Corona: Autobranche braucht neue Wege
Crasht zweiter Lockdown die Autoindustrie?

Die nach dem ersten Lockdown von den Autoherstellern angedachte Entglobalisierung ihrer Lieferketten verlief im Sande. Rächt sich das nun bei einem allfälligen zweiten Lockdown?
Publiziert: 06.11.2020 um 03:54 Uhr
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Aktualisiert: 28.12.2020 um 22:06 Uhr
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Corona sorgte für eine Zäsur bei den Autoherstellern.
Foto: ZVG
Wolfgang Gomoll und Raoul Schwinnen

Der Ton wird rauer. Unlängst forderte BMW von seinen Zulieferern Rabatte in Höhe von durchschnittlich fünf Prozent – bei laufenden Aufträgen, wohlgemerkt. BMW pocht auf Solidarität in diesen schwierigen Zeiten und meint: «Es ist angemessen, dass auch Lieferanten einen Beitrag leisten.»

Das ist eine neue Stufe im ohnehin angespannten Verhältnis zwischen Zulieferern und Herstellern. Schon zuvor, in wirtschaftlich entspannteren Zeiten, feilschten die Hersteller und Zulieferer bei Milliardenaufträgen um jeden Rappen. Dass der Preisdruck dabei stets stieg und die Bandagen härter wurden, gehörte bald zur Normalität.

China wurde immer wichtiger

Corona sorgte nun für eine Zäsur. Die Hersteller dachten plötzlich nicht mehr nur über das Verhältnis zu ihren Lieferanten, sondern auch über eine Neuausrichtung der Lieferketten nach. Im Zuge der Globalisierung hatten die Autobauer ihr Lieferantennetz über den ganzen Globus verteilt – und China wurde nicht nur als Absatz-, sondern auch als Produzentenmarkt immer wichtiger. Doch der Ausbruch der Pandemie Anfang Jahr und der folgende Lockdown in Teilen Asiens brachte die Fertigung wichtiger Zubehörkomponenten zum Erliegen. Mit negativen Folgen für die europäische Autoproduktion, der plötzlich wichtige Bauteile fehlten.

Pläne verschwanden in der Schublade

Das verleitete vor allem die deutschen Autobauer zu Überlegungen, die Fertigung zentraler Komponenten wieder in heimische Gefilde zu verlegen und vor der vermeintlich krisensicheren Haustür zu produzieren. Doch weil in China die Produktion und damit auch die Zulieferketten für Europa schnell wieder funktionierten, verschwanden diese Umgestaltungspläne in der Schublade. Rächt sich das nun bei der zweiten Corona-Welle?

Unterschätzte Schweizer Autoindustrie

Die nach 2008 und 2013 dritte Studie von Swiss CAR (Swiss Center for Automotive Research) listet 2018 stolze 574 Unternehmen der Schweizer Autoindustrie auf, die alleine im Inland (ohne Zweigwerke im Ausland) pro Jahr 12,3 Milliarden Franken Umsatz generieren und 34’000 Menschen beschäftigen. Hinzu kommen noch die Beschäftigten im Autoimporteurs- oder Garagengewerbe. Die Branche umfasst grosse Zulieferer wie Autoneum (Marktführer Akustik- und Wärmemanagement) aus Winterthur ZH, aber auch Fahrzeugbauer wie den Bus-Experten Carrosserie Hess aus Bellach SO oder den Schmierstoff-Spezialisten Panolin aus Madetswil ZH.

Die nach 2008 und 2013 dritte Studie von Swiss CAR (Swiss Center for Automotive Research) listet 2018 stolze 574 Unternehmen der Schweizer Autoindustrie auf, die alleine im Inland (ohne Zweigwerke im Ausland) pro Jahr 12,3 Milliarden Franken Umsatz generieren und 34’000 Menschen beschäftigen. Hinzu kommen noch die Beschäftigten im Autoimporteurs- oder Garagengewerbe. Die Branche umfasst grosse Zulieferer wie Autoneum (Marktführer Akustik- und Wärmemanagement) aus Winterthur ZH, aber auch Fahrzeugbauer wie den Bus-Experten Carrosserie Hess aus Bellach SO oder den Schmierstoff-Spezialisten Panolin aus Madetswil ZH.

Jörg Löffler von Berylls Strategy Advisors meint: «Corona bringt zusätzliche Komplexität in die Liefer- und Wertschöpfungsketten. Eine Verlagerung einzelner Zulieferer zurück nach Europa kann langfristig die Widerstandsfähigkeit in Krisen verbessern, birgt aber auch einige Risiken.» Und er gibt zu bedenken: «Angesichts der Lieferantenteile, die nicht aus den europäischen Nachbarländern nach Deutschland kommen, ist der Hebel sowieso begrenzt.»

Die meisten Zulieferer aus Europa

Tatsächlich bezieht die deutsche Autoindustrie die meisten Zulieferteile bereits aus Europa. An der Spitze steht Tschechien mit einem Volumen von gut sechs Milliarden Dollar, gefolgt von Polen mit 5,3 und Frankreich mit 4,2 Milliarden. China als erstes nicht europäische Land folgt dagegen erst auf Platz zehn – mit einem Volumen von 1,6 Milliarden Dollar. Dennoch kann es mit den globalisierten Lieferketten nach Ansicht des Berylls-Beraters nicht weitergehen wie bisher: «Ein ‹keep calm and carry on› ist keine Option.»

Doch guter Rat scheint teuer. «Um die Lieferketten stabil zu halten, gilt es drei kritische Themenfelder in einer mehrdimensionalen Betrachtung zu verknüpfen: Lieferanten, Teile und Produktionsländer», erklärt Jörg Löffler. Die Antworten auf folgende Fragen sind wichtig: Wie zuverlässig arbeitet der Zulieferer? Wie ist die Qualität der Teile? Wie volatil ist die politische und gesundheitliche Lage im Land, wo der Zulieferer produziert?

Neues Frühwarnsystem

Einige Autohersteller blieben seit dem ersten Lockdown nicht ganz untätig. Um wenigstens die ersten zwei Fragen zu beantworten und Qualitätsprobleme bei Zuliefererkomponenten frühzeitig(er) zu erkennen, arbeitet etwa BMW an einer offenen Plattform namens Part Chain. Sie soll den Austausch von Daten innerhalb der gesamten Lieferkette ermöglichen. Mit dieser «Block Chain»-Technologie wird die Rückverfolgbarkeit von Teilen und Rohmaterialien verbessert.

Massiver Umsatzrückgang droht

Experten raten aber auch den Zulieferern zu einer intensiveren Zusammenarbeit mit den Autobauern. Denn gemäss der Beratungsfirma PwC Strategy& droht den grossen Zulieferern ein globaler Umsatzrückgang von 13 bis 24 Prozent. Und wohlverstanden: Die Analysten von Pricewaterhouse Coopers machten diese Prognose schon im Sommer, als noch niemand von einem zweiten Lockdown sprach.

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