Auf einen Blick
Der grösste Schrecken der Demokraten ist ausgerechnet eine linke Frau: Jill Stein (74). Die Präsidentschaftskandidatin der Grünen-Partei könnte die Demokratin Kamala Harris (59) die Wahl kosten. Und das, obwohl – oder gerade weil – Stein eine Randerscheinung der amerikanischen Politik ist. Sie und weitere Kandidaten von sogenannten Drittparteien könnten in diesem Wahlkampf zu Königsmachern werden.
Das Rennen um die Präsidentschaft ist eng. Laut aktuellen Daten der Analyseplattform «FiveThirtyEight» liegt Harris auf nationaler Ebene nur 1,4 Prozentpunkte vor Republikaner Trump. In den Swing States sind die Differenzen zwischen den Kandidaten noch geringer – in Nevada trennen die beiden nur 0,1 Prozent. Es gilt zu betonen, dass diese Werte tief im Fehlerbereich solcher Umfragen liegen. Trotzdem zeigen sie: Für Trump und Harris zählt jede einzelne Stimme.
Drittparteien erhalten 2 Prozent der Stimmen
Bei den Wahlen 2020 lag der Anteil der Stimmen für Drittparteien bei rund 2 Prozent, 2016 sogar bei 6 Prozent. Kyle Kondik, Analyst am «University of Virginia Center for Politics», sagte gegenüber «Vox», dass der Anteil der Drittstimmen in diesem Jahr wahrscheinlich näher an dem Wert von 2020 liegen wird. Auch wenn 2 Prozent der Stimmen sehr wenig sind, könnten sie in einem so engen Rennen wie diesem den entscheidenden Unterschied machen. Und hier kommt die Grünen-Politikerin Stein ins Spiel. Randall Miller, ein emeritierter Professor an der Saint Joseph's University, sagte zur Newsplattform «Axios»: «Diese Wahl wird an den Rändern gewonnen werden ... und dort leben Stein und ihre Leute – und Leute, die vielleicht zu ihr überlaufen.»
Stein kandidiert bereits zum dritten Mal für das Amt der US-Präsidentin – und wahrscheinlich auch zum dritten Mal erfolglos. Umfragen der «Washington Post» zeigen, dass Stein aktuell auf lediglich ein Prozent aller Stimmen kommt. Doch genau dieses eine Prozent könnte Harris zum Verhängnis werden. Denn die Grünen zapfen traditionell eher Stimmen von den Demokraten, als von den Republikanern ab.
Wie problematisch dieser eigentlich winzige Stimmenverlust ist, zeigt die demokratische Wahlniederlage 2016 exemplarisch: Damals konnte Stein insgesamt bloss 1,5 Millionen Stimmen auf sich vereinen. Aber: In Michigan, Pennsylvania und Wisconsin – also drei von sieben aktuellen Swing States – holte sie jeweils mehr Stimmen, als der Vorsprung von Trump auf seine damalige Kontrahentin Hillary Clinton (77) betrug. Oder anders ausgedrückt: Wenn alle Stein-Wähler für Clinton gestimmt hätten, hätte Trump diese drei Bundesstaaten verloren – und somit auch die damalige Wahl.
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Stimmenverlust wäre für Demokraten fatal
Ein ähnliches Szenario könnte sich in diesem Wahlkampf wiederholen. Steins Kampagne konzentrierte sich weitgehend darauf, das Weisse Haus für die unerbittliche Gewalt in Gaza und im Libanon verantwortlich zu machen. Damit spricht sie genau die liberalen Gruppierungen an, die von der Harris-Kampagne wenig bis gar nicht abgeholt werden: junge Personen, ehemalige Unterstützer von Bernie Sanders (83), arabisch-amerikanische und muslimische Wähler. Zur Veranschaulichung, wie dramatisch der Verlust dieser potenziellen Wähler für die Demokraten wäre: Im Swing State Michigan leben rund 300'000 Menschen mit Wurzeln im Nahen Osten oder Nordafrika. Bei den Wahlen 2016 wurde der Staat mit knapp 10'000 Stimmen für Trump entschieden.
Das macht die Demokraten nervös. Wenn es Stein tatsächlich gelingen wird, 1 Prozent der Stimmen zu holen, wird das den eh schon winzigen Vorsprung der Demokraten faktisch auflösen. Trump könnte die Wahl dann sehr realistisch gewinnen. Deshalb hat die demokratische Partei für die letzten Wochen der Wahl eine Kampagne gegen die Grünen vorbereitet, die erste derartige Anstrengung, die jemals gegen einen Drittkandidaten gerichtet war. Aus Angst, dass Stein wichtige Stimmen in Orten wie Michigan abzapfen könnte, betonen die Demokraten auch auf Plakatwänden, die kürzlich in den Swing States aufgestellt wurden: «Jill Stein hat Trump schon einmal geholfen. Lasst es sie nicht noch einmal machen.» Oder auch: «Jede Stimme für Jill Stein ist eine Stimme für Trump.»