Werner Hostettler (75) aus Bern: «Was, wenn so etwas bei uns passieren würde?»
«Auf der Fahrt vom Tessin hörte ich am Radio von den Anschlägen. Sofort fuhr ich zu einem Arbeitskollegen nach Hause und wir schauten uns zusammen die tragischen Bilder auf allen TV-Kanälen an. Ich habe 40 Jahre bei der Sanitätspolizei Bern an der Front gearbeitet und war zwischenzeitlich Leiter der Schweizer Notrufzentrale. Ich habe also schon viel Trauriges gesehen in meinem Leben, aber das war echt happig.
Ich stellte mir Fragen, wie: Was wäre, wenn so etwas in Bern passieren würde? Wie würden wir reagieren? Ich habe dann angefangen, eine Checkliste aufzuschreiben, wie in so einem Fall vorzugehen wäre. Wenn Menschen in Not sind, möchte ich helfen. Was da passiert ist, tat mir so unglaublich Leid für all die Betroffenen. Ein tragischer Moment, der unter die Haut ging und den ich nie mehr vergessen werde. Bis heute frage ich mich: Was sind das für Menschen, die so etwas Schlimmes anrichten können?»
Richard Winker (29) aus Bern: «Ich dachte, es sei ein Actionfilm»
«Ich war damals 9 Jahre alt. Wir wurden extra etwas früher von der Schule nach Hause geschickt, als die Anschläge passierten. Ich staune bis heute, wie die Bilder die Erinnerung an diesen Tag wecken. Ich weiss noch haargenau, wie ich zu meiner Grossmutter nach Hause ging, um zu Mittag zu essen, und sie weinend in den Fernseher gestarrt hat. Sie schaute mich an und meinte nur: ‹Es ist gerade etwas Schlimmes passiert.›
Als ich mich dann neben sie setzte, verstand ich im ersten Moment nicht, was da vor sich ging. Ich dachte, es wäre ein neuer Actionfilm. Meine Grossmutter erklärte mir dann, was passiert war. Sie musste weinen und war sehr aufgelöst. Das erste Flugzeug war gerade in den Turm reingeschossen.
Dieses Ereignis hat etwas bei mir ausgelöst. Ich habe angefangen, mir bei Flugreisen Sorgen zu machen und habe eine Flugangst entwickelt. Ich hatte immer Freude am Fliegen, aber nach 9/11 war ich in Flugzeugen noch viel nervöser. Beim Arzt hat sich heraus kristallisiert, dass ich vermutlich von der Angst traumatisiert bin. Ich möchte mich davon aber nicht einschränken lassen, trotz der unangenehmen Gefühle. Heute bin ich 29 Jahre alt und weiss, wie sehr der 11. September 2001 unsere Welt verändert hat. Leider nicht nur zum Positiven.»
Nadia Artaria (59) aus Aargau: «Ich war total geschockt»
«Ich kam von der Arbeit nach Hause und schaltete den Fernseher an. Es liefen die Nachrichten auf RTL und ich dachte zuerst, sie stellen einen neuen Kinofilm vor, weil ich mitten in der Berichterstattung eingeschaltet habe. Dann realisierte ich, dass es bitterer Ernst war. Ich war total geschockt. Bis um Mitternacht habe ich die Meldungen verfolgt. In Gedanken war ich bei all den verzweifelten Menschen, die um Ihr Leben bangten, die ihr Leben verloren haben und an ihre verzweifelten Angehörigen. Ich konnte es kaum fassen, mit was für einer teuflischen Brutalität die Terroristen vorgegangen sind. Amerika würde nie mehr das gleiche Land sein wie vorher. Ich betete für all die Betroffenen und Ihre Familien.
Mir sind Tränen runtergelaufen und ich konnte in der Nacht nicht mehr schlafen. Es ist, als wäre das gestern gewesen. Am nächsten Tag bei der Arbeit standen alle immer noch unter Schock. Das Ganze hat mich so verändert, dass ich Menschen heute mit mehr Misstrauen begegne.
Zum Beispiel sah ich kürzlich am Bahnhof einen Mann in Lederjacke und einem schwarz-weissen Halstuch. Er trug einen Bart und ich erwischte mich dabei, wie ich automatisch besorgt war und mich fragte: Wieso trägt dieser Mann bei den Temparaturen eine Lederjacke, zugezogen bis unters Kinn? Trägt er etwa einen Sprengstoffgürtel darunter? Ich wollte nur noch weg. Gleichzeitig ermahnte ich mich selber, dass ich so nicht denken darf. Ich möchte nicht allen mit Misstrauen begegnen. Aber die Anschläge haben mich so erschüttert und ich bin viel sensibler auf fremde Menschen geworden. Das ganze kommt immer wieder hoch.»
Tobias Mittner (35) aus Freiburg: «Plötzlich wurde uns klar, dass das die traurige Realität war»
«Das war damals kurz vor meinem 14. Geburtstag. Ich hatte schulfrei und machte Hausaufgaben. Meine Mutter schaute fern, während sie bügelte, und rief mich plötzlich zu sich: ‹Schau mal, dieser Actionfilm läuft überall. Ist das Werbung für einen neuen Film? Was ist das?›
Ich kam und sah, egal, auf welchen Sender sie schaltete, es waren nur immer die beiden Türme zu sehen und wie die Flugzeuge reinflogen. Ich wusste nicht wirklich, was Terrorismus bedeutet. Nach diesem Vorfall wusste ich es. Wir haben dann langsam begriffen, dass das leider kein Actionfilm war, sondern die traurige Realität. Wir sassen geschockt auf der Couch. Trotzdem hat mich dieses Ereignis nicht so stark geprägt, wie die Anschläge in Europa in den vergangenen 5 bis 10 Jahren.»