So heftig wüten die Regen-Fluten in Brasilien
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Rio de Janeiro unter Wasser:So heftig wüten die Regen-Fluten in Brasilien

Zehn Tote, Häuser überschwemmt, Bäume entwurzelt
BLICK-Redaktor mitten im Gewittersturm von Rio

In Rio de Janeiro starben wegen der heftigen Regenfälle mindestens zehn Menschen. Hunderte verloren ihre Häuser. Der Notstand wurde ausgerufen. BLICK-Nachtredaktor Fabian Vogt hat sein Hotel im Krisen-Zentrum. Ein Bericht.
Publiziert: 10.04.2019 um 16:30 Uhr
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Aktualisiert: 11.04.2019 um 06:34 Uhr
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BLICK-Redaktor Fabian Vogt ist für die Nachtschicht zuständig. Derzeit ist der 35-Jährige in Rio de Janeiro stationiert, wo er die heftigen Regenfälle hautnah miterlebte.
Foto: Fabian Vogt
Fabian Vogt

Am Montagnachmittag um 17 Uhr kam der Regen. Nicht langsam, herantastend, sondern mit der Wucht eines Roberto-Carlos-Freistosses traf er Rio de Janeiro. 

Auf den Südosten der brasilianischen Metropole fielen Regentropfen, von den manche grösser waren als Haselnüsse. Am nächsten Tag stellten Statistiker fest, dass in Rio noch nie so viel Regen gefallen war wie von Montag auf Dienstag. Die Copacabana, der traumhafte, nicht endend wollende Sandstrand, leerte sich innert Minuten. Menschen rannten in Bars oder Hotels, brachten sich und ihre Habseligkeiten in Sicherheit. Dann begann das Warten. 

Stunden später tobte das Gewitter immer noch. Internet, TV und Radio funktionierten nur unzuverlässig. Wer drinnen war, hatte mittlerweile mit Kartenspielen begonnen oder angefangen sich zu betrinken. Doch während das Warten auf das Ende für die Privilegierten eine lästige Notwendigkeit war, bedeutete es für die mittellose Bevölkerung einen Kampf mit dem Tod.

Favella dem Regen ausgeliefert

Keine zwei Kilometer neben dem weltberühmtem Touristenziel liegt die Morro da Babilônia. Auf einem steilen Bergrücken, der die Stadtteile Copacabana und Botafogo trennt, haben sich die Ärmsten der Armen ihre Häuser gebaut. Tausende leben dort, genaue Zählungen sind nicht möglich. Immer wieder gerät die Favela in der Hand der Drogenbarone, solange, bis die Polizei eine Säuberungsaktion durchführt und für einige Monate Sicherheit bringt. Derzeit ist es eher wieder ruhig in der Morro da Babilônia. Aber nicht in der Nacht auf Dienstag.

Die Häuser, aus billigsten Backsteinen gebaut, übereinandergestapelt und aneinandergereiht, trotzten stolz dem Regen. Doch die eigentliche Gefahr kam von hinten und unten. Aufgeweicht durch das Wasser, verwandelte sich der sandig-steinige Untergrund in Schlamm und begann, sich zu bewegen. Zuerst langsam, die Hänge hinab, dann schneller, in die Häuser hinein. Bäume wurden entwurzelt, Fahrräder mitgerissen. Wer konnte, flüchtete den Berg hinauf. Viele blieben – und beteten. Mindestens drei Personen starben in dieser Nacht, nur wenige Meter Luftlinie von meinem Hotel entfernt. Ob sie vom Schlamm mitgerissen oder von umfallenden Objekten erschlagen wurden, ist derzeit nicht bekannt. Wie viele Menschen ihre gesamten Besitztümer verloren, wird wohl nie geklärt werden.

Grossmutter und Enkel starben im Taxi

Die Armen in der Morro da Babilônia waren nicht die einzigen Opfer dieses Monsuns, der bis Dienstagabend dauerte. Rio ist nicht dazu konzipiert, grosse Wassermassen verarbeiten zu können. An der Kanalisation wurde irgendwann nicht weitergebaut, geputzt wird sie nur spärlich. Abflüsse existieren zwar, allerdings sind sie oft verstopft. Viele Brasilianer, gerade die weniger gebildeten, schmeissen ihren Abfall mit Vorliebe auf die Strasse, wo er dann je nach Laune der Behörden länger oder kürzer liegenbleibt. 

Das wurde einer Grossmutter und ihrem Enkel zum Verhängnis, die am Montagabend ein Einkaufszentrum besuchten. Dort gab es eine Party, um 22.45 Uhr machten sich die beiden auf den Heimweg. Direkt nach dem Einkaufszentrum gibt es einen Tunnel, der an die Copacabana führt. Die Grossmutter und der Enkel beschlossen allerdings, die Umfahrstrasse zu nehmen. Ob sie Angst hatten, im Tunnel steckenzubleiben, oder ob die Strasse näher an ihrem Zuhause war, weiss man nicht. Sicher ist, dass die Drei nicht auf der anderen Seite ankamen. Das Taxi wurde von den Wassermassen mitgerissen, alle Insassen wurden als vermisst gemeldet. Im Verlauf des Dienstags fand die Feuerwehr die drei Leichen, nach wie vor im Auto, zugeschüttet von Schlammmassen. 

Zehn Tote – am Wochenende regnet es wieder

Insgesamt starben mindestens zehn Menschen seit Montag. Die meisten in den Stadtteilen Copacabana und in Ipanema. Doch auch im westlich liegenden Gavea wurde die Leiche eines Mannes gefunden, der in einer überschwemmten Strasse offenbar von seinem Motorrad gestürzt und von den Wassermassen fortgerissen worden war. Es dürfte noch Tage dauern, die genauen Opferzahlen zu kennen. Wochen, bis die Schäden bekannt und Monate oder sogar Jahre, bis sie repariert sind.

Während ich diese Zeilen schreibe, ist es Mittwochmorgen, Schweizer Zeit. Mehr als 30 Stunden, nachdem der Regen kam. Das Wasser ist mittlerweile zurückgegangen, steht auf den Hauptstrassen «nur noch» knöcheltief. Einige Tunnels sind nach wie vor überflutet, genau wie unzählige Häuser. Die Menschen kommen nur mit Mühe zu ihren Arbeitsplätzen, der Bürgermeister hat längst den Notstand ausgerufen. Aufs Wochenende ist wieder Regen angekündigt. Die Menschen beten, dass er dann gnädiger ist. 

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