Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann
«Wir müssen die Lehre mit allen Mitteln verteidigen»

Der Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann erklärt, warum uns keine Massenarbeitslosigkeit droht und prangert den Trend zu Privatschulen und steigenden Gymi-Quoten an.
Publiziert: 06.09.2019 um 01:43 Uhr
«Gute Handwerker braucht es immer», ist der bekannte Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann überzeugt.
Foto: Philippe Rossier

Fünf Weltmeister-Titel: Unsere Berufs-Nati hat an den WorldSkills in Russland gezeigt, wie stark der Berufs- und Bildungsstandort Schweiz ist.

Aber braucht es in Zukunft all diese Elektriker, Maurer und Schreinerinnen überhaupt noch? Ja, sagt der bekannte Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann (53) von der Uni Zürich. Der Professor warnt vor steigenden Gymi-Quoten und ist zudem überzeugt: «Die Angst ist unbegründet, dass Digitalisierung zu Massenarbeitslosigkeit führt.»

Herr Straumann, soll ein junger Mensch im Zeitalter der Digitalisierung noch Maurer, Schreiner oder Elektriker lernen? Müht er sich da nicht vergebens ab und steht in ein paar Jahren mit abgesägten Hosen da?

Tobias Straumann: Ja, ganz klar: Ein junger Mensch soll den Beruf erlernen, an dem er Spass hat. Gute Handwerker braucht es immer.

Aber bei einem Automechaniker oder Elektriker sind doch heute schon ganz andere Fähigkeiten als früher nötig?

Sie unterschätzen die heutigen Kinder und Jugendlichen. Die wachsen mit den modernen Technologien auf und gehen ganz anders damit um als Sie und ich. Kommt hinzu, dass unsere Berufsausbildung top ist und die verschiedenen Industrien die verlangten Anforderungen vorhersehen und in die Ausbildung einfliessen lassen. Etwas anderes macht mir viel, viel mehr Sorgen.

Tobias Straumann

Tobias Straumann (53) ist Wirtschaftshistoriker und Titularprofessor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich. Er forscht zu Themen der Geld- und Finanzgeschichte, der Industrialisierung und der Schweizer  Wirtschaftspolitik: «Die Geschichte zeigt, dass wir Veränderungen zulassen müssen – der Mensch und die Industrie passen sich an.»

Jorma Müller

Tobias Straumann (53) ist Wirtschaftshistoriker und Titularprofessor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich. Er forscht zu Themen der Geld- und Finanzgeschichte, der Industrialisierung und der Schweizer  Wirtschaftspolitik: «Die Geschichte zeigt, dass wir Veränderungen zulassen müssen – der Mensch und die Industrie passen sich an.»

Was treibt Sie um?

Ein Viertel der Jugendlichen in der Schweiz schliesst die Lehre nicht ab. Und das hat nichts mit Digitalisierung zu tun. Wenn jemand schon in diesem frühen Alter aus dem System fällt, ist das besorgniserregend. Wir sollten mit allen Mitteln die Sekundarschule und die Lehre verteidigen. Es bringt nichts, wenn wir versuchen, das Gymi zu demokratisieren. Wenn man die Gymi-Quote auf 50 Prozent hinauftreibt, wird es entwertet und private Einrichtungen werden bedeutender.

Was läuft Ihrer Meinung nach schief?

Schon heute täten wir gut daran, unseren ausländischen, vor allem angelsächsischen, Arbeitskräften unser Bildungssystem genauer zu erklären. In England und Amerika schicken Manager ihre Kinder ausschliesslich in Privatschulen. Das machen sie hier auch und erhöhen so den Druck auf Schweizer Eltern, es nachzumachen.

Wo liegt die Lösung?

Ich plädiere dafür, dass auf Podien mehr Vertreter aus dem Bildungs- und Arbeitsbereich diskutieren – und weniger Leute, die vor den Gefahren der Digitalisierung warnen. Die Geschichte zeigt, dass wir Veränderungen zulassen müssen – der Mensch und die Industrie passen sich an. Die Angst, dass Digitalisierung zu Massenarbeitslosigkeit führt, ist unbegründet.

Der «Spiegel» titelte jüngst: «Sie sind entlassen! Wie uns Computer und Roboter die Arbeit wegnehmen.» Wie erklären Sie sich das?

Wenn die gesamtwirtschaftliche Lage schwierig ist, gibt es die sozialpsychologische Tendenz, zu sagen, die Krise sei nicht nur konjunkturell, sondern strukturell. Dann ist die Technologie der erste Kandidat, um das zu erklären. Das gleiche erleben wir auch bei der Klimadiskussion: Bei Hochkonjunktur ist die Klima-Thematik sehr hoch angesehen. Sobald wir in eine Rezession schlittern, rutscht das Thema hinunter. Dann geht es den Menschen um Arbeit und Einkommen.

Automation und Digitalisierung sind also historisch gesehen keineswegs so zerstörerisch wie oft herbeibeschworen?

