BLICK: Herr Esser, noch ist Donald Trump nicht der offizielle Kandidat der Republikaner für das US-Präsidentenamt. Doch der Immobilienmogul ist seinen innerparteilichen Konkurrenten in den meisten Umfragen haushoch überlegen. Zudem hat er die Vorwahlen in drei von vier Bundesstaaten für sich entschieden. Wie erklären Sie diesen deutlichen Vorsprung?
Frank Esser: Trump setzt sehr stark auf einen Anti-Establishment-Ton. Der scheint bei vielen republikanischen Wählern auf fruchtbaren Boden zu fallen, die während Präsident Barack Obamas Amtszeit das Gefühl entwickelt haben, ohnehin keinen Einfluss auf die Politik zu haben. Es scheint aber auch viele Republikaner zu geben, die mit der eigenen Führung unzufrieden sind. Trump sagt, was andere vielleicht in der Magengrube fühlen, aber nicht aussprechen. Sein kraftmeierischer Stil gegen illegale Einwanderer, Terrorverdächtige und politische Gegner, der teilweise an Pausenplatz-Mobbing erinnert, wird von vielen als lang vermisste Stärke wahrgenommen. Zudem bedient er die Sehnsucht der Wähler nach Nationalstolz.
Zu Beginn seines Wahlkampfs brandmarkte Trump mexikanische Einwanderer kollektiv als Drogendealer, ja sogar Vergewaltiger. Laut neusten Zahlen hat er nun bei den gestrigen Vorwahlen im Bundesstaat Nevada bei Latino-Wählern trotzdem am meisten gepunktet – und dies, obwohl seine Konkurrenten Ted Cruz und Marco Rubio kubanische Wurzeln haben. Wie macht er das?
Das Interessante an Trump ist, dass er durch alle Schichten hinweg Zuspruch findet. Er kommt beispielsweise bei Frauen und Männern gleichermassen gut an. Das Gleiche gilt für Arm und Reich. Oder eben für weisse und latinamerikanische Gemeinschaften in der Bevölkerung.
Trump hat neben mexikanischen Einwanderern schon so gut wie alles beleidigt, was sich beleidigen lässt. Frauen, Muslime, Journalisten, demokratische und republikanische Politiker gleichermassen, ja sogar mit dem Papst geht er nicht eben zimperlich um. Obwohl einige dieser Attacken deutlich unter der Gürtellinie waren, prallt jede Kritik an Trump ab. Wie ist das möglich, dass er trotzdem diesen Erfolg hat?
Trump tritt in der Tat jedem ans Schienbein. Warum sein Zuspruch dennoch nicht nachlässt, macht sogar Politikwissenschaftler etwas ratlos. Man versucht immer noch eine stichhaltige Erklärung dafür zu finden. Bei Umfragen hat sich trotz der demografischen Vielfältigkeit seiner Unterstützer ein gemeinsamer Faktor herauskristallisiert. Und das ist die Neigung zum Autoritarismus. Das geht zwar nicht soweit, dass man die Demokratie aushebeln will. Aber es gibt unter den Trump-Anhängern eine starke Sehnsucht nach Sicherheit und Ordnung, Aufräumen und Stärke. Um dies zu gewährleisten, braucht es eine unkonventionelle, rigorose Persönlichkeit. Trump gibt ihnen das Gefühl, dass er sich für sie einsetzt – und zwar ohne Rücksichtnahme auf politische Korrektheit.
Wie schafft er das?
Das eingangs erwähnte Gefühl von Einflusslosigkeit auf die Politik, das viele republikanischen Wähler verinnerlicht haben, hilft ihm dabei. Ihnen imponiert der breitbeinig daherpolternde Trump, der nicht nur gegen Gegner austeilt, sondern auch heilige Kühe der eigenen Partei schlachtet: So hat er den republikanischen Ex-Präsidenten George W. Bush für den Irakkrieg und seine Falschaussage zu den Massenvernichtungswaffen kritisiert. Er hat ihm auch vorgeworfen, Geheimdiensthinweise im Vorfeld der 9/11-Terroranschläge nicht ernst genommen zu haben. Zudem widerspricht er der republikanischen Parteilinie mit seiner Unterstützung für Sozialhilfe und Krankenversicherung. Er gibt Wählern das Gefühl, durch seinen Aussenseiterstatus und seinen Reichtum auf niemanden Rücksicht nehmen zu müssen. Er präsentiert sich als unbestechlicher Volksversteher, der das Land wirtschaftlich und militärisch auf Vordermann bringen kann und für konservative Werte einsteht, ohne ideologisch verblendet zu sein.
Wie schätzen Sie Trumps Chancen ein, das innerparteiliche Rennen für sich zu entscheiden? Und wie gross sind seine Chancen, tatsächlich ins Weisse Haus einzuziehen?
Man muss klar sehen, dass er bisher noch bei keiner der Vorwahlen über 50 Prozent der republikanischen Stimmen geholt hat. Wenn sich das Lager der parteiinternen Mitstreiter in den nächsten Wochen weiter lichtet, könnte sein Vorsprung schmelzen. Das grosse Blutbad steht mit dem Super Tuesday am 1. März bevor, wenn in zehn Bundesstaaten Vorwahlen beider Parteien stattfinden. Man darf ausserdem gespannt sein, wie es für Trump am Nominierungsparteitag im Sommer läuft. Wenn keiner der republikanischen Anwärter die erforderlichen 1200 Delegiertenstimmen in den Vorwahlen holt (Trump hat erst 79), ist der Parteitag relativ frei bei der Kandidatenkrönung. Laut den aktuellsten Statistiken liegt die Wahrscheinlichkeit einer Trump-Nominierung bei 50 Prozent und die einer Nominierung von Marco Rubio bei 40 Prozent. Die übrigen Kandidaten teilen sich die restlichen zehn Prozent. Ob Trumps impulsiver, rüpelhafter Stil bis zu den Präsidentschaftswahlen im November ein Erfolgsrezept bleibt, muss sich erst noch zeigen.