Das Interesse der Autoindustrie an israelischen Kreativköpfen ist gigantisch. Bei einem Kongress in Tel Aviv Mitte des letzten Jahres drängten sich über 1000 Automanager und Technologie-Spürnasen um die Stände der findigen Smart-Mobility-Start-ups.
Die Ideen der Israelis stehen jenen der Kreativlinge im amerikanischen Silicon Valley in nichts nach. Sie reichen von Geräuschunterdrückungen oder Musik, die für jeden Sitzplatz individuell justiert werden können, über eine Überwachung des Babys auf dem Rücksitz bis hin zu Software, die bei der Produktion von Autos Fehlerquellen frühzeitig erkennt und eine Lösung vorschlägt. Allein damit können kostspielige Rückrufe verhindert und Millionenbeträge eingespart werden.
Das sagen die deutschen Autobauer
«Israel gilt weltweit als Hotspot für Innovationen, digitale Technologien, neue Mobilitätsdienstleistungen und Car-IT», erklärt die Mercedes-Vizepräsidentin für Digitales und IT, Sabine Scheunert. «Darüber hinaus verfügt das Land über einen der vier grössten Talentpools der Welt. Das Netzwerk aus lokalen Partnern, Universitäten und Hightechunternehmen in Kombination mit der israelischen Start-up-Community macht Israel zu einem einzigartigen Ort – insbesondere mit Blick aufs vernetzte Fahrzeug.»
Mit dieser Einschätzung stehen die Schwaben nicht allein da. Die Israelis passen in das Anforderungsprofil der deutschen Autobauer. «Sie sind Querdenker, aber durch den Dienst in der Armee auch diszipliniert», erklärt ein hochrangiger Manager und ein anderer fügt an: «Sie haben auch den Mut, Risiken einzugehen.»
Bin ich schon bereit für ein E-Auto?
Die Ergebnisse sind bereits sichtbar: Das israelische Start-up Anagog hat eine Software entwickelt, die das Nutzerverhalten mithilfe verschiedener Sensoren, die sich im Smartphone befinden, analysiert und auf Basis von künstlicher Intelligenz künftige Bewegungsszenarien vorhersagt. Das wird bei Mercedes genutzt, um einen Autofahrer beim Umstieg auf die Elektromobilität zu beraten und zu sagen, ob der Umstieg auf ein Elektroauto oder Hybridmodell überhaupt Sinn macht.
Die App wurde mittlerweile auch auf die Nutzfahrzeugsparte ausgeweitet und mit weiteren Funktionen ergänzt. Ein weiteres Resultat dieses Konzepts ist «Citymove», eine App, die dem Nutzer hilft, die passenden Fortbewegungsmittel zu nutzen und auch freie Parkplätze vorhersagt.
VW-Konzern arbeitet mit 17 Start-ups
Anagog ist ohnehin ein heisses Eisen, wenn es um automobile Ideen geht. Neben Daimler und Porsche hat auch Skoda in das israelische Start-up investiert. Die Tschechen haben vor zwei Jahren den Innovationsableger DigiLab in Tel Aviv ins Leben gerufen und profitieren bereits von den Ideen der Israelis. Mit Chakratec bringt die VW-Tochter eine Ladestation an den Start, bei der ein Schwungrad als kinetischer Energiespeicher dient, damit ähnlich wie ein E-Booster funktioniert und in kurzer Zeit die Energie in die Akkus pumpt (BLICK berichtete). So werden vor allem die Ladeprobleme in Gegenden mit einer schlechten Strom-Infrastruktur gemildert.
Skoda agiert natürlich im Verbund des VW-Konzerns, der nach eigenen Angaben bereits Kooperationen mit 17 Start-ups eingegangen ist. «Der Fokus liegt auf der Fahrgastzelle, der Fahrerüberwachung, Konnektivität, autonomem Fahren, Elektrifizierung und Industrie 4.0», heisst es in Wolfsburg (D). Mit Mobileye und Champion Motors will VW im Jahr 2022 einen Taxiservice à la Uber mit selbstfahrenden Elektrofahrzeugen ins Leben rufen.
Mit Stille und Voraussicht
Das Start-up Silentium nutzt das Prinzip, das man aus Noise-Cancelling-Kopfhörern kennt, und wendet es auf die Passagiere im Auto an. Dabei werden die Lautsprecher des Soundsystems genutzt, um Frequenzen auszusenden, die den Lärm unterdrücken. Das reduziert die benötigten Dämmmaterialien und damit die Kosten. Zumal auch das Gegenteil möglich ist, nämlich das Eingrenzen der Musik auf jeden einzelnen Sitzplatz.
Die Idee der «Predictive Maintenance» (Vorausschauende Wartung) will das Start-up Seebo perfektionieren. Das Konzept basiert auf dem Sammeln möglichst vieler Daten sowie maschinellem Lernen, aus dem die künstliche Intelligenz per Software-Algorithmen die richtigen Schlüsse zieht, Probleme bei der Fertigung frühzeitig erkennt und gleich die Fehlerquelle identifiziert. Bei der Fertigung der Elektromobile wird dieses Tool sicher hilfreich sein.
BMW arbeitet bereits mit Mobileye beim autonomen Fahren zusammen, hinkt aber bei der Entwicklung, einen dauerhaften Standort in Israel zu errichten, hinterher. Erst seit diesem Jahr hat der Münchner Autobauer ein «Technology Office» in Tel Aviv. Doch Platz ist in der wachsenden Stadt genug und der Talentpool der Entwickler noch lange nicht ausgereizt.