Die Türkei will den sexuellen Missbrauch von Kindern legalisieren. Das sieht ein Gesetzesentwurf vor, den die Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan (65) dem Parlament in Ankara vorlegen will.
Erdogan wirbt für die «Reform». Wird sie angenommen, kommt künftig straffrei davon, wer einen Minderjährigen (ab 12 Jahren) sexuell missbraucht oder vergewaltigt, sofern er das Opfer heiratet. Einziger Haken für den Peiniger: Die Ehe muss «einvernehmlich» geschlossen werden.
Kinderehen an der Tagesordnung
Erdogan soll sich an vorderster Front für das neue Gesetz engagieren, berichten türkische Medien. Die AKP sagt, mit dem Vorstoss sollen «Familien zusammengeführt» werden. In der Türkei dürfen Frauen ab 17 Jahren verheiratet werden, in Ausnahmefällen mit 16.
Gerade in religiös-konservativen Kreisen, die vorwiegend auf dem Land zu finden sind, sind aber auch Kinderehen an der Tagesordnung, wie diverse Studien – unter anderem der Vereinten Nationen – belegen. Unter diesen Bevölkerungsgruppen ist es auch üblich, dass Mädchen, die vorehelichen Sex hatten, von ihren Angehörigen zur Heirat gezwungen werden, um die sogenannte «Familienehre» wiederherzustellen. Wie «einvernehmlich» die im Vorstoss propagierte Klausel in der Realität tatsächlich sein muss, sei daher dahingestellt.
Jede vierte Frau vor 18 verheiratet
In einem Bericht aus dem Jahr 2018 hatte der oppositionelle CHP-Abgeordnete Tekin Bingöl (64) dargelegt, dass 26 Prozent aller türkischen Frauen vor dem Erreichen des 18. Lebensjahres eine Ehe geschlossen hatten. Wie viele davon freiwillig eingegangen wurden, war nicht zu beziffern. Und ebenfalls vor zwei Jahren veröffentlichte die staatliche Religionsbehörde Diyanet ein Gutachten, wonach Mädchen bereits mit neun und Jungen mit zwölf Jahren heiratsfähig seien.
Adem Sözüer, Leiter der Abteilung für Straf- und Strafprozessrecht der Universität Istanbul, kritisiert in der türkischen Zeitung «Cumhuriyet», dass der neue Gesetzentwurf die Gewalttaten gegen Frauen und Kinder erhöhen würde, weil er «eine Mentalität legitimiert, dass Frauen Objekte sind, die man besitzt und die zur sexuellen Befriedigung existieren».
Bereits 2016 versuchte die AKP, einen sehr ähnlichen Vorstoss durchs Parlament zu bringen. Damals kam es zu landesweiten Protesten, der Versuch wurde abgebrochen. Wie sich jetzt zeigt, wurde er nur auf Eis gelegt. Auch wenn sich bereits wieder grosse Protestbewegungen in der Türkei gebildet haben, könnte das Gesetz bereits in wenigen Wochen Tatsache sein. Im türkischen Parlament haben die AKP und ihre Verbündeten eine deutliche Mehrheit. (vof)