Erste Fahrt im Defender-Gegner Ineos Grenadier
Besser als das Original

Im August 2022 startet im Smart-Werk Hambach (F) die Produktion des Ineos Grenadier. Dass dieser Offroader keine Billig-Kopie des Land Rover Defender, sondern ein moderner Geländewagen ist, zeigt eine Mitfahrt im ersten Prototypen im Bündnerland.
Publiziert: 19.12.2021 um 14:55 Uhr
Auf den ersten Blick ist der Ineos Grenadier vom originalen Land Rover Defender kaum zu unterscheiden.
Foto: Gordon Koelmel
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Raoul Schwinnen

Ich stehe vor dem Ineos Grenadier und staune: Auf den ersten Blick kann ich von aussen kaum Unterschiede zum vor fünf Jahren eingestellten Ur-Defender von Land Rover erkennen. Gut, statt der klassischen Dachfenster gibts stattdessen kleine Relings, um daran Ausrüstungsgegenstände zu befestigen. Und die Hecktür ist beim Grenadier zweigeteilt, damit nicht bei jedem Öffnen das schwere Ersatzrad mit gestemmt werden muss. «Unser Fahrzeug wurde von Grund auf zweckorientiert gebaut», erklärt Ineos-Marketingmanager Leif Scholz (40), ein ehemaliger Mercedes-Mitarbeiter – wie so viele bei der in Stuttgart (D) ansässigen Ineos Automotive. Sprich: Robustes, kantiges Design, Starrachsen, Leiterrahmen, 3,5 Tonnen Anhängelast – «ein echtes Nutzfahrzeug halt und einfach zu reparieren», betont Scholz.

Die Motoren, zu Beginn gibt es einen Dreiliter-Reihensechszylinder-Benziner und einen Diesel, stammen von BMW. Aber der nächste Schritt ist bereits gemacht. Unlängst einigten sich Hyundai und Ineos, dass die Koreaner den Wasserstoff für ihre Modelle vom britischen Chemiekonzern Ineos beziehen. Im Gegenzug dürfte Ineos Automotive Zugang zur Wasserstoff-Fahrzeugtechnologie von Hyundai erhalten (lesen Sie hier: Erste Wasserstoff-LKWs von Hyundai auf Schweizer Strassen).

Der Milliardär hinter Ineos

Multimilliardär Jim Ratcliffe (71) ist einer der reichsten Briten – ihm gehört der Chemie-Konzern Ineos. Weil der Geschäftsmann zudem begeisterter Abenteurer und Sportler ist, finanziert er auch die Fussballklubs Lausanne-Sport und OGC Nizza (F) sowie die erfolgreichen Rad- und America's-Cup-Segelteams Ineos. Nach zähen Verhandlungen mit Daimler wurden Ratcliffe und Ineos zusammen mit Mercedes und Teamchef Toto Wolff auch gleichberechtigte Partner des Mercedes-F1-Teams. Seit 2023 gehören dem Engländer zudem 25 Prozent des englischen Rekordmeisters Manchester United.

Abenteuerlustig und waschechter Brite – da erstaunt die Faszination Ratcliffes für den urchigen Land Rover Defender nicht. Seine Idee, den Defender als Ineos Grenadier mit moderner Technik neu aufleben zu lassen, fand Land Rover gar nicht lustig und bot bei der Umsetzung keine Hand. Doch Ratcliffe liess sich nicht mehr bremsen und entschied: Dann mach ichs halt allein. In einem Pub namens Grenadier fertigte er erste Skizzen «seiner» modernen Defender-Idee – und fand damit auch gleich die Modellbezeichnung. Land Rover war über Ratcliffes Tun «not amused», klagte aufgrund des sehr ähnlichen Designs, blitzte aber ab. Der technisch moderne Grenadier sei keine Defender-Kopie, urteilte das Gericht.

CHRIS RIEFENBERG

Multimilliardär Jim Ratcliffe (71) ist einer der reichsten Briten – ihm gehört der Chemie-Konzern Ineos. Weil der Geschäftsmann zudem begeisterter Abenteurer und Sportler ist, finanziert er auch die Fussballklubs Lausanne-Sport und OGC Nizza (F) sowie die erfolgreichen Rad- und America's-Cup-Segelteams Ineos. Nach zähen Verhandlungen mit Daimler wurden Ratcliffe und Ineos zusammen mit Mercedes und Teamchef Toto Wolff auch gleichberechtigte Partner des Mercedes-F1-Teams. Seit 2023 gehören dem Engländer zudem 25 Prozent des englischen Rekordmeisters Manchester United.

Abenteuerlustig und waschechter Brite – da erstaunt die Faszination Ratcliffes für den urchigen Land Rover Defender nicht. Seine Idee, den Defender als Ineos Grenadier mit moderner Technik neu aufleben zu lassen, fand Land Rover gar nicht lustig und bot bei der Umsetzung keine Hand. Doch Ratcliffe liess sich nicht mehr bremsen und entschied: Dann mach ichs halt allein. In einem Pub namens Grenadier fertigte er erste Skizzen «seiner» modernen Defender-Idee – und fand damit auch gleich die Modellbezeichnung. Land Rover war über Ratcliffes Tun «not amused», klagte aufgrund des sehr ähnlichen Designs, blitzte aber ab. Der technisch moderne Grenadier sei keine Defender-Kopie, urteilte das Gericht.

