Taliban wollen gute Beziehungen zur Schweiz
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Exklusivinterview mit Anführer:Taliban wollen gute Beziehungen zur Schweiz

Exklusiv-Interview mit Taliban-Führer
«Wir wollen Beziehungen zur Schweiz»

Als erstes europäisches Medium hatte SonntagsBlick die Möglichkeit, einen in Afghanistan ansässigen Taliban-Anführer zu interviewen. Abdul Qahar Balkhi erklärt, wie die Miliz mit Frauen und Gegnern umgehen will und wie sich die Taliban die Zukunft vorstellen.
Publiziert: 29.08.2021 um 00:03 Uhr
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Aktualisiert: 27.09.2022 um 21:51 Uhr
Abdul Qahar Balkhi (rechts) trat an der Medienkonferenz der Taliban in Kabul vor zwei Wochen das erste Mal in Erscheinung.
Foto: AFP via Getty Images
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Interview: Fabian Eberhard

Die Islamisten der Taliban sind wieder an der Macht. Und sie geben sich geläutert. Jahrelang setzten sie die Scharia mit Terror durch – nun beteuern sie plötzlich, freundlich und moderat regieren zu wollen.

Experten zweifeln. Haben sich die militanten Fundamentalisten wirklich geändert? Als erstes europäisches Medium seit der Machtergreifung der Taliban hat SonntagsBlick einen in Afghanistan ansässigen Kadermann der Miliz interviewt.

Abdul Qahar Balkhi meldet sich erst über den Kurznachrichtendienst Twitter bei unserem Reporter, dann über den Messenger-Dienst Whatsapp. Er will Antworten geben auf die brennenden Fragen, die die Welt beschäftigen. Einzige Bedingung: Die Kommunikation läuft schriftlich.

Balkhi gehört zu den ranghöchsten Funktionären der Taliban. Er ist Mitglied der Kulturkommission der Miliz und trat an der Pressekonferenz in Kabul vor knapp zwei Wochen zum ersten Mal in Erscheinung. Beobachter gehen davon aus, dass der Islamist, der fliessend Englisch spricht, eine zentrale Rolle in der künftigen Regierung einnehmen wird.

Am Flughafen von Kabul drängen sich Tausende Zivilisten. Sie alle wollen fliehen – vor den Taliban, vor Ihnen!
Abdul Qahar Balkhi:
Die Menschen fliehen weder aus Angst noch aufgrund von Drohungen, die wir gegen sie ausgesprochen haben. Sie fliehen wegen falscher Hollywood-Versprechen und der wirtschaftlichen Prosperität, die der Westen vermeintlich bietet.

Diese Menschen haben Panik. Viele haben mit westlichen Ländern zusammengearbeitet und befürchten nun die Rache der Taliban.
Wir haben eine Generalamnestie für alle Oppositionellen angekündigt.

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Die Leute haben also nichts zu befürchten?
Die Angst vor uns ist unbegründet. Wir garantieren für den Schutz des Lebens dieser Leute. Genauso wie wir für den Schutz ihres Eigentums und ihrer Ehre garantieren.

Das sind doch nichts als leere Versprechen! Ausserhalb Kabuls gab es gemäss Berichten bereits Übergriffe der Taliban. Sogar von Hinrichtungen ist die Rede.
Es hat keine Hinrichtungen oder aussergerichtliche Tötungen gegeben. Wir wollen Frieden und Sicherheit.

Und die Scharia, das islamische Rechtssystem: Werden bald wieder Menschen gesteinigt und Hände abgehackt?
Die Scharia beschränkt sich nicht nur auf Strafen, so wie es westliche Medien oft darstellen. Die Scharia ist eine ganzheitliche Lebensweise, die sehr vieles regelt und Frieden und Wohlstand bringen soll.

Und die Strafen?
Auch die sind Teil des islamischen Rechts, beschränken sich aber auf die extremsten Fälle von Kriminalität. Auch im Westen gibt es schliesslich die Todesstrafe zur Abschreckung vor schweren Verbrechen.

Augenzeugen vor Ort berichten, dass die Taliban mit Listen von Haus zu Haus gehen. Sie suchen Personen, die mit westlichen Staaten zusammengearbeitet haben.
Es gibt weder solche Listen, noch geht jemand von Haus zu Haus, um nach Menschen zu suchen. Diese Berichte sind Unsinn. Sie sind erfunden.

Informationen aus Afghanistan zeigen, dass die Antworten von Abdul Qahar Balkhi beschönigend und propagandistisch sind. Die Deutsche Welle berichtete vor einer Woche, dass ein Familienangehöriger eines Journalisten des Senders von Taliban erschossen wurde. Demnach gehen die Taliban im Westen des Landes von Haus zu Haus und suchen gezielt nach Reportern. Den Vereinten Nationen liegen zudem glaubhafte Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen der Taliban in Afghanistan vor. Die zuständige Uno-Hochkommissarin Michelle Bachelet sprach in Genf von willkürlichen Hinrichtungen von ehemaligen Angehörigen der Sicherheitskräfte des Landes.

