Sounddesign bei Elektroautos
Der Klang der elektrischen Auto-Zukunft

Mit dem Siegeszug der E-Mobilität tut sich eine gewaltige Lücke auf: E-Autos geben kaum Geräusche von sich. Die Hersteller tüfteln deshalb am Autosound der Zukunft – weil es das Gesetz fordert, und auch, um sich weiterhin von der Konkurrenz abzuheben.
Publiziert: 04.09.2021 um 18:19 Uhr
Automobilhersteller wie Mercedes tüfteln am Klang der elektrischen Auto-Zukunft. Hier der Elektro-SUV EQC in einem Tonstudio.
Foto: Daimler AG
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Andreas Engel

Zuerst wirkt das Studio nahe der US-Millionenmetropole Los Angeles wie eine gemütliche Zigarrenlounge: Getäfeltes Holz, weiche Stoffsofas, Schirmlampen – Chillout-Ambiente. Dass hier keine Havannas eines Herrenclubs, sondern kreative Köpfe rauchen, wird aber schnell offensichtlich: Akustik- und E-Gitarren, analoge und digitale Synthesizer, Keyboards hier, Verstärker, Regler, Mixer und Boxen unterschiedlichster Arten und Grössen da.

Hier in Santa Monica schreibt der deutsche Komponist und Produzent Hans Zimmer (63) schon seit Jahrzehnten Musik- und Filmgeschichte: Ende der 1980er-Jahre weckt er mit innovativen Kombinationen aus Orchester- und Synthesizer-Klängen das Interesse von Hollywood. Seit «Rain Man» 1989 wurde Hans Zimmer elfmal Oscar-, vierzehnmal Golden Globe- und elfmal Grammy-nominiert und holte sich den Filmmusik-Oscar für «Der König der Löwen».

Schon immer BMW-Fan

Seit rund zwei Jahren kreiert Zimmer nicht mehr «nur» klanggewaltige Soundtracks für Kino-Blockbuster: Gemeinsam mit BMW-Sounddesigner Renzo Vitale (41) entwickelt er Klänge, die bald unser Strassenbild prägen sollen. Angefragt hatte BMW 2019: Ob Zimmer den Sound der E-Studie BMW Vision M Next mitentwickeln möge? Zimmer sagte sofort zu: «Ich war schon immer BMW-Fan. Als Kind konnte ich am Klang unseres BMWs erkennen, wenn meine Mutter nach Hause kam.» Seither arbeitet Zimmer fortlaufend für die Marke und gestaltet mit Vitale etwa den Sound der BMW-Eigenmarke «Iconic Sounds Electric».

Dass ein Autobauer einen Filmmusik-Star engagiert, zeigt den Umbruch: Bisher hat auch der Klang der Motoren Marken voneinander abgegrenzt. Doch ob knatternder Drei- oder wummernder Achtzylinder: Der Verbrenner verstummt, die Zukunft summt elektrisch. Für Autofans ein Drama: E-Autos klingen bisher alle ähnlich und ähnlich wenig. Das kann sogar zur echten Gefahr werden.

Klang für E-Autos Pflicht

Studien aus den USA zeigen, dass Elektromobile doppelt so häufig in Fussgänger-Unfälle verwickelt sind. Deshalb ist seit 2019 das «Acoustic Vehicle Alerting System» (AVAS) in Europa in allen neuen Typen von Hybrid- und Elektroautos Pflicht – seit dem 1. Juli 2021 müssen die Hersteller in allen neuen Hybrid- und reinen Elektrofahrzeugen ein AVAS einbauen. Mit Lautsprechern erzeugt AVAS Aussenklang. Der Sound soll laut Gesetz ähnlich Verbrennern sein und den Betriebszustand ausdrücken – beschleunigen oder bremsen etwa. Der Klang soll sich bei bis zu 20 km/h sowie Rückwärtsfahrt von 56 bis 75 Dezibel bewegen. Bei schnellerer Fahrt braucht es AVAS nicht, dann dominieren auch bei E-Autos Abroll- und Windgeräusche.

Der Sound der Zukunft bleibt also grösstenteils Sache der Hersteller. Bei VW, wo man mit E-Modellen wie ID.3 und ID.4 die Massen-E-Mobilität einläuten möchte, erklärt es die Sounddesignerin Indra Kögler gegenüber der «Automobilwoche» so: «Wir wollten bei der ID-Familie ein Soundprofil schaffen, das charakterstark, futuristisch und anders klingt. Passanten sollen hören, dass die Zukunft vorbeifährt» (So klingt VWs ID.3). Auch die Grösse spiele eine Rolle: «Ein Kleinwagen macht heute auch andere Geräusche als grosse Limousinen.»

Audi setzt aufs Gartenrohr

Die VW-Edeltochter Audi tüftelt ebenfalls daran, anders zu tönen als die Konkurrenz. Verantwortlich für den Klang des neuen E-Tron GT ist unter anderem Sounddesigner Stephan Gsell: «Wir wollten weder einen Benziner imitieren, noch sollte der GT wie ein Raumschiff klingen». Das Ziel: ein technischer Klang für einen technischen Gegenstand.

Instrumente bis hin zum Didgeridoo wurden probiert, Synthesizer gespielt, aber «letztlich haben wir im Garten ein langes Kunststoffrohr gefunden, das beim Draufklopfen dumpfes Dröhnen von sich gibt», so Stephan Gsell. «Wir haben das Rohr vor einen Ventilator gehalten, was ein tiefes Wummern erzeugte. Da wussten wir: Das ist die Soundbasis!» Am Computer entstand ein Sample aus 32 Klängen, das aber nicht wie ein Musikstück in Endlosschleife läuft (So klingt der Audi E-Tron GT). «Unser Sound entsteht immer wieder neu – je nach Drehzahl, Gaskennlinie, Last oder Tempo», so Gsell zum komplexen Rechenverfahren.

Kein klangloses Einerlei

Absolute Ruhe im Innenraum sei das schönste Geräusch, meint Mercedes-Sounddesigner Thomas Küpper. Man lege grossen Wert auf einen nahezu geräuschlosen Antrieb – doch solle es in kommenden Modellen wie dem S-Klasse-Pendant EQS auch mehrere wählbare emotionale Klänge geben, die sich beim Fahren verändern. Letztlich nichts anderes als das, was beim Konkurrenten BMW Renzo Vitale anpeilt: emotionale Klangwelten. «Wir wollen mit BMW Iconic Sounds Electric ein Angebot für Kunden schaffen, die Wert auf emotionalen Klang legen und Freude am Fahren mit allen Sinnen erleben möchten.»

Kollege Hans Zimmer ergänzt im Profisprech: «Wenn der Fahrer mit dem Pedal interagiert, ist es nicht nur ein mechanischer Berührungspunkt, sondern ein performatives Element. Der Beschleunigungs-Vorgang wird zu einem Erlebnis, in dem man sich durch eine Reihe von sich wandelnden Klangtexturen bewegt.» Eines ist sicher: Klangloses stilles Einerlei wird die Autowelt auch morgen nicht.

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