Seit Monaten beschimpft Donald Trump Hillary Clinton (68). «Lügen-Hillary» nennt er sie, «korrupt», «unfähig» und vieles mehr. Die Demokratin gibt nur zögerlich zurück, bleibt sachlich. Einerseits ist es ehrenhaft, dass sie sich nicht auf das Niveau des taktlosen Milliardärs hinunterziehen lässt. Andererseits wünschen sich viele ihrer Anhänger, sie würde es dem Rüpel mit gleicher Münze heimzahlen.
Nun hat sie jemanden, der für sie in den Ring steigt: Elizabeth Warren (66), demokratische Senatorin von Massachusetts. Zum ersten Mal trat Clinton am Montag öffentlich mit Warren auf – und befeuerte so Spekulationen, dass sie die Politikerin als Vize-Präsidentin nominieren will. Das würde Hillarys historischer Kandidatur noch eins draufsetzen: Nicht nur eine Frau auf dem Weg ins Weisse Haus, sondern zwei.
«Trump ist ein dünnhäutiger Rüpel»
Warren war sich am Wahl-Anlass in Cincinnati nicht zu fein, Trumps Äusseres zu verhöhnen: «Donald Trump sagt, er möchte Amerika wieder gross machen. Es steht auf seinem albernen Hut. Ihr wollt etwas Albernes sehen? Schaut ihn und seinen Hut an.» Sie spielt damit auf Trumps Angriffe auf Twitter an, in denen er sie wiederholt als albern bezeichnet hat.
Doch die Pöbeleien beschränken sich nicht auf Trumps Modegeschmack: Der republikanische Präsidentschaftskandidat sei ein «dünnhäutiger Rüpel», der «dich in den Dreck zieht, nur um zu bekommen, was er will». Im Gegensatz zu Clinton darf Warren das: Sie kandidiert – im Moment – für keinen Posten. Diese Narrenfreiheit nützt sie aus.
Hillary Clinton gibt sich ganz verzückt ob der Verbal-Attacken gegen ihren Widersacher: «Ich liebe es, zu sehen, wie sie Trump unter die Haut geht», sagte Clinton am Podest. Offenbar traf Warren tatsächlich einen Nerv. Trump reagierte prompt, bezeichnete Warren auf NBC als «Betrügerin» und nannte sie «Pocahontas», weil sie angeblich von amerikanischen Ureinwohnern abstamme. Dass sich eine Frau auf diese Art und Weise über ihn lustig macht, scheint ihm nicht zu bekommen.
Mit ihrem animierten Auftritt vermochte Warren das Publikum in Ekstase zu versetzen – eine Eigenschaft, mit der sich die ruhige Hillary Clinton schon seit langem schwer tut. Warren könnte der Kampagne den nötigen Schwung verleihen.
Reicht es für die Nomination?
Sie stand in Cincinnati unter genauer Beobachtung von Clintons Wahl-Team: Der gemeinsame Auftritt galt als eine Art Vorsprechen für ihre Rolle als Vizepräsidentin. Geht es nach dem US-Medien-Mainstream, hat sie mit Bravour bestanden. Tatsächlich schien die Chemie zwischen beiden Frauen zu stimmen: Sie umarmten sich, beklatschten sich und wurden des Lobes für einander nicht müde.
Alle Differenzen schienen vergessen. Denn die beiden kommen aus verschiedenen Lagern innerhalb der demokratischen Partei – und waren lange Rivalinnen. Warren politisiert deutlich weiter links als Clinton und hat diese wiederholt für ihre wall-street-freundliche Position kritisiert. Mit dem Schulterschluss erhofft sich Clinton, Anhänger des ausgestiegenen sozialistischen Konkurrenten Bernie Sanders zu gewinnen.
Wie sehr ihr diese Stimmen wert sind, wird ein wichtiger Entscheidungsfaktor für Warrens Nomination sein. Denn das ist oft eine taktische Entscheidung, um Wählergruppen anzusprechen. Auch im Rennen sind gemäss «Wall Street Journal» unter anderem der Städtebauminister Julián Castro, der dank seiner mexikanischen Abstammung viele Latino-Stimmen sichern könnte und der dunkelhäutige Senator Cory Booker.
In der Pole Position steht jedoch Elizabeth Warren. Mit ihrem erfolgreichen Auftritt dürfte sie ihren Vorsprung ausgebaut haben. Und wer weiss, vielleicht schreibt sie bald Geschichte – als erste Vize-Präsidentin der Vereinigten Staaten.