Die Sonne brennt. Der Schnee glänzt einladend. Doch auf den Pisten «Teufelsegg» und «Hintereis» ist am Sonntag niemand zu sehen. Nach der Lawinenkatastrophe von gestern sind diese Abfahrten in Südtirol bis auf weiteres gesperrt. Die weisse Pracht im Schnalstal hat ihre Unschuld verloren.
Es ist Samstag, kurz vor 12 Uhr. Anita K.* (†35) aus Hauteroda im thüringischen Kyffhäuserkreis (D) und ihre kleine Tochter (†7) sowie ein Mann aus Eschweiler (D), dessen gleichaltrige Tochter (†7) und dessen Sohn (11) fahren Ski. Sie geniessen die guten Pistenverhältnisse. Was die Familien nicht ahnen: Auf einer Höhe von 3200 Metern löst sich in diesem Augenblick ein Schneebrett und rast ins beliebte Skigebiet. Ob Tourenskifahrer die Katastrophe auslösten oder ob es zu einer spontanen Lawine kam, muss noch geklärt werden.
Die deutsche Soldatin und die zwei Mädchen haben keine Chance
Die Lawine ist fast 200 Meter breit und gut einen Kilometer lang, schreibt das Südtiroler Nachrichtenportal stol.it. Die kleine Gruppe hat keine Chance. Die Massen überrollen die Touristen aus Deutschland. Anita K. und die Tochter des Eschweilers sterben auf der Stelle. Sie können nur noch tot aus dem Schnee befreit werden. Der Mann, sein Sohn und das zweite Mädchen werden mit Rettungshelikoptern in Spitäler geflogen.
Verzweifelt versuchen die Ärzte des Krankenhauses Santa Chiara in Trient (I), das Leben von Anita K.s Tochter zu retten. Vergebens. Am Nachmittag hört auch das Herz der Kleinen auf zu schlagen. Der Mann und der Bub werden zeitgleich im Spital in Meran (I) versorgt. Sie überleben zwar, aber beide stehen unter Schock.
AKK kondoliert der Familie der jungen Soldatin
Bestürzung herrscht nicht nur in Südtirol, auch in Deutschland kann man das Unglück kaum fassen. Sogar die deutsche CDU-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer kondoliert der Familie der jungen Soldatin aus Hauteroda.
Laut der «Bild am Sonntag» soll der deutsche Verkehrsminister Andreas Scheuer, der sich am Samstag privat in der Skiregion aufgehalten hatte, die Angehörigen aufgesucht und sein Mitgefühl ausgesprochen haben.
Im Beileidsschreiben von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow schwingt auch ein Vorwurf mit: «Hier wurde grosses Leid über eine Familie gebracht, die einfach ihren wohlverdienten Winterurlaub machen wollte», so der deutsche Politiker. Der Fall zeige einmal mehr, dass Naturkapriolen nicht zu unterschätzen seien.
Es herrschte Lawinengefahr Stufe 3
Hätte man die Piste sperren müssen? Wäre vielleicht eine Katastrophe vermeidbar gewesen? Diese Fragen stellt sich, ein Tag nach dem Unglück, auch die Südtiroler Staatsanwaltschaft. Am Samstag lag die Lawinengefahr bei Stufe 3 von 5. «Unsere Mitarbeiter haben am frühen Morgen die Lage geprüft, und es gab keine Gefahr. Wenn sie Zweifel gehabt hätten, hätten sie die Talabfahrt bestimmt niemals geöffnet», beteuerte Thomas Konstantin Stecher von der Gletscherbahn im Schnalstal der italienischen Nachrichtenagentur Ansa.
Doch es ist nicht die einzige Lawine, die in Südtirol an diesem Wochenende Opfer forderte. Allein am 28. Dezember folgten zwei weitere Lawinen. Am Sonntag löste sich dann auch unterhalb der Tuckett-Hütte in den Dolomiten ein Schneebrett und begrub vier Skiläufer unter sich. Ein Italiener starb dabei, einer wurde verletzt. Die anderen zwei kamen mit dem Schrecken davon.
* Namen geändert