Nein. Schon die Umstellung von der handwerklich basierten Produktion auf die Fabrikindustrie vor zweihundert Jahren beendete innerhalb weniger Jahrzehnte jahrtausendealte Traditionen Das Dampfschiff, die Eisenbahn und der Telegraf Mitte des 19. Jahrhunderts vernetzten die Weltwirtschaft und verkürzten die damals gewaltigen Distanzen viel dramatischer als Handy und Internet heute. Später pflügten Auto, Elektrizität und Flugzeug Wirtschaft und Gesellschaft auf revolutionäre Art um. Man müsste erwarten, dass bei diesen grossen technologischen Umbrüchen jeweils Massenarbeitslosigkeit entstanden wäre. Doch davon sehen wir in den Statistiken nichts.

Können Sie da etwas konkreter werden?

Datenreihen aus dem Ursprungsland der Industrialisierung Grossbritannien zeigen, dass sich die Zahl der Stellen von 1855 bis 2016 von 11,25 Millionen auf 31,74 Millionen erhöht hat.

Wie siehts mit der Schweiz aus?

Neue Technologien sind immer disruptiv, also sie verändern Berufe und Märkte. Aber gerade die Schweiz konnte das immer sehr gut verarbeiten.

UBS – Partner von SwissSkills

16 Medaillen, darunter 5 WM-Titel, gewannen die Schweizer Berufsleute an den WorldSkills 2019 in Kazan (Russland). Damit Jugendliche auch im Berufsleben ihr volles Potenzial entfalten können, engagiert sich UBS bei SwissSkills und unterstützt auch unsere Berufs-Nationalmannschaft. Zusammen mit dem offiziellen Medienpartner Ringier.

16 Medaillen, darunter 5 WM-Titel, gewannen die Schweizer Berufsleute an den WorldSkills 2019 in Kazan (Russland). Damit Jugendliche auch im Berufsleben ihr volles Potenzial entfalten können, engagiert sich UBS bei SwissSkills und unterstützt auch unsere Berufs-Nationalmannschaft. Zusammen mit dem offiziellen Medienpartner Ringier.

Und weshalb?

Der wichtigste Grund ist für mich das Bildungssystem. Die Durchschnittsbildung, also auch die praktische, ist überaus hoch. In der Schweiz gelingt es deshalb, die Leute schnell umzuschulen und an neuen Orten einzusetzen. Und genau das hat seinen Ursprung schon im 19. Jahrhundert, entstand als Reaktion auf technologische Schübe und führte 1884 zum ersten Berufsbildungsgesetz.

Hat die Schweiz noch andere Vorteile?

Ja, wir sind ein kleines Land. Als in der Zwischenkriegszeit die Textilindustrie zusammenbrach, konnte ein Arbeiter von Glarus problemlos nach Zürich zur Arbeit. Wenn das Ruhrgebiet in einer Krise steckt, ist das für den einzelnen nicht so einfach. Dazu kommt historisches Glück: Wir haben keine Rohstoffe.

Warum ist das ein Glück?

Die Schweizer Industrialisierung war der Textilweg. Und dort setzte man auf Veredelung wie Stickerei und nicht auf Massenware. Daraus hat sich eine sehr gute Diversifikation mit Maschinenindustrie und Chemieindustrie ergeben. Alles Branchen, in denen man innerhalb der eigenen Branche quasi permanent Strukturwandel betreibt. Das ist beispielsweise in der Schwerindustrie oder Autoindustrie fast nicht möglich.

Eine Studie der Universität Oxford kommt zum Schluss, dass 40 bis 50 Prozent der Jobs ganz verschwinden.

Die meisten haben diese Studie nicht genau gelesen. Die Autoren schreiben von potenziellen Veränderungen, also was rein technisch-theoretisch möglich wäre. Doch neue Technologien ersetzen meist nicht etwas anderes zu 100 Prozent. So führte die Elektrizität nicht zur Elimination der Kohle. Und in unserem Alltag sind weder das Telefon noch das Buch verschwunden.

Sie sind überzeugt davon...

...dass die Industrialisierung viel dramatischer war für die Menschen. Allein schon der Wechsel vom Land mit bäuerlicher Arbeit in eine Fabrik war ein gigantischer Einschnitt.

Einspruch: In den 90er-Jahren mit dem Einzug neuer Technologien stieg auch die Arbeitslosigkeit in der Schweiz dramatisch, es war extrem schwierig für Menschen ohne Lehre, einen Job zu finden.

Wenn es bei einem Wandel zu schnell geht, kommt es zu sozialen Problemen. Aber die Bereinigung in den 90er-Jahren hat mehr mit Wettbewerbsdruck als mit Automation oder Digitalisierung zu tun. International wurde liberalisiert, die Schweiz war keine geschützte Insel mehr. Zudem gab es sechs Jahre lang kein Wirtschaftswachstum wegen einer tiefgreifenden Immobilien- und Bankenkrise.

Ihr Fazit als Historiker?

Die Automatisierung findet seit Jahrzehnten statt. Und trotzdem hat das Arbeitsvolumen stark zugenommen.

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