Zivilisten werden ins Lächerliche gezogen
Mit diesem Plakat will Russland neue Soldaten rekrutieren

Das russische Verteidigungsministerium will junge Leute für die Armee rekrutieren. Dafür haben sie ein Plakat gemalt, das eine einfache Aussage hat: Wer Zivilist bleibt, hat es im Leben viel schwerer als ein Soldat. Allerdings verschweigt die Regierung entscheidendes.
Publiziert: 08.07.2022 um 21:15 Uhr
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Mit diesem Plakat werben die Russen für neue Soldaten. Links: Der Weg eines Zivilisten. Rechts: Derjenige eines Armee-Angehörigen. Es ist eindeutig, wer die bessere Karriere macht.
Foto: Twitter/konrad_muzyka
Fabian Vogt

Wie viele russische Soldaten in der Ukraine schon gestorben sind, ist nicht bekannt. Zuletzt war von knapp 3000 die Rede. Die Ukrainer behaupten allerdings, es seien über 30’000. Genaue Zahlen wird es wohl noch lange nicht geben, beide Seiten lügen und die Wahrheit dürfte dazwischen liegen. Klar aber ist: Der Krieg dauert schon bald fünf Monate und Russland braucht mehr Personal, um die Invasion weiterführen zu können.

Aus diesem Grund wirbt das russische Verteidigungsministerium mit einem Plakat, das sich an junge Leute richtet, die vor der Entscheidung stehen, was aus ihnen werden soll. Die Aussage ist eindeutig: Entscheidet euch für den russischen Geheimdienst (FSB) und euer Leben wird deutlich besser sein, als wenn ihr ein ziviles Leben führt.

Das Plakat zeigt die Lebensläufe zweier 17-Jähriger, die sich für eine Stelle beim Grenzschutz beziehungsweise für ein bürgerliches Leben bewerben. Das russische Verteidigungsministerium schreibt, was die zwei Personen in welcher Stufe ihres Lebens ungefähr verdienen und was sie sonst noch erwarten können.

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18 Jahre

Mit 18 Jahren hat der Zivilist eine Ausbildung begonnen, die entweder drei oder 5 Jahre dauert. Er muss seine Studiengebühren bezahlen, die rund 100’000 Rubel pro Jahr (rund 1500 Franken) kosten. Er lebt entweder bei seinen Eltern oder hat ein Appartment gemietet.

Der andere kommt dagegen mit 18 Jahren in die Armee. Mit 19 erhält er seinen ersten Vertrag. Dieser sichert ihm eine Wohnung und ein monatliches Einkommen zu, das bei 20’000 Rubel monatlich (rund 300 Franken) beginnt. Wenn er in die Ferien geht, wird die Reise vom Staat bezahlt. Er erhält medizinische Versorgung, Kleider, Essen und Einzahlungen in die Pensionskasse.

22, 23 Jahre

Mit 22 Jahren erhält derjenige in der Armee seinen zweiten Vertrag. Dieser hat eine Gültigkeit von 3, 5 oder 10 Jahren. Damit einher geht eine Beförderung, das Salär wird auf 30'000 Rubel im Monat – rund 460 Franken – angehoben. Zudem kommt er in ein System, in dem der Staat Hypotheken mitfinanziert. Mit 25 hat er 6 Jahre gedient und durch dieses System sein eigenes Haus. Der Verdienst erhöht sich auf 35’000 Rubel monatlich – rund 500 Franken.

Der Zivilist dagegen hat in dem Alter seine Ausbildung abgeschlossen und muss sich einen Job suchen. Er verdient im Schnitt 20’000 Rubel im Monat. Entweder zahlt er Miete, oder nimmt eine Hypothek für ein Haus auf, die laut russischer Regierung über 20 Jahre rund 55’000 Franken kosten wird. Darüber hinaus muss er für seine eigenen Urlaubstickets, Kleidung und Medikamente zahlen, was 50’000 Rubel, rund 780 Franken, kostet.

39 Jahre

15 Jahre später wird der Armee-Angestellte als glücklicher, fitter Familienvater dargestellt, dessen ältester Sohn auch bereits im Militär ist. Er hat eine Ausbildung abgeschlossen, seine eigene Wohnung, 20 Jahre Arbeitserfahrung und bezieht eine Pension von 15’000 Rubel pro Monat. In den 19 Jahren im Dienst hat er rund 9 Millionen Rubel verdient – fast 140’000 Franken. Er kann nun wählen, ob er im Militär Karriere machen oder einen Job in der Regierung möchte.

Der Zivilist dagegen wird als übergewichtiger, kinderloser Alkoholiker mit nörgelnder Frau dargestellt. Auch er besitzt zwar ein Diplom, hat aber nach wie vor Hypothekarschulden von über 10’000 Franken. Er besitzt lediglich 16 Jahre Arbeitserfahrung und muss noch 21 Jahre arbeiten, bis auch er pensioniert wird. In seinem bisherigen Arbeitsleben hat er rund 45’000 Franken verdient – fast dreimal weniger, als derjenige, der ins Militär ging.

Diese Wahrheiten verschweigt das Plakat

Was die russische Behörde verschweigt: Das Risiko, zu sterben, ist bei der Militärkarriere ungleich höher, solange der Ukraine-Krieg läuft.

Zudem zeigt das Plakat noch zwei andere Dinge: Wie wenig das russische Verteidigungsministerium von Zivilisten hält und wie wenig der gewöhnliche Arbeiter in Russland verdient. Die Regierung sagte kürzlich, das Existenzminimum betrage 13’919 Rubel - 216 Franken. Sein Salär nach Ausbildung deckt diese Kosten mit 20’000 Rubel nur gerade so.

Aber auch im Militär darf man sich nicht über viel Geld freuen. Enthüllungen von Journalisten haben gezeigt, dass Putin seine Soldaten – und auch deren Vorgesetzte, für Hungerlöhne sterben lässt. Demnach verdient ein Soldat im Schnitt 50’000 Rubel pro Monat, umgerechnet sind das ungefähr 800 Schweizer Franken. Im Beispiel des Verteidigungsministeriums ist es noch weniger. Für Beträge, für die kein Schweizer aus dem Bett steigt, müssen die russischen Soldaten also an die Front, wo sie getötet werden könnten. Darüber sagt das Plakat nichts.

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