Auf den Strassen von Sri Lanka
Der Stärkere gewinnt

Auf den Strassen von Sri Lanka herrscht Anarchie. BLICK wagt einen Selbstversuch in der Parallelwelt vor Indiens Küste.
Publiziert: 29.08.2016 um 12:17 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 15:10 Uhr
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Keine Seltenheit: Busse fahren in Sri Lanka, wie sie wollen.
Foto: Marcel Sommer
Marcel Sommer

Im Inselstaat Sri Lanka direkt vor der Küste Indiens kommen auf 100'000 Einwohner laut WHO-Verkehrsstatistik jährlich 17,4 Verkehrstote. Zum Vergleich: In der Schweiz starben letztes Jahr 253 Personen im Strassenverkehr – das sind rund drei Personen pro 100'000 Einwohner.

Gehörig eingeschüchtert treten wir zum Selbstversuch an. Grundvoraussetzung dafür ist ein internationaler Fahrausweis und ein Mindestalter von 25 Jahren (Höchstalter 65 Jahre).

Alles (noch) im Griff

In Sri Lanka ist es schwül, sehr schwül. Ein klimatisiertes Auto wird hier zur reinsten Wohlfühloase. Schon die ersten Sekunden in der Auto-Sauna sind äusserst gewöhnungsbedürftig: Der Blinker sitzt dort, wo der Scheibenwischer wäre und umgekehrt. Mitfahrer schliessen Wetten ab, wie oft die Wischerblätter bei schönstem Sommerwetter über die Windschutzscheibe schrubben.

Auf dem hohen Ross: die Polizei von Sri Lanka.
Foto: Marcel Sommer

Eine weitere Herausforderung stellt sich noch vor dem Anlassen des Mietwagen-Motors: Hier wird manuell geschaltet – mit der linken Hand. Stets am linken Strassenrand orientierend, denn Mittelstreifen existieren nur in den Grossstädten oder auf der einzigen Autobahn, die von der Hauptstadt Colombo in den Süden der Insel führt.

Vorsicht vor... ja, dem Pfau.
Foto: Marcel Sommer

Das Linksfahren wird schnell zur Normalität – und auch die Schalterei habe ich bald im Griff, da meist in den unteren drei Gängen gefahren wird. Lediglich der blöde Scheibenwischer sorgt für regelmässiges Gelächter.

Mit Verkehrsschildern verhält es sich übrigens wie mit den Mittelstreifen: In Grossstädten ja, sonst nein.

Schlaglöcher und heilige Kühe

In Sri Lanka sind schon viele Urlaubsstunden einfach so verschwunden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Strassen mit so vielen Schlaglöchern übersät sind, dass man oft nicht schneller als Schritttempo fahren kann. Sollte es zudem gerade stark geregnet haben (was in der Regenzeit von Mai bis August öfters vorkommt), können schon mal ganze Strassenzüge einfach so weggeschwemmt werden.

Heilige Kühe dürfen in Sri Lanka eigentlich alles – auch die Strasse blockieren.
Foto: Marcel Sommer

Erstaunt sind wir auch über die Masse an unterschiedlichsten Verkehrsteilnehmern. Vom Fussgänger über Fahrrad-, Mofa-, Töff-, Tuk Tuk-, Auto-, Lastwagen-Fahrer über Pfaue, Leguane, Katzen, Hunde und heilige Kühe bis hin zur Speerspitze – den Bussen – ist nahezu alles auf den Strassen unterwegs, was sich bewegen kann.

Düstere Nacht

Das gilt sowohl tagsüber als auch nachts. Und wer glaubt, dass zumindest die motorisierten Fahrzeuge im Dunkeln beleuchtet sind, der irrt gewaltig.

Keine Seltenheit: Busse fahren in Sri Lanka, wie sie wollen.
Foto: Marcel Sommer

Der automobile Super-GAU droht aber, wenn die erste Begegnung mit einem Bus ansteht. Was bei Tag schon furchteinflössend wirkt, wird bei Nacht zum Nahtoderlebnis. Wenn vier Scheinwerfer auf der eigenen Fahrspur zu einem einzigen Fernlichtgewitter verschmelzen und sich rasend schnell nähern, dürfen zur Abwechslung auch mal die Scheibenwischer eine Runde trocken laufen – da lacht niemand mehr.

Aus Chaos wird Ordnung

Den Königen des sri-lankischen Strassendschungels ist zugute zu halten, dass sie die Dimensionen ihrer gewaltigen Gefährte besser kennen als so mancher Kleinstwagenpilot in Europa.

Alle angeschnallt? Wohl eher nicht.
Foto: Marcel Sommer

Das Schöne nach ein paar dieser Begegnungen ist, dass eine gewisse Logik auszumachen ist: Befindet sich ein Autofahrer hinter dem eigenen Fahrzeug und hupt zweimal, heisst das: «Ich überhole jetzt». Zum Verständnis: Es heisst nicht «Ich will überholen.» Denn unabhängig von der Verkehrs- oder Strassensituation wird einfach überholt.

Spenden – und beten

Was der europäische Autofahrer erst lernen muss, ist den Singhalesen offenbar per Buddhismus und Hinduismus in die Wiege gelegt worden: Ruhe bewahren und fest dran glauben, dass alles gut geht.

Bei Briefkasten-ähnlichen Vorrichtungen wird Geld fürs eigene Seelenheil eingeworfen.
Foto: Marcel Sommer

Und damit brenzlige Situationen auf den Strassen auch wirklich gut ausgehen, wird an Tempeln am Strassenrand gestoppt. Dort wird Geld in eine briefkastenähnliche Aussparung geworfen und gebetet. Bei all den haarsträubenden Begegnungen wünscht sich der Fahrer nicht nur einmal: «Hätte ich doch ein wenig mehr Geld in den Schlitz geworfen».

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