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Drehmoment im Fokus

Die Verbindung zum speziell für den Grenadier entwickelten Verteilergetriebe (permanenter 4x4, Geländeuntersetzung zuschaltbar, zentrale Differenzialsperre) übernimmt eine Achtgang-Wandlerautomatik von ZF. «Allerdings», sagt Scholz schmunzelnd, «haben wir zusammen mit Magna die Motor- und Getriebeabstimmung verfeinert. Dabei stand weniger die PS-Leistung als viel mehr ein üppiges Drehmoment im Vordergrund.»

So leistet der Diesel 249 PS und 550 Nm, der Benziner 285 PS und 450 Nm. Mehr Details lässt sich Scholz noch nicht entlocken. «Wir sind ja noch am Feintuning.» Dazu sind aktuell rund 120 bei Magna Steyr in Graz (A) aufgebaute Grenadier-Prototypen auf der ganzen Welt im Einsatz – zur Hitzeerprobung in der Wüste, für Kälte- und Schneetests am Polarkreis oder auf Gletschern in Österreich.

Flugzeuge als Vorbild

Als ich die Fahrertür öffne und auf den Fahrersitz klettere, staune ich erneut: Statt in verkrampfter schräger Haltung wie im Defender sitze ich hier im Grenadier ganz entspannt am Lenkrad. Hinter dem modernen, etwas an Smart erinnernden Zweispeichen-Lenkrad gibts ein kleines Display für die wichtigsten Fahrinfos. Dazu auf der zwischen Fahrer und Beifahrer hoch aufragenden Mittelkonsole einen 12,3-Zoll grossen Infotainment-Touchscreen mit Apple Car Play und Auto Android sowie spezieller, für Offroad-Touren geeigneter Navigation.

«Wir liessen uns bei der Gestaltung und der Ergonomie des Cockpits von Flugzeugen und Booten inspirieren», erklärt Leif Scholz. So sind alle Kippschalter und Drehregler klar beschriftet und mit grossem Abstand zueinander angeordnet. Scholz: «So lassen sie sich selbst mit Handschuhen bedienen.» Über dem Kopf des Fahrers sind weitere Schalter für Zubehör wie Seilwinden oder Arbeitsleuchten fest verbaut und verkabelt.

Ein Alleskönner im Gelände

Selber fahren darf ich leider auf dem kleinen Testgelände in Cazis GR nicht, sondern nehme an der Seite eines Testfahrers Platz. «Ich bin der Hans aus Südtirol», stellt sich dieser vor. Und schon gehts im Prototypen über den Offroad-Trail: Schlammhügel, Wippe, Schräghangfahren – alles kein Problem für den rustikal anmutenden, aber hochmodernen Allradler mit seinem getrennten System aus Federn und Stossdämpfern sowie sperrbarem Mitteldifferenzial und weiteren elektronischen Sperren an Vorder- und Hinterachse. «Wir haben bewusst auf eine Luftfederung verzichtet», so Scholz. «Der Grenadier soll ein Fahrzeug sein, auf das du dich im Einsatz verlassen kannst, ganz egal wie das Gelände und die Fahrbedingungen sind.»

Nun läuft die finale Erprobungsphase, ehe nächsten August im von Smart übernommenen Werk im elsässischen Hambach die ersten Grenadiere für den Verkauf gebaut werden. 5000 Fahrzeuge sind noch für 2022 geplant, danach sollen es jährlich zwischen 25’000 und 30’000 sein. Die Verantwortlichen sind guter Dinge: «Trotz Corona und Chipkrise sind wir einigermassen auf Kurs», so Scholz. Seit drei Monaten können in der Schweiz Interessenten für 450 Franken Anzahlungsgebühr ihren Grenadier vorreservieren. «Das Interesse aus der Schweiz ist gewaltig», freut sich der Marketingmanager Scholz.

Preise ab rund 65'000 Franken

Jetzt gilt es möglichst schnell, einen Importeur für die Schweiz zu finden. «Wir sind am Verhandeln», lässt sich Leif Scholz noch nicht in die Karten blicken. Er kann deshalb auch noch keinen definitiven Kaufpreis nennen. «Es gibt hier doch einige spezielle Bestimmungen», meint er gequält lächelnd und spielt auf die vom Bundesrat für 1. Januar 2022 abgeänderten CO₂-Bestimmungen an, wonach auch für Nischenanbieter und ihre Fahrzeuge dieselben CO₂-Grenzwerte wie für alle anderen gelten. Als kleiner Hinweis, in welchen Preisregionen der Grenadier in der Schweiz starten könnte, dient uns der bereits für Deutschland kommunizierte Basispreis von 59’000 Euro – das wären knapp 65’000 Franken.

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