Weit draussen auf dem offenen Meer, irgendwo zwischen der Karibik und dem Golf von Mexiko, treibt Húrican sein Unwesen, der Gott der bösen Winde. Von hier aus, glaubte der Indiostamm der Taíno, jagt er seine Boten los. Wo sie auf bewohntes Land treffen, hinterlassen sie eine Schneise der Verwüstung.
Florida, die lang gestreckte Halbinsel zwischen den beiden Meeren, ist Hurrikanland. Mit Wirbelstürmen gehen die Floridians trotzig-optimistisch um. Und praktisch routiniert: Wenn es mal wieder so weit ist, verwandeln sich Häuser in Trutzburgen, Schaufenster verschwinden hinter zentimeterdicken Spanplatten. Ein vollgetanktes Auto, Lebensmittel und Trinkwasser für drei Tage, Batterien für Radios und Taschenlampen. «We’ll be alright» – wird schon gut gehen, sagen die Menschen.
Doch diesmal ist alles anders. Mit Windgeschwindigkeiten um die 300 Stundenkilometer ist Irma der stärkste je über der Karibik gemessene Wirbelsturm. Die holländischen und französischen Karibikinseln, aber auch die britischen und US-Jungfraueninseln hat er bereits verwüstet, und die Bilder aus Kuba lassen das Schlimmste befürchten. Die Florida Keys und der Grossraum Miami sind in der Nacht zum Sonntag dran. Spätestens am Dienstag wird es Georgia, North- und South Carolina treffen, vielleicht sogar Tennessee.
Obwohl Präsident Trumps religiöser Berater Michael Brown davor warnt, Hurrikane und andere Naturkatastrophen als Fingerzeig Gottes zu betrachten – wie immer im bibelfesten Amerika ist auch diesmal wieder von Apokalypse die Rede und von der Hoffnung auf ein Wunder in «God’s Own Country».
Würde das Oberste Gericht Abtreibung und Homo-Ehe schnell verbieten, würde Gott den Sturm sofort wieder aufs offene Meer lenken, behauptet der presbyterianische Pastor Kevin Swanson aus Colorado; die rechtspopulistische Kolumnistin Ann Coulter denkt laut über Irma als Strafe Gottes für die lesbische Bürgermeisterin von Houston nach: «Eine bessere Erklärung als das Dauergerede vom Klimawandel ist das allemal!»
Sechs Millionen zwangsevakuiert
Aber auf Gott haben sich die politisch Verantwortlichen nicht verlassen wollen. Sie mobilisierten lieber 14'000 Mann der Nationalgarde. Einheiten der US-Marine sind auf dem Weg zum Katastropheneinsatz. Zwei Atommeiler wurden vorsorglich abgeschaltet. Und Floridas republikanischer Gouverneur Rick Scott befahl die Zwangsevakuierung von fast sechs Millionen Menschen: «Hauen Sie ab, solange Sie noch können. Denn wenn Irma erst einmal da ist, können wir nichts mehr für Sie tun!»
Danach schob sich eine schier endlose Fahrzeugschlange gen Norden. Stossstange an Stossstange. Langsam, unendlich langsam. Bis zum letzten Sonderflug am Samstagabend herrschte auch auf den Flughäfen atemloses Geschiebe und Gedränge. Denn auch für Tausende Touristen aus aller Welt galt auf einmal nur noch: Weg, nichts wie weg!
Unter anderem, weil direkt hinter Irma schon José aufzieht, der nächste, ähnlich starke Hurrikan.
Das katastrophale Geschehen hat die Chaos-Präsidentschaft von Donald Trump verändert. Bisher, so müssen es auch seine Gegner eingestehen, hat er als Katastrophenhelfer eine gute Figur abgegeben. Der Oberbefehlshaber hat die Retter angespornt und für Leidtragende die richtigen Worte gefunden. Erst Ende der Woche bewilligte ihm der Kongress in Washington 15 Milliarden Dollar als Hilfe für die Opfer von Harvey, dem vorletzten Hurrikan.
Katastrophen lenken von Trumps Russland-Chaos ab
So weit – so gut. Trump kann dadurch von der Untersuchung der Russland-Connection im Präsidentschafts-Wahlkampf ablenken. Zugleich aber hat er sich ein neues Minenfeld geschaffen. Denn spätestens jetzt wissen die Republikaner, dass ihr Präsident weder Freund noch Feind, sondern nur den eigenen Vorteil kennt.
Eigentlich war Trump angetreten, den Politsumpf in Washington auch finanziell auszutrocknen. Jetzt hat er – an den Republikanern vorbei – gemeinsam mit den Demokraten die Harvey-Milliarden und eine Erhöhung der Schuldenobergrenze durchgesetzt. Dies garantiert der Regierung Handlungsfähigkeit bis Ende des Jahres. Doch hat sich Trump für die Demokraten erpressbar gemacht? Was werden seine politischen Widersacher für ihre Unterstützung der Opfer von Irma und José verlangen? Der Unmut unter seinen Unterstützern wächst.
Zumindest solange Irma und José wüten, kann Donald Trump beruhigt schlafen. Aber dann, Mr. President: Was dann?