Nochmal: Die Menschen fürchten sich vor Ihnen. Nicht nur Oppositionelle, auch Frauen.
Dazu gibt es keinen Grund. Wir haben bereits betont, dass die Rechte der Frauen im Rahmen des islamischen Rechts geschützt werden.

Dürfen die Frauen unter den Taliban arbeiten und zur Schule gehen?
Ja, auch das Recht auf Arbeit und Bildung gehört dazu – sofern sie in angemessener islamischer Kleidung arbeiten.

Frauen müssen also wieder Burka tragen?
Alle Frauen, die sich zum Islam bekennen, sind verpflichtet, ihren Körper zu bedecken. Sei dies mit einer Burka, einem Hidschab, einem Nikab oder sonst einem Kleidungsstück.

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In einzelnen Provinzen haben die Taliban den Bewegungsspielraum von Frauen eingeschränkt. Mädchen dürfen teils nicht mehr zur Schule gehen. Die Afghanin Fariba (29, Name geändert), die als Pflegerin in einem Spital in Kabul arbeitet, hält in einem Tagebuch für SonntagsBlick ihre Erlebnisse fest. Vor einer Woche berichtete sie von einer Patientin, die von einem Taliban-Kämpfer dermassen geschlagen wurde, dass sie ihr Ohr verlor. Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid sagte, dass Frauen zu Hause bleiben sollten, weil «unsere Sicherheitskräfte nicht darin geschult sind, mit Frauen umzugehen». Sie benötig- ten erst ein «Gleichberechtigungstraining». Mujahid versicherte, die Beschränkungen seien nur vorübergehend und sollen einzig die Sicherheit von Frauen gewährleisten.

Wie geht es nun weiter?
Als Nächstes wollen wir eine Regierung verkünden, die alle Menschen dieses stolzen Landes widerspiegelt. Unser Ziel ist, unserem Heimatland, das in den letzten vier Jahrzehnten durch Kriege verwüstet wurde, Wohlstand zu bringen. Und wir wollen mit der Welt zusammenarbeiten.

Sie streben diplomatische Beziehungen mit der internationalen Gemeinschaft an?
Wir wollen wirtschaftliche und persönliche Beziehungen. Wir fordern die Länder der Welt auf – einschliesslich die Schweiz –, das Selbstbestimmungsrecht des afghanischen Volkes anzuerkennen und gute diplomatische, wirtschaftliche sowie zwischenmenschliche Beziehungen zu Afghanistan zu pflegen.

Hoffen Sie auch auf internationale Investitionen und auf humanitäre Hilfe?
Wir begrüssen jede humanitäre und entwicklungsorientierte Hilfe, die nicht an Bedingungen geknüpft ist.

Eine Bedingung wird sein, dass die Taliban nicht wie in den Neunzigerjahren mit Terrororganisationen wie Al Kaida zusammenarbeiten. Damals haben sie Osama bin Laden und seinen Mitstreitern Unterschlupf in Afghanistan gewährt.
Wir haben bereits deutlich gemacht, dass wir weder Gruppen noch Einzelpersonen erlauben werden, den Boden Afghanistans zu nutzen, um die Sicherheit anderer Nationen zu bedrohen.

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Die Terroristen sind bereits in ihrem Land. Am Donnerstag sprengte sich am Flughafen in Kabul ein IS-Attentäter in die Luft. Mindestens 170 Menschen starben.
Wir verurteilen den Angriff und sehen alle vorsätzlichen Angriffe gegen unschuldige Zivilisten als Terrorismus und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Offenbar haben Sie die Lage nicht im Griff.
Die Attacke geschah in einem Gebiet, das unter der Kontrolle der US-Armee steht. Die hat es versäumt, die Sicherheit zu gewährleisten. Das ist deren Schuld, nicht unsere.

Der IS-Anschlag richtete sich unter anderem gegen die US-Soldaten in Kabul. Diese wollen bis am Dienstag abziehen. Was, wenn sie darüber hinaus bleiben, um Menschen zu evakuieren?
Über den 31. August hinaus dürfen sich keine ausländischen Truppen in Afghanistan aufhalten. Sie müssen Kabul verlassen. Das ist unsere rote Linie. Bleiben sie, werden wir unsere Strategie ändern müssen.

Und was passiert mit all den Menschen, die ausreisen wollen, es bis dann aber nicht geschafft haben?
Wir hoffen, dass wir den Flughafen betriebsbereit halten können. Wir wollen allen mit ordnungsgemässen Dokumenten das Reisen ermöglichen.

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