schweiz gewählt hat. Es hat sich gegen sechs andere von den Leserinnen und Lesern eingereichte Graffitis durchgesetzt und 33 Prozent aller Stimmen für sich ergattert.
«Ich möchte für den Rest meines Lebens sprayen»
«Diese Auszeichnung freut mich enorm. Es ist eine Bestätigung nach all den Jahren voller Berg- und Talfahrten, die hinter mir liegen», sagt Philipp Tschanz. «Als ich elf oder zwölf Jahre alt war, nahm ich zum ersten Mal einen Stift zur Hand», erzählt er. «Da wusste ich sofort: Das möchte ich für den Rest meines Lebens machen, bis ich sterbe, bis in meine letzten Stunden.»
Den Erfolg möchte er seiner Mutter widmen: «Sie stand all die Jahre hinter mir..»
Tschanz sprayte früher nur illegal
In seinem Leben hat Philipp Tschanz schon viel Geld ausgegeben, um Sachschäden und Strafanzeigen für illegales Sprayen zu bezahlen. «Ich war einer der ersten Sprayer der Schweiz. Früher haben wir alle Graffitis illegal gemacht. Es gab keinen Raum und auch kein Verständnis für die neue Kunstform, die von Amerika nach Europa kam», erzählt er.
«Unser Ziel war es nie, Wände zu verschandeln oder zu vandalieren. Wir wollten Farbe in die grauen Strassen bringen und die kilometerlangen Betonwände in Kunst verwandeln.»
«Den Adrenalinkick brauche ich nicht mehr»
Philipp Tschanz gilt als Pionier der Schweizer Sprayer-Szene. Unter dem Künstlernamen «Dest Jones» und mit seiner Crew «The Color Children» ist er international bekannt. Seine Werke findet man unter anderem in Basel, Paris und Miami, wo er seine Kunst jedes Jahr auf der renommierten Graffiti-Ausstellung «Wynwood» präsentiert. Auch in der Schweiz stellt er seine Werke noch aus: das nächste Mal an der «Colorful Fruits» im September in Basel.
Der Weg vom illegalen Sprayer zum selbsterwerbenden Künstler ist ihm gelungen: Heute macht Philipp Tschanz vor allem Auftragsarbeiten und erfüllt die Wünsche seiner Kundschaft auf leeren Betonwänden. «Den Adrenalinkick vom illegalen Sprayen brauche ich nicht mehr.»
«Mein Sohn ist jetzt schon am Zeichnen»
Für die Zukunft der Sprayer-Szene wünscht sich Philipp Tschanz vor allem eines: mehr Respekt. «Das illegale Sprayen wird immer ein grosser Bestandteil der Szene bleiben. Aber Graffitis sollen auch Fuss fassen in der allgemeinen Welt der Kunst. Legale Wände zum Sprayen, Ausstellungen und Auftragsarbeiten treiben genau das voran», so Tschanz.
Der Nachwuchs steht auch schon in den Fussstapfen bereit: «Mein fünfjähriger Sohn ist jetzt schon fleissig am Zeichnen», erzählt der zweifache Vater.