Am kommenden Freitag ist es wieder so weit: Weltweit demonstrieren Schüler für mehr Klimaschutz. Die Bewegung heisst Fridays for Future, begründet hat sie Greta Thunberg (16). Innert kürzester Zeit ist die Klimastreiterin zur Ikone geworden. Es gibt aber noch mehr junge Aktivisten, die für ihre spezifischen Anliegen kämpfen. Für Menschenrechte beispielsweise und für Demokratie. Sie wollen die Regeln der Erwachsenen nicht länger akzeptieren. Sie proben den Aufstand.
Zum Beispiel Thandiwe Abdullah (16), Gründerin der Organisation Black Lives Matter Youth Vanguard in Los Angeles (USA). Sie kämpft für die Rechte junger Afroamerikaner. Thandiwe ist jetzt schon eine der meistgehörten Stimmen in den USA, wenn es um soziale Gerechtigkeit geht: «Ich will das System, in dem wir leben, verändern», sagt die Bürgerrechtsaktivistin.
Thandiwe gehört zur sogenannten Generation Z – Teenies, die nicht kleckern, sondern klotzen. Sie wollen kein neues Jugendzentrum oder günstige Museumseintritte. Sie wollen eine Umwälzung der Gesellschaft.
Aktivisten holen Gesellschaft aus Komfortzone
«Die Generation Z ist radikaler», sagt Francis Cheneval (57), Professor für politische Philosophie an der Universität Zürich. «Die jungen Aktivisten holen die Gesellschaft aus der Komfortzone. Sie stören das Gefühl von Normalität, weil sie hinstehen und sagen: Die Normalität kommt an ihre Grenzen.»
Deshalb sind Kompromisse nicht ihr Ding. Greta Thunberg sagt: «Wir können die Welt nicht retten, wenn wir nach den Regeln spielen.» Die Schwedin will sie ändern. Die Frage ist: Dürfen Kinder das?
Nein, finden die Erwachsenen. In sozialen Netzwerken und den Kommentarspalten der Onlinemedien kritisieren sie die jungen Aktivisten scharf. Grundtenor: Kinder gehören in die Schule, nicht ans WEF. Sie können noch keine Verantwortung übernehmen, sind naiv und anfällig für Vereinnahmung und Manipulation. Deshalb sollten sie die Lösung politischer, wirtschaftlicher und sozialer Probleme, die sie ohnehin nicht verstehen, den Erwachsenen überlassen.
Schule geschwänzt
Joshua Wong aus Hongkong gibt freimütig zu, ein paar Schulstunden geschwänzt zu haben: «Statt uns auf die Noten zu konzentrieren, sollten wir uns besser um die Stadt kümmern.» Im September 2014 ging der damals 17-Jährige auf die Strasse, um für allgemeine und freie Wahlen zu demonstrieren.
«Die Eltern sagen, dass wir uns damit die Zukunft verbauen», rief der schmächtige Brillenträger in diesen verregneten Protesttagen seinen Mitstreitern zu, «aber welche Zukunft haben wir denn unter dem derzeitigen politischen System? Schüler müssen den Erwachsenen zeigen, dass diese nicht alle Regeln machen können.»
Die Regenschirm-Bewegung gewann rasch Zulauf und erschütterte das von China gelenkte Hongkong-Establishment. Joshua wurde ein Star
«Wissen deine Eltern, was du da tust?»
Internationale Journalisten eilten nach Hongkong. Und was interessierte sie am meisten? Ein CNN-Reporter zu Joshua: «Wissen deine Eltern eigentlich, was du da tust?» Ja, sie wussten es. Und machten sich Sorgen. Zu Recht: 2017 wurde Joshua zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt; die Durchsetzung freier Wahlen gelang ihm nicht. Doch 2020 kandidiert er fürs Parlament. Er will dem Anpassungsdruck widerstehen, der dort auf ihn wartet. Und sein Ziel weiterverfolgen.
Dass die jungen Aktivisten ihre Stimme zur gleichen Zeit auf allen Kontinenten erheben, ist kein Zufall. «Sie sind die Digital Natives», sagt Francis Cheneval. «Sie wissen, wie man mit sozialen Medien umgeht. Sie können sich schnell vernetzen, über die Grenzen hinweg.» Deshalb seien solche Bewegungen nicht auf den Westen beschränkt. «Auch die Ärmsten sind vernetzt.»
Zoff mit Polizei
Ihre Gewandtheit im Umgang mit den neuen Medien schützt sie aber nicht davor, die Kontrolle über ihr Bild in der Öffentlichkeit zu verlieren, wie es der Palästinenserin Ahed Tamimi (18) widerfuhr.
2017 griff das Mädchen israelische Sicherheitskräfte an, die das Haus ihrer Familie durchsuchten. Ein Video dieser Auseinandersetzung, die sie schliesslich ins Gefängnis brachte, ging auf Youtube um die Welt und machte Ahed zum Medienstar der palästinensischen Befreiungsbewegung. In den Augen der Israelis jedoch ist sie eine gewalttätige Brandstifterin; sie verurteilten sie zu acht Monaten Gefängnis. Schon jetzt ist es für die junge Aktivistin nicht mehr möglich, ihr Image selbst zu steuern und sich der Vereinnahmung durch Kräfte zu entziehen, die andere Ziele verfolgen als sie.
Werden am Ende nicht alle jugendlichen Aktivisten zu Medienprodukten, die über ihre eigene Wirkung keine Macht mehr haben? «Das sind häufig Zuschreibungen der Erwachsenen», sagt Medienwissenschaftler Heinz Bonfadelli (70). «Die Gefahr, dass Kinder und Jugendliche zu Medienprodukten werden, ist nicht grösser als bei Erwachsenen auch.»
Aushängeschilder
Auf jeden Fall sind die jungen Aktivisten begehrte Aushängeschilder. Und das hat seine Tücken. Vor sechs Jahren gründete die damals zehnjährige Indonesierin Isabel Wijsen mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester Melati die Initiative «Bye Bye Plastic Bags». Ihr Ziel, Balis Strände von Plastikmüll zu befreien, hat sie mittlerweile fast erreicht. Sie ist mit ihren Forderungen nach mehr Umweltschutz schon vor der Uno und an diversen internationalen Kongressen aufgetreten, zuletzt vor zwei Wochen am World Tourism Forum in Luzern. Dort kostet ein Tageseintritt zwischen 600 und 900 Franken. Dass die Grassroots-Aktivistin an solchen Foren auftritt, ist durchaus umstritten und wird auch kritisiert.
Solcher Kritik ist Adut Akech (19) bislang nicht begegnet. Sie weiss, wie man die Kontrolle über das eigene Image behält. Das internationale Topmodel wurde im Südsudan geboren und verbrachte ihre Kindheit in einem kenianischen Flüchtlingslager. Heute engagiert sich das durch die «Vogue» berühmt gewordene Gesicht in der Flüchtlingshilfe und sorgt dafür, dass die Geschichten ihrer heimatlosen Mitbürger Gehör finden.
Ob Klimaaktivisten, Bürgerrechtler oder Topmodels: Die Kinder der Generation Z sind nicht naiv. Sie brechen die Regeln der Erwachsenen bewusst. Ob sich das gehört, interessiert sie nicht. Zu Recht. Sie haben andere Prioritäten.