Interview mit Andreas Herrmann vom Mobilitäts-Institut an der Uni St. Gallen
«Es steht ein gewaltiger Umbruch bevor»

Andreas Herrmann leitet das Mobilitäts-Institut an der Universität St. Gallen. Er spricht mit Blick über die Probleme der Industrie, wie sehr sich unsere Autowelt verändern wird und warum die Hersteller eigentlich neues Personal bräuchten.
Publiziert: 06:17 Uhr
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Aktualisiert: vor 31 Minuten
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Andreas Herrmann leitet das Mobilitäts-Institut an der Universität St. Gallen.
Foto: Raphaël Dupain

Darum gehts

  • Verbrenner-Verbot könnte fallen, Elektroautos und Verbrenner werden sich angleichen
  • Europäische Autohersteller kämpfen mit Gewinneinbrüchen und Wertschöpfungsverlust durch E-Autos
  • Bis zu 40 Prozent der E-Auto-Gesamtkosten entfallen auf Batterien aus China
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Interview: Arthur Konrad

Die wohl spannendste Frage für die gesamte Autobranche gleich zu Beginn: Wird das Verbrenner-Verbot halten?
Andreas Herrmann: Nach meiner Einschätzung wird das mit 2035 datierte Verbrenner-Verbot fallen. Gleichzeitig sind aber einige Technologiesprünge in der Batterieentwicklung zu erwarten, es dürfte also eine vernünftige Nivellierung zwischen E-Autos und Verbrennern geben.

Praktisch alle europäischen Hersteller kämpfen mit massiven Gewinneinbrüchen. Welchen Anteil hat die Elektrotransformation an diesen Zahlen?
Das E-Auto bringt für die europäische Autoindustrie einen bedeutenden Wertschöpfungsverlust. Batterien machen bis zu 40 Prozent der Gesamtkosten aus, und Batterien kommen derzeit vorwiegend aus China oder Südostasien. Allein das wäre ein Argument, den Verbrennungsmotor so lange wie möglich zu retten. Zudem wird der Verbrenner in vielen Regionen der Welt noch ein langes Leben haben, weil dort die Infrastruktur für E-Mobilität noch in weiter Ferne scheint. Allerdings gilt es für jeden einzelnen Hersteller die Transformationszeiträume genau abzuwägen. Denn es ist auch teuer, zwei Technologien gleichzeitig zu betreiben.

Privatkunden stehen dem E-Auto besonders kritisch gegenüber. Warum?
Der Privatkunde sucht Investitionssicherheit, also stabile Strompreise und Wiederverkaufswerte. Wenn man E-Mobilität will, muss man eben diese Investitionssicherheit schaffen. Hier sind die Politik, aber auch die Energieversorger gefordert. Es wird immer Menschen geben, die das E-Auto aus ökologischen Gründen wählen. Die breite Masse lässt sich aber nur über Kostenvorteile erreichen.

Gebrauchte E-Autos sind nicht besonders gefragt ...
... weil eine weitere Unsicherheit die Batterie darstellt. Und zwar nicht nur bezüglich Lebensdauer, sondern auch bezüglich Crashsicherheit. Schon ein mittelschwerer Unfall kann eine Batterie unbrauchbar machen und den Wert eines E-Autos gegen null senken. Bei Verbrennern weiss man, dass auch Autos mit 150'000 Kilometern noch verkäuflich sind. Bei E-Autos braucht es Erfahrungen aus den ersten Generationen. Sind die positiv, wird sich auch die derzeit besonders schwierige Nachfrage am Occasionsmarkt verbessern.

Gefühlt wird unsere Autolandschaft immer langweiliger. Setzt sich dieser Trend fort?
Schon länger ist zu beobachten, dass die Modellvielfalt sinkt. Immer weniger Hersteller bieten die früher so beliebten Familienvans, Cabrios, Coupés oder preisgünstige Sportwagen an. Dagegen steigen die Marktanteile der SUV-Modelle weiterhin, und man will (und kann) sich keine Experimente mehr leisten.

Was kritisieren Sie generell bei der Fahrzeugentwicklung?
Punkt 1: Grundsätzlich sind unsere Autos zu gross und zu schwer geworden. Es gibt eine Art Faustregel, die sich über die letzten Jahrzehnte gebildet hat, dass Autos jedes Jahr 1 Prozent grösser und schwerer werden. Dieser Mechanismus müsste endlich durchbrochen werden. Ausserdem ist es enttäuschend, dass man es bei der E-Mobilität versäumt hat, die Fahrzeuge völlig neu zu denken. Schliesslich fällt der komplette Motorraum weg, was neue Fahrzeugkonzepte, neue Designformen ermöglichen würde. Aber im Grund sehen E-Autos wie Verbrenner aus – was allerdings zum Teil mit den Crashauflagen zu tun hat. Deshalb würde das autonome Fahren mit seiner deutlich verringerten Unfallhäufigkeit die Möglichkeit eröffnen, das Auftreten der Individualmobilität enorm zu verändern. Aber ich bin mir nicht sicher, ob die Autokonzerne die Kraft finden, das auch zu tun.

Persönlich: Mobilitätsexperte Andreas Herrmann

Andreas Herrmann (60) ist Professor für Betriebswirtschaftslehre, gilt als einer der renommiertesten Mobilitätsexperten und leitet gemeinsam mit Torsten Tomczak und Wolfgang Jenewein das Institut für Mobilität an der Universität St. Gallen (IMO-HSG). Zudem leitet er das Executive Education Programm zu Smart Mobility Management und ist akademischer Direktor der HSG Summer School für empirische Forschungsmethoden. Er veröffentlichte 15 Bücher zu Themen wie autonomem Fahren, Multimodalität (Verknüpfung der Verkehrsträger) und Mobilitätswende.

Andreas Herrmann (60) ist Professor für Betriebswirtschaftslehre, gilt als einer der renommiertesten Mobilitätsexperten und leitet gemeinsam mit Torsten Tomczak und Wolfgang Jenewein das Institut für Mobilität an der Universität St. Gallen (IMO-HSG). Zudem leitet er das Executive Education Programm zu Smart Mobility Management und ist akademischer Direktor der HSG Summer School für empirische Forschungsmethoden. Er veröffentlichte 15 Bücher zu Themen wie autonomem Fahren, Multimodalität (Verknüpfung der Verkehrsträger) und Mobilitätswende.

Aber wird es nicht zu einigen Veränderungen kommen müssen?
Es steht ein gewaltiger Umbruch bevor! Global gesehen unterliegen derzeit Anspruch und Geschmack der Autokunden einem Wandel wie schon lange nicht mehr. Eine der wichtigsten Konsequenzen daraus ist, dass das sogenannte «Weltauto» praktisch tot ist. Für die Hersteller war es bequem und kostensparend, ein Modell weltweit verkaufen zu können. Heute driften die Geschmäcker der Kunden in den wichtigsten Märkten China, USA und Europa weit auseinander. Unter der Motorhaube mag vieles gleich bleiben, aber an der Schnittstelle des Erlebens gibt es sehr grosse Unterschiede.

Wie sehen diese Unterschiede aus?
Chinesen haben einen enorm starken Bezug zu Elektronik- und Entertainment-Gadgets, und sie lieben radikales Design. Die Amerikaner werden weiterhin auf leistungsstarke Motoren beharren und wollen sich auch nicht von ihren Pick-ups trennen. Die Europäer erwarten erschwingliche Kleinwagen und eher konservative Premiummodelle. Das Prinzip gilt aber auch umgekehrt: Die Chinesen tun sich gar nicht so leicht, für Europa Autos zu bauen.

Gibt es einen Hersteller, der bereits Konsequenzen aus dieser Entwicklung zieht?
Audi wagt in China einen Neustart und passt sich dem Designtrend der chinesischen Hersteller an. Zudem verzichtet man auf die allseits bekannten vier Ringe – in Europa wäre das ein totaler Bruch mit der Markenphilosophie, während sich in China niemand um die Tradition einer Marke kümmert.

Punkt 2 Ihrer Kritik?
Die europäischen Hersteller entfernen sich immer mehr vom Haushaltsbudget der durchschnittlichen Kunden. Das hat mit der immer strikteren EU-Gesetzgebung, etwa bei Abgas und Crashverhalten, zu tun. Ein weiteres Problem ist jedoch, dass sich alle deutschen Hersteller als Premiummarken verstehen. Man könnte den Eindruck gewinnen, Audi, BMW und Mercedes wollen nur mehr für die Reichen und Schönen Autos bauen. Selbst VW hat sich immer weiter nach oben entwickelt. Die Marke ist nicht mehr der klassische Volks-Wagen, sondern hat ihre ursprüngliche Rolle an Seat und Skoda abgegeben.

Bisher funktionierte das ja auch. Warum jetzt nicht mehr?
Es gab über Jahrzehnte eine natürliche Bewegung nach oben, was höhere Renditen versprach und letztlich auch den Gesamtzustand der Wirtschaft widerspiegelte. Das ist jetzt vorbei. Wird nicht bald gegengelenkt, besteht die Gefahr, dass man den Anschluss an die niedrigen Einkommensschichten verliert. Wobei es gar nicht so einfach ist, in Europa aufgrund der Kostenproblematik überhaupt noch Autos in diesem Segment gewinnbringend anzubieten. Und nun treten mit den chinesischen Marken Mitbewerber auf, die mit deutlich günstigeren Kosten für Lohn und Material arbeiten können.

Ihr dritter Kritikpunkt?
Die Zeiten, in denen wir der Welt gesagt haben, wie Autos gebaut werden, sind vorbei. Manche Manager und Ingenieure scheinen jedoch gefangen in der früheren Grossartigkeit. Deshalb beginnt der Wandel mit der Erkenntnis: Wir sind nicht mehr in allem die Besten. Es wird bei den europäischen Herstellern einige richtungsweisende Entscheidungen brauchen. Die werden hart sein und in den Unternehmen zu Reibungen und Unverständnis führen.

Zum Beispiel?
VWs konzerneigenes Software-Unternehmen Cariad ist aus heutiger Sicht grandios gescheitert. Man war einfach zu langsam und fehleranfällig. Auch in China ist mehr oder weniger ein Neuanfang nötig. Deshalb hat VW-Chef Oliver Blume einen beispielhaften Anfang gesetzt, indem man Kooperationen mit Rivian – einem Tesla-Konkurrenten mit hoher Software-Expertise – und dem chinesischen Hersteller Xpeng eingegangen ist. So einen Bruch mit der deutschen Ingenieurskultur, dieses Eingeständnis, «wir kriegen es selber nicht hin», wäre vor zehn Jahren nicht denkbar gewesen.

Worauf führen Sie das zurück?
Der Erfolg der vergangenen Jahrzehnte hatte fast nur mit Hardware zu tun. Dass es plötzlich auf ganz andere Dinge ankommt, scheint unglaublich schwierig zu sein. In Zukunft wird es darum gehen, das Mindset der Mitarbeiter zu drehen, die Entwicklungsprozesse zu beschleunigen, die Produktion zu vereinfachen. Da braucht es völlig andere Zugänge und vielleicht sogar anderes Personal mit neuer Kultur und Mentalität. Aber auch das Design muss wieder markanter werden. Es sollten Submarken aufgebaut werden, um neu aufkommenden Segmenten gerecht zu werden.

Sehen Sie ein Kernthema für die Autoentwicklung der Zukunft?
Das wird eindeutig die Software sein. Der Trend kommt aus China und wird sicher auch den europäischen Markt erobern. BYD, der neue Weltmarktführer bei E-Autos, hat als Batteriehersteller begonnen und ist erst 2003 in die Autoproduktion eingestiegen. Die Marke kommt also von der Elektronik, was wiederum einen grundsätzlich unterschiedlichen Markenkern ergibt. Praktisch alle chinesischen Hersteller haben einen starken Fokus darauf, trendy und zeitgeistig zu sein. Sie schaffen das durch schnellere Modellzyklen und Online-Updates der Software. Die Europäer kommen dagegen ganz oldschool von der Hardware-Seite. Sie müssen die Software dazulernen, was offenbar der weitaus schwierigere Weg ist. Kommende Käuferschichten werden die Software-Gadgets einfordern, allerdings wohl nicht so radikal wie in China, wo es keine gelernte Historie zum Thema Auto gibt. Europa hat eine extrem starke Hardware-Tradition, die auch von vielen Jungen noch verstanden wird.

Wie viel Zeit bleibt den Europäern, sich den neuen Anforderungen anzupassen?
Das wird stark davon abhängen, wie schnell die Chinesen die europäischen Märkte aufrollen können. Die Südkoreaner haben in Deutschland etwa 20 Jahre gebraucht, um 15 Prozent Marktanteil zu erreichen. Die Chinesen werden schneller sein.

Warum?
Ihre Stärke liegt in klaren Plänen und hoher Ausdauer. Und man darf die Unterstützung durch ihre Regierung nicht unterschätzen. China will mittels starker staatlicher Regulierung eine Auto-Grossmacht werden. Da ist heute schon ein gesamtheitliches Denken zu erkennen, das weit über die Autoproduktion hinausgeht. Es stecken durchorchestrierte Wirtschaftssysteme vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt dahinter, aber auch Finanzierungsmodelle sowie der Ausbau der Häfen oder die «Neue Seidenstrasse».

Also keine Chance für die Europäer?
Auch die Chinesen sind nicht unbesiegbar. Die Hersteller werden europäische Manager brauchen, aber hier gibt es derzeit grosse kulturelle Unterschiede, was zu einer hohen Fluktuation auf der Führungsebene führt.

Wie sieht es um die Arbeitsplätze in der europäischen Autoindustrie aus?
Die Zulieferer wird es härter treffen als die Hersteller. Einfach, weil für sie die Transformation noch schwieriger ist. Was soll ein mittelständischer Hersteller von Zylinderkopfdichtungen in Zukunft produzieren? Der Verlust an Arbeitsplätzen kann europaweit durchaus in die Millionen gehen. Allerdings muss man die Entstehung von neuen Jobs in Zukunftsfeldern gegenrechnen. Es gab mal eine starke Textil- und Elektronikindustrie in Europa, deren Abgang letztlich auch kompensiert werden konnte.

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