Stoneleigh ist nicht wirklich der Nabel der Welt, sondern nur ein durchschnittliches Dorf in der englischen Grafschaft Warwickshire, etwa 50 Kilometer südlich der Ex-Autostadt Coventry (Humber, Hillman, Triumph, Jaguar, Peugeot).
Doch zu Stoneleigh gehört nun mal der Royal Showground – ein grosses Veranstaltungs-Areal mit kleinen Messehallen. Und hier treffen sich Jahr für Jahr die schärfsten Karossen der Autoindustrie: Fabrikneue Lamborghini und Ferrari glänzen in schmucklosen Hallen neben Klassikern von Porsche oder Jaguar. Auf dem Freigelände parken mehr als hundert AC Cobra, diverse Porsche 911 Turbo und Ford GT 40, ein paar Lamborghini Diablo, zwei Ferrari Daytona und, und, und ... Das Spektakel hat aber auch etwas Surreales: Kein einziges Auto ist echt.
Die Zuschauer stört das nicht – im Gegenteil: Sie kommen in hellen Scharen, parken ihre Alltagskisten auf riesigen Weiden, um die automobilen Abstrusitäten per pedes zu geniessen – willkommen zur Stoneleigh Kit Car Show, der weltgrössten Messe für Bausatzautos und Replika (Nachbauten).
Während sich draussen auf 40000 Quadratmetern Clubs und Markenvereine mit rund 4000 nachgemachten und selbst entwickelten Vehikeln präsentieren, stehen in den Messehallen Gebrauchtwagen, Teile und vor allem die neusten Kreationen der findigen Schrauber zum Verkauf.
So zum Beispiel der Lamborghini Gallardo von Extreme Sportscars: Nach zwei Jahren Entwicklungszeit bietet der Spezialist das perfekte Italo-Fake an. Statt einem 560 PS starken Original-10-Zylinders hat der Replika-Gallardo wahlweise einen V6 von Toyota, einen V6-Turbo von Audi oder einfach nur den profanen 4-Zylinder-Turbo (140 PS) des seit zwei Jahren nicht mehr produzierten Toyota MR2. Der liefert als sogenanntes «Spender-Auto» auch gleich die Basis für den Nachbau, Rahmen, Aufhängung und weitere Teile.
Ähnlich ist es bei den Kreationen der Firma DNA Automotive aus Birmingham: Auch unter dem 4thirty und 3sixty – Nachbauten des Ferrari 430 und 360 – steckt japanische Massenware. Für die nagelneuen Bausätze und das Gefühl, sich (fast) einen Ferrari geleistet zu haben, zahlen Bastler zwischen 14000 und 23000 Franken.
Dem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt. So schlachtet Stormwarrior für seinen Hummer alte Land Rover Discovery und Range Rover aus. Und Roger Williams von Suffolk Sportscar fertigt aus XJ6 und XJ12 pro Jahr 15 wunderschöne Jaguar-Replika vom Typ SS und C-Type. «Der günstige Wechselkurs beschert uns viele Anfragen, selbst im Krisenjahr», freut sich Williams.
Das Geschäft blüht auch mit so skurrilen Eigenkreationen wie dem viersitzigen Lotus 7 von Vindicator oder dem 164 PS starken Dreirad von Rayvolution.
Ist der Festlands-Europäer schon von dieser Vielfalt überfordert, gerät er auf dem Freigelände ganz aus dem Häuschen. Dort präsentieren sich die schrägsten und wildesten Kreationen, bei denen nicht mal ein einziger Reifen die Schweizer Zulassungshürde nehmen könnte. Zum Beispiel der Hustler – ein Auto mit massiver Holzkarosserie, 1972 auf den Resten eines Austin Mk3 1300 aufgebaut, mit Doppel-Hinterachse, fahrbar und völlig korrekt britisch zugelassen.
Oder der russische Mirov 2: Neun Jahre Bauzeit, einst für einen Spielfilm gedacht, der Motor kommt aus dem längst nicht mehr gebauten Renault 21. Nicht gerade alltäglich auch das Grüppchen von Nova Avantes – Sportwagen wie aus einem frühen Science-Fiction-Film mit hochfahrbarem Dach auf Käfer-Basis aus den 80er-Jahren. In den USA werden sie noch heute als Stirling produziert und wie im hier präsentierten Exemplar kuschelig mit rosa Plüsch ausgeschlagen.
Der Covin-Clan zeigt stolz eine Phalanx 90er-Jahre Porsche 911 Turbo auf Basis des VW T3 Fastback, doch der Blick unter die Motorhauben löst einen Kulturschock aus: 4-Zylinder-Reihenmotoren von Alfa Romeo und Toyota...
Die Hersteller der echten Preziosen finden die Plagiate wenig lustig – am allerwenigsten bei modernen Modellen. «In solchen Fällen leitet Lamborghini alle für notwendig erachteten rechtlichen Schritte ein, um die Marke und deren gewerbliche Rechte zu schützen. Dies schliesst die rechtswidrige Benutzung des Lamborghini Logos, des Namens, des Markenzeichens, des registrierten industriellen Designs sowie auch der Konturen der Fahrzeuge ein», erklärt Manfred Fitzgerald, bei Lamborghini Director of Brand and Design.
Bei Ferrari sieht man es ähnlich: Der italienische Sportwagenbauer verteidige «regelmässig Markenrechte, Designs und Copyrights gegen die Hersteller von Replika», sagt ein Ferrari-Sprecher. Aber auch wenn Ferrari, Lamborghini & Co. erfolgreich intervenieren sollten: Über die Zukunft der Replika-Hersteller muss man sich weniger Sorgen machen als um die grossen Hersteller.
Die britischen Autobauer waren eben schon immer ausgesprochen